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Howard Adams: Otapawy

Howard Adams: Otapawy (Cover: Dumont Institute) Metis – Mountie - Hochschulprofessor - politischer Aktivist
von Robert Stark
(veröffentlicht 1/2009)

Howard Adams wurde in St. Louis, Saskatchewan, als Kind einer Métis-Familie geboren. Métis sind die Mischlingsnachfahren aus den Verbindungen indianischer Ureinwohner und französischer sowie englischer Fallensteller mit einem eigenen kulturellen Selbstverständnis. Sie zählen neben den „First Nations“, den Indianern, als weitere Gruppe zur indigenen Bevölkerung Kanadas. In ärmlichen Verhältnissen in der Tradition der Métis-Kultur aufgewachsen, brach Adams aus dieser Welt aus und verfolgte eine engagierte Karriere, die ihn als Universitätsprofessor und als Métis-Politiker bekannt machte. Er verstarb im Jahr 2001 im Alter von 80 Jahren.

Otapawy, der zweite Teil des Buchtitels, ist ein Akronym, ein Kurzwort zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter, und steht für Our thoughts and prayers are with you. Dieses Akronym ist einer mündlich überlieferten Métis-Geschichte entnommen. Seine Bedeutung drückt in den Augen der Herausgeber sehrtreffend aus, welche Gefühle sie gegenüber Howard Adams und seinem Lebenswerk empfinden.

Zugleich spiegelt dieses Akronym auch etwas von der Struktur des Buches wieder. Es ist aus verschiedenen Einzelteilen zusammengesetzt, die wie die Buchstaben eines Akronym ursprünglich nicht als als Einheit konzipiert waren. Die Darbietung hat gewissermaßen experimentelle Züge. Der geschickten „Webtechnik“ der Herausgeber ist es zu verdanken, das diese neu miteinander verflochtenen Fragmente ein Ganzes ergeben, dass die Person Howard Adams in vielfältig schillernden Facetten wiedergibt. Nicht zu Unrecht wird im Buch der Vergleich mit einer Schärpe (sash) bemüht, ein Stoffgürtel aus bunt gefärbten Fäden, wie er u.a. bei den kanadischen Métis Bestandteil der traditionellen Tracht ist.

Teil 1 des Buches fügt Texte aus einer 571 Seiten umfassenden Hinterlassenschaft Adams’ mit autobiographischem Charakter zu einer chronologisch geordneten Schilderung seiner Person zusammen, die allerdings nicht alle Lebensabschnitte gleichmäßig dokumentieren kann. Hierzu gehörten 95 Seiten eines Entwurfes zu seiner Autobiographie, 196 Seiten mit Entwürfen zu einem Roman mit autobiographischen Elementen und 138 Seiten mit sonstigem, autobiographischem Material. Der Protagonist der Romantexte, Tony, ist eine Phantasiegestalt seines Autors; seine Erlebnisse und Handlungsweisen sind zwar inspiriert von Vorkommnissen im tatsächlichen Leben Howard Adams’, doch wird in ihrer literarischen Verarbeitung eher ausgemalt, wie manche Dinge verlaufen hätten können bzw. sollen oder nicht sollen. Dennoch offenbart sich gerade in diesen Gedanken viel von der Persönlichkeit des Autors, was in den anderen autobiographischen Texten nicht zum Ausdruck kommt.

Metis-Blockhütte (Photo: Hartmut Lutz) Teil 2 des Buches besteht aus 23 Kurzbeiträgen von Weggefährten Howard Adams, die blitzlichtartig Charaktereigenschaften oder prägende Episoden in ihrer Beziehung zu ihm aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Daran schließt sich ein Nachwort von Hartmut Lutz an, der vor dem Hintergrund seiner persönlichen Bekanntschaft vor allem nochmals die Struktur des ersten Teiles und die Inhalte seiner Elemente kommentiert. Den Abschluss bildet ein Verzeichnis der Publikationen Adams’.

Dem Buch ist eine CD mit Bildmaterial und zusätzlichen Quellentexten beigelegt, darunter Dokumente aus seiner politischen Tätigkeit, u.a. zur Aufdeckung der Veruntreuung staatlicher Gelder durch Vetternwirtschaft in Métis-Gemeinden. Interessant ist ein Text zur Oka-Krise, der einen guten Einblick in seine emotionale, revolutionärem Gedankengut, verpflichtete Ausdrucksweise gibt.

Der Text lässt auch etwas von seinen Qualitäten als engagierter Redner auf politischen Versammlungen erahnen. Besonderes Interesse darf auch ein Essay aus dem Jahre 1948 beanspruchen, in dem der Soziologie-Student eine kondensierte, sehr lebendige Beschreibung und Analyse der Lebensumstände ländlicher Métis-Farmer vor dem Hintergrund seiner Kindheit und Jugend gibt.

