Steigende Ölpreise infolge der Irak-Krise sorgen für eine explosive Situation in Alberta. Indianer der Region fordern Beteiligung am Geschäft mit konventionellen Ölvorkommen und Teersanden, während die Lubicon Cree weiter über die Zukunft ihres rohstoffreichen Territoriums verhandeln.
von Dionys Zink
(veröffentlicht 1/2003)
Geht es um Öl und Sand, denkt man derzeit vor allem an die Krise im Mittleren Osten, den Irak und eine bornierte Supermacht. Nicht zuletzt das Hinundher im Irak-Konflikt diente in den vergangenen Monaten dazu, den Rohölpreis auf Höhen über 30 US$ je Barrel zu treiben.
Das wenig überzeugende „Spiel“, das sich George Bush und die amerikanische Oleokratie erlauben, um den Rest der Welt zu einer amerikafreundlichen Position in einen Krieg zu zwingen, lässt den größeren Teil der Welt glauben, dass es in Wirklichkeit um die Kontrolle der Erdölreserven am Arabisch-Persischen Golf geht. Die Energiebilanzen der USA scheinen diese Denkweise zu bestätigen. Wie immer ist die Wirklichkeit doch etwas komplizierter.
Seit Jahren ist Kanada mit 17% der Lieferungen der wichtigste Erdölproduzent für die USA. In der Zukunft werden die kanadischen Ölsandvorkommen möglicherweise eine entscheidende Rolle auf dem Weltenergiemarkt spielen, vor allem dann, wenn die Rohölpreise weiter auf ihrem Höchststand verharren. Seit Jahren arbeiten Erdölindustrie und die Regierung der kanadischen Provinz Alberta fieberhaft an der technischen und wirtschaftlichen Nutzung der mutmaßlich größten Erdölreserven der Welt im Norden der westlichsten Prärieprovinz.
Teersand-Lagerstätten werden auf zweierlei Weisen ausgebeutet. Nordöstlich des traditionellen Lubicon Cree-Territoriums fördern die Firmen Suncor und Syncrude Ölsande im Tagebau, der in seinen landschaftsverändernden Dimensionen an den Abbau von Braunkohle erinnert. Auf Lastwagen und Förderbändern wird der Sand zu einer Verarbeitungsanlage verfrachtet, in der Sand und Rohöl getrennt werden.
Bei Ölsandschichten, die nicht oberflächennah lagern, wird derzeit mit sogenannten In-Situ-Verfahren experimentiert. Heißdampf wird in die ölhöffigen Sandschichten gepumpt, um die Fließfähigkeit des zähen Öls zwischen den Sandkörnern zu erhöhen. In einem horizontalen Stollen wird das herabtropfende Öl gesammelt und dann nach oben gepumpt.
Die Probleme sind bei beiden Verfahren ähnlich: Die Trennung von Öl und Sand erfordert große Mengen Energie und sauberes Wasser für die Dampferzeugung. Für die Gewinnung eines Barrels Rohöl wird die neunfache Menge an Trinkwasser benötigt. Mangels geeigneter Vorfluter in der Region können die Erdölfirmen nur auf die Grundwasservorkommen im fraglichen Gebiet zurückgreifen.
Dies gefährdet die Vegetation in dem Gebiet, weil der Grundwasserspiegel stark absinken könnte. Auch ist bisher ungeklärt, wie sich die „thermische Verschmutzung“, d.h. die Rückführung von erwärmten Wasser in das Grundwasser eines Gebiets mit mehrmonatiger Bodengefrornis auswirