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Lubicon und kanadische Bundesregierung an einem Tisch

Neubeginn
von Dionys Zink
(veröffentlicht 3/1998)

Nach bereits drei gescheiterten Verhandlungsrunden in den letzten 10 Jahren verhandeln die Lubicon Cree und die kanadische Regierung wieder über die Zukunft der etwa 500 Indianer und ihr 10. 000 km² großes, äußerst rohstoffreiches Gebiet im Norden der Provinz Alberta. Ausgangspunkt der Verhandlungen bilden bereits eingegangene Zusagen der Bundesregierung und die eigenen Vorschläge der Indianer.

Die Chancen auf einen erfolgreichen Vertragsabschluss bei den Lubicon Cree sind wieder einmal im Steigen begriffen. Mit dem erfolgreichen Daishowa-Boykott, der im Juni dieses Jahres seinen Abschluss fand, ist es den Indianern und ihren Unterstützern gelungen, der Wirtschaft ein klares Signal zu geben: Wer das Lubicon-Territorium widerrechtlich ausbeutet, verwickelt sich in Imageprobleme und wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Nicht zuletzt dieser Boykott könnte die kanadische Regierung bewogen haben, die neueste Runde in den Landrechtsverhandlungen ernsthaft voranzutreiben. Zu Beginn der eigentlichen Verhandlungen am 4. August gaben sich beide Seiten vorsichtig optimistisch (Erste Sondierungsgespräche liefen bereits seit Dezember 1997).

Die Größe des Reservats und die Zahl der anspruchsberechtigten Lubicon Cree waren die wesentlichen Themen der ersten Verhandlungsrunden. Die Lubicon Cree bestehen darauf, dass einmal erzielte Vereinbarungen zu diesen beiden zentralen Punkten eines zukünftigen Vertrages auch eingehalten werden.

«Ohne Klärung der Landfrage weiß man nicht, wo man die Infrastruktur hinbauen soll, ohne Klärung der Mitgliedsfrage weiß man nicht, für wen die Häuser gebaut werden«, fasste Fred Lennarson, der politische Berater der Lubicon Cree, die Gespräche zusammen. Er erwartet jedoch, dass die zähen Verhandlungen zunehmend auf Schwierigkeiten stoßen werden.

Eine einfache Frage wie die Beschaffung der Finanzmittel für Schulbusse wirft bereits genug Probleme auf. «Man kann den Lubicon Cree aufgrund der von ihnen gemachten Erfahrungen mit der Bundesregierung nicht zumuten, auf ein bloßes Papier hin einen Kredit bei der Bank zur Beschaffung dieser Fahrzeuge aufzunehmen«, erklärte Lennarson weiter.

Doch nicht nur am Verhandlungstisch könnten die Gespräche von einem Tag auf den anderen scheitern: In den vergangenen Jahren zeichnete sich ab, dass insbesondere die Provinzregierung von Alberta von dem 1988 unter dem Eindruck der Blockade zugestandenen Grimshaw-Agreement abrücken wollte. Grimshaw, so behauptete die Provinz fälschlicherweise, habe auf der damaligen Zahl von 488 Lubicon Cree beruht.

Tatsache ist jedoch, dass der damalige Provinzpremier Don Getty das Agreement ohne Bezug zur Kopfzahl der Cree eingegangen war. Kaum haben sich Lubicon Cree und Bundesregierung wieder zu ernsthaften Gesprächen über die Zukunft zusammengefunden, mehren sich die warnenden Stimmen aus der Ecke der Provinzregierung. Der Tenor dieser Äußerungen: Es sei gar nicht genügend Land da, um die Vorstellungen Ottawas zu verwirklichen. Wie in der Vergangenheit spekuliert die Regierung in Edmonton darauf, dass die Einwohner Albertas nur ungern einsehen wollen, was für außenstehende Beobachter klar auf der Hand liegt: Das Land reichte schon immer für alle, die es fair mit anderen teilen wollten.

Innerhalb der Regierung scheint ebenfalls ein Wechsel bevorzustehen. Die liberale Regierung unter Pemierminister Jean Chretien (ehemals auch Minister für indianische Angelegenheiten) scheint sich auf die Übergabe der Macht an eine neue liberale Führungsfigur vorzubereiten. Dies deutet etwa die Ernennung Ron Irwins (des Ministers für indianische Angelegenheiten der ersten Amtszeit Chretiens) zum Botschafter in Irland an. Nach seinem Rücktritt als Minister wechselte Irwin zunächst ins sogenannte Privy Council des Regierungschefs Chretien, und übernahm damit die Funktion eines «Kanzleramtsministers« im Kabinett. Wenn Chretien in der Mitte seiner zweiten Amtszeit seine verdiente «Rechte Hand« Irwin mit einem Posten versorgt, könnte damit sehr wohl der Übergang zu einem neuen liberalen Premierminister eingeleitet worden sein.