Es ist gerade diese bunte Mischung unterschiedlicher Quellen mit verschiedensten Perspektiven, die dem Buch seinen besonderen Reiz gibt, und dem Leser durch die immer wieder neuen Ansätze einen authentischeren Zugang zur Person Howard Adams’ gibt, als wenn das Buch von einer einzigen Person geschrieben worden wäre. Ein solches Buch aus einer Feder mag im Aufbau geradliniger und von Widersprüchen bereinigt sein. Howard Adams war jedoch selbst nicht frei von Widersprüchen und litt zeitlebens am Versuch, als Professor in der von Weißen dominierten, akademischen Elite Anerkennung zu finden und gleichermaßen seinem Métis-Erbe gerecht zu werden, zu dem er sich leidenschaftlich bekannte.

In seinen letzten Lebensjahren plagte ihn schließlich die Einsicht, dass beide Zivilisationen im Grunde unvereinbare Lebensweisen seien und sein Grenzgängertum ihn letztlich doch niemals dem „Ghetto“ entfliehen ließ, in das er als Métis geboren wurde. Die Identität(en) der Person Howard Adams entwickelte(n) sich zudem in der Auseinandersetzung mit vielen anderen Menschen, die ihrerseits oft durch ihn entscheidende Prägungen erfuhren. Somit ist die von den Herausgebern gewählte Darstellungsform vielleicht mehr als nur angemessen.

Howard Adams in seiner Zeit als Mountie (Photo: Marge Adams) Howard Adams wurde 1921 geboren, als Sohn einer katholischen, französisch-sprechenden Métis-Frau und eines anglikanischen, englisch-sprachigen Métis. Eine verwickelte Situation, denn beide konnten die Sprache des anderen kaum verstehen und der konfessionelle Unterschied war insbesondere für das katholische Umfeld der Mutter nur schwer zu verkraften. Bis 1940, dem Jahr seines High School-Abschlusses, lebte er in St. Louis, in „ländlicher Isolation“ ganz nach den Gepflogenheiten der Métis. Bereits in diesen Jahren erfolgte eine mehr oder weniger bewusste Prägung durch den weit verbreiteten und tief verwurzelten Rassismus der kanadischen Gesellschaft.

Viele dieser Vorgänge hat Howard Adams erst im Verlauf seines späteren Lebens umfassend reflektiert und verarbeitet. Beispielsweise hat er als schmerzlich empfunden, dass sein Vater Wert darauf legte, dass seine Kinder Englisch sprachen, und nicht Michif, das den Métis eigene Idiom. So konnte seine Ausdrucksweise weder dem eigenen kulturellen Umfeld, noch weniger aber der dominanten weißen Kultur entsprechen, denn sein Dialekt und Akzent waren nicht zu überhören und in der Gesellschaft von Weißen rasch der Gegenstand für verletzenden Spott, u.a. in seinen Jahren als Mountie. Schon vor seiner Hochschulausbildung unternahm er deshalb gewaltige Anstrengungen, um in Abendkursen seine sprachlichen Fähigkeiten zu schulen und begann hart daran zu arbeiten, tadelloses Anglo-Amerikanisch sprechen zu können, um nicht gleich überall mit der ersten Äußerung als „Halbblut“ enttarnt zu sein.

Den latenten Rassismus, wie er für weite Bereiche der kanadischen Gesellschaft typisch ist, sah er als besonders perfide Spielart an. Während Lippenbekenntnisse der indigenen Bevölkerung – insbesondere auch den Métis – gleiche Rechte vorgaukeln, ist die praktizierte Wirklichkeit eine andere. Das war beispielsweise daran zu erkennen, dass jeder Métis, der eine andere Beschäftigung suchte als die traditionelle Kleinfarmerei, die kaum das eigene Überleben zu sichern vermochte, gerade gut genug für einen schlecht bezahlten Hilfsarbeiterjob war.

Anspruchsvolle Arbeit war ein Privileg der Weißen. Die Erinnerung an seinen Urgroßvater mütterlicherseits, Maxime Lépine, war mit einem Tabu durch die weiße Gesellschaft belegt, der sich selbst die eigene Familie zwangsweise anpasste. Er zählte zu den bedeutendsten Führungskräften im Métis-Aufstand von 1885. Während vergleichbare politische Prominenz in der weißen Gesellschaft in geradezu pietätvoller Erinnerung noch posthume Ehrung erfuhr, galt Maxime Lépines Wirken eher als ein Schandfleck, über den man besser keine Worte verliert, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Die mehr oder weniger verschleierte Missachtung und Ausbeutung von Métis durch Weiße war von Kindesbeinen an eine schmerzliche Erfahrung.

Einen Weg aus Armut, Provinzdasein und dem Gefühl der Unterdrückung schien eine Unteroffizierslaufbahn bei der Royal Canadian Mounted Police (RCMP) zu bieten: Anerkennung und Respekt innerhalb der gesamten Gesellschaft sowie eine schmucke Uniform, die eine Gleichstellung mit allen seinen Kameraden, eigentlich nur Weiße, suggerierte. Dass dem nicht so wahr, kann anhand der Texte im Buch gut nachvollzogen werden. 1946 wurde ihm eine vorzeitige Entlassung aus der RCMP gewährt und nach einem kurzen Zwischenspiel als eigenständiger Kleinfarmer begann Howard Adams eine Hochschulausbildung, die 1966 nach der zwischenzeitlichen Erlangung verschiedener Diplome mit einem geisteswissenschaftlichen Doktorgrad an der University of California, Berkeley, vorläufig gekrönt wurde. Howard Adams promovierte mit einem erziehungswissenschaftlichen Thema.

1968 erschien sein erstes Buch: „The Education of Canadians 1800 – 1867: The Roots of Separatism.“ Der Erziehungswissenschaft und der Ausbildung junger Menschen Impulse zu geben, blieb lebenslang ein zentrales Anliegen seiner Lehrtätigkeit, ebenso die Sensibilisierung für Methoden und psychosoziale Folgen der Kolonialisierung bei den indigenen Völkern Kanadas. Sein 1975 erschienenes Buch „Prison of Grass: Canada from a Native Point of View“ wurde über Fachkreise hinaus in der politisch aktiven Szene dieser Zeit ein Klassiker.

Howard Adams als politischer Aktivist Anfang der 70er (Photo: Marge Adams) In die späten 60er und frühen 70er Jahre fällt auch ein Schwerpunkt seines politischen Engagements, in dem er zum einen erfolgreich für die Rechte der Indigenen Kanadas, insbesondere auch der Métis, tätig war und zum anderen dem Missbrauch und der Veruntreuung von Fördermitteln zugunsten der Métis durch Vetternwirtschaft ein Ende setzen konnte. Von 1975 bis 1987 wirkte er als Professor an der University of California, Davis, wo er neben seiner Lehrtätigkeit in zahlreichen Fachausschüssen mitwirkte. Nach seiner Emeritierung führte er noch Lehrveranstaltungen an der Universität von Saskatchewan durch. 1999 erhielt er für seine Verdienste um die Rechte der indigenen Völker Kanadas den National Aboriginal Achievement Award.

Das Buch ist eine anregende, abwechslungsreiche und in manchen Passagen durchaus spannende Lektüre, aus der man viel über die Person Howard Adams und ihren Spagat zwischen den Kulturen erfahren kann, ein Kraftakt, der psychisch nicht immer leicht zu bewältigen war und letztlich auf die Wurzeln in der eigenen Kultur
verwiesen hat.

Hartmut Lutz in Zusammenarbeit mit Murray Hamilton und Donna Heimbecker (Hrsg.): Howard Adams: Otapawy. The Life of a Métis Leader in his own words and in those of his contemporaries. Saskatoon. Gabriel Dumont Institute, 2005. Paperback. 310 Seiten.

Hartmut Lutz von der Greifswalder Universität hat mit einer neuen Publikation einen Mann vorgestellt, der in Kanada zu einiger Berühmtheit gelangt, bei uns jedoch kaum bekannt ist – wie sein Volk, die Metis. Wir möchten diese Kenntnislücke schließen, auch wenn das Buch derzeit nur in englischer Sprache erhältlich ist, doch im Gegensatz zu den anderen indigenen Völkern stehen die Metis nur selten im Zentrum des allgemeinen Interesses. Leider müssen wir in den letzten Jahren feststellen, dass viele Publikationen nicht mehr übersetzt werden. Die Verleger gehen offensichtlich davon aus, dass es entweder keinen Markt im deutschsprachigen Raum gibt, oder dass diejenigen, die sich für indigene Themen interessieren, ohnehin der englischen Sprache mächtig sind. Dies führt auch bei uns dazu, dass wir englischsprachige Bücher nicht ignorieren oder auf eine Übersetzung warten können. Insbesondere in Bereichen wissenschaftlicher Literatur ist die lingua franca einfach zu dominant, um über wichtige Publikation hinweggehen zu können. Wir werden daher auch in Zukunft gelegentlich Bücher besprechen müssen, denen wir ein breites Publikum wünschen, auch wenn sie noch nicht ins Deutsche übersetzt sind.
Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Samstag, 21. März 2020 10:34:56 CET von oliver. (Version 9)

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