Was die Lubicon anbelangt, wurde Irwin schon bei seinem Amtsantritt zu einer Schlüsselfigur. Irwin erklärte, dass ein Vertrag mit den Cree zu den höchsten Prioritäten seines Ministeriums zähle. Irwin gelang vermutlich aufgrund der starken Widerstände innerhalb der Indianerbürokratie in Ottawa nicht, sein angebliches Ziel in der vierjährigen Amtszeit als Chef des Department of Indian Affairs zu verwirklichen. Seiner Nachfolgerin Jane Stewart stellte er jedoch Brad Morse als Experten zur Seite. Morse hatte als persönlicher Referent Irwins bereits mit den Lubicon Cree zu tun gehabt. Er wurde im Frühsommer zum Chefunterhändler der Bundesregierung ernannt. Am 4. August begann der nunmehr vierte Anlauf innerhalb von 10 Jahren zu einem Vertragsabschluss zu kommen.

Stichwort: Vertragsverhandlungen in Alberta

Gemäß der kanadischen Verfassung hat allein die Bundesregierung in Ottawa als Vertreterin der britischen Krone (die Queen ist nominell noch immer das Staatsoberhaupt Kanadas) das Recht und die Pflicht mit Ureinwohnern Verträge über Landabtretungen zu schließen. Im Gegenzug erhalten Indianer ein Reservat zu ihrer eigenen ausschließlichen Nutzung.

In den historischen, noch immer gültigen Verträgen des 19. Jahrhunderts wurden die Vertragsleistungen auf einer Pro-Kopf-Basis errechnet. Reservatsgröße und jährliche finanzielle und materielle Zuwendungen («Treaty Money« und Lebensmittelrationen) wurden der Zahl der Indianer entsprechend zugeteilt. Eine Relation zum tatsächlichen wirtschaftlichen Wert des zur Verhandlung stehenden Gebiets in Bezug auf die Ureinwohner oder für Kanada wurde nicht in Betracht gezogen. Ein äußerst unvorteilhaftes Geschäft für die meisten Indianer, wie sich im Laufe dieses Jahrhunderts herausstellte.

Bei der Berechnung der Zahl der anspruchsberechtigten Indianer steckt der Teufel jedoch im Detail, weil es aufgrund verschiedener Gesetze ganz unterschiedliche Indianer im Sinne des Gesetzes gibt.

Zur Zeit des Vertragsabschlusses des sogenannten Treaty 8 (Vertrag Nr. 8, aus dem Jahr 1899), der den nördlichen Teil der Provinz Alberta mit Ausnahme des Lubicon-Territoriums in den Besitz Kanadas brachte, bestimmten die Indianer selbst, wer zu ihrer Vertragsgruppe gehörte und wer nicht. Im Sinne der “Teile und Herrsche”-Politik der Kanadier verloren die Nachkommen dieser Vertragsindianer unter Umständen ihre Anspruchsberechtigung hinsichtlich der Vertragsleistungen. Heiratete etwa eine Indianerin einen Indianer, der nicht zu einer Vertragsgruppe gehörte (Non-Status-Indian) waren die Kinder dieser Ehe selbst nicht mehr Vertragsindianer.

Die Vertreter dritter Interessen, etwa die Provinzregierungen und die mit ihr kooperierenden Wirtschaftslobbies, versuchen bis heute, Indianer mit den Berechnungsformeln der alten Verträge des 19.Jahrhunderts abzuspeisen. Jahrelang forderte die Provinz Alberta, den Lubicon Reservatsland im Umfang der Treaty-8-Formel zuzugestehen und nicht mehr. Dass dann aber auch Zahlungen und Zinsen fällig würden, die aus dem Treaty 8 erwachsen wären, so als hätten die Lubicon Cree ihn schon 1899 unterzeichnet, wurde von dieser Seite wohlweislich immer verschwiegen: Kein Wunder, der fällige Betrag würde mehrere Milliarden Can$ ausmachen. Wendete man dieses Verfahren auf alle anhängigen Landrechtsfälle in Kanada an, könnte der kanadische Staat gleich seinen Bankrott erklären.

Chronologie der Lubicon-Vertragsverhandlungen

Das größte Problem für die Lubicon Cree bestand lange Zeit darin, die Bundes- und Provinzregierungen überhaupt davon zu überzeugen, dass sie berechtigte Landrechtsansprüche stellen können. Letztendlich gelang dies erst mit dem Boykott des Rahmenprogramms der Winterolympiade in Calgary und der Blockade sämtlicher Zufahrtsstraßen in das Lubicon-Gebiet im Jahr 1988.

1989: «Take-it-or-leave-it«link


Unter dem Druck der bevorstehenden Bundeswahlen in Kanada (die Lubicon-Blockade drohte zu einem Top-Wahlkampfthema zu werden) kam es im Dezember 1988 zu ersten Verhandlungen auf der Grundlage des sogenannten Grimshaw-Agreements.

Dieses Agreement sah die Übereignung von insgesamt etwa 250 km² des Lubicon-Territoriums, das unter Verwaltung der Provinz Alberta steht, an die Bundesregierung für die Einrichtung eines Reservats vor. In der Folge konnten sich Bundesregierung und Indianer auch auf die Zahl der in den Vertrag einzubeziehenden Indianer einigen: 488 Lubicon Cree standen auf der aktuellen Liste zur Zeit des Grimshaw-Abkommens.

Nach den gewonnenen Wahlen brach die Mulroney-Regierung im Januar 1989 die Verhandlungen mit einem völlig inakzeptablen Vertragsangebot ab. Im Stil der Verträge des 19. Jahrhunderts sollten die Lubicon Cree mit einem «letzten Angebot« entweder über den Tisch gezogen oder als verhandlungsunwillig diskreditiert werden. Als die Indianer das «Friss oder stirb!«-Angebot ablehnten, setzte eine massive Kampagne ein, die den Lubicon Gier und Maßlosigkeit vorwarf. Noch vor dem erklärten Rückzug der Cree aus den Verhandlungen stapelten sich bei den europäischen Indianerunterstützern die «Presseerklärungen« der Regierung.

1992: «Book No. 2«link


Wegen des anhaltenden Protests und bevorstehenden Wahlen in der Provinz Alberta lenkten die Regierungen drei Jahre nach dem infamen Angebot scheinbar ein. Während sich die Cree gutwillig zu Gesprächen unter Ausschluss der Öffentlichkeit bereiterklärten, servierten die Propagandachefs der Provinz- und Bundesregierung der Öffentlichkeit erneut das Angebot von 1989. Unter Einbeziehung der ohnehin allen kanadischen Indianern zustehenden Sozialleistungen und der Anwendung verschiedenster kameralistischer Tricks (der Öffentlichkeit wurde weisgemacht, das Angebot von 1989 sei um viele Millionen Can$ erhöht worden, in Wirklichkeit glich die Steigerung gerade einmal die Inflation seit 1989 aus) wurde dieses als «Book No.2« als «großzügig und überaus fair« in der Öffentlichkeit dargestellt.

1997: «Economic Opportunities«link


Mit dem Regierungswechsel von den Konservativen zu den Liberalen schien zunächst lediglich ein atmosphärischer Wechsel in den Beziehungen zwischen Indianern und Regierung verbunden zu sein. Prominente Liberale, an der Spitze der nunmehr amtierende Premierminister Jean Chretien selbst, hatten während ihrer Oppositionszeit immer wieder Unterstützung für die Lubicon Cree bekundet (Die BMAG befindet sich im Besitz eines persönlich unterzeichneten Schreibens des damaligen Oppositionschefs). Doch Ron Irwin, der damalige Minister für indianische Angelegenheiten, hatte zu Beginn seiner Amtszeit große Mühe sich in seinem Ministerium durchzusetzen. Die verkrusteten Strukturen aus acht Jahren konservativer Regierung sorgten für die Ernennung von Harold Millican als Chefunterhändler in Sachen Lubicon Cree. Millican versuchte erneut den Lubicon ein Vertragsangebot zu verkaufen, das auf reguläre Regierungsprogramme und Dienstleistungen der öffentlichen Hand hinauslief. Darüberhinaus schlug Millican allen Ernstes vor, die Lubicon Cree sollten mit den Großunternehmen in ihrem Gebiet (etwa Daishowa oder Unocal) gemeinsame Wirtschaftsaktivitäten starten, um die wirtschaftliche und soziale Lage in der Gemeinde zu verbessern. Dieses absurde Ansinnen führte erneut zum Scheitern der Verhandlungen.

Noch vor dem klammheimlichen Ende der Gespräche erschien der kanadische Chefunterhändler Millican auch noch als Daishowas Zeuge im Prozess gegen die Friends of the Lubicon und begab sich damit endgültig seiner Glaubwürdigkeit als fairer Verhandlungspartner.

1998: Ernsthafte Verhandlungen?link


Im Herbst und Winter des vergangenen Jahres machte sich der Universitätsprofessor Bard Morse daran, die Scherben zusammenzukehren und erneut Kontakte mit den Lubicon zu knüpfen. Auffällig war dabei ein offensichtlich beabsichtigtes Durcheinander von Terminen und nicht eingehaltenen Terminzusagen. Die Lubicon Cree blieben jedoch bei der Verhandlungsposition, die sie schon gegenüber Millican eingenommen hatten: Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen sollten bereits gemachte Zusagen der Regierung sein und die detaillierten Verhandlungsvorschläge der Lubicon selbst.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Samstag, 18. Januar 2020 23:29:58 CET von oliver. (Version 2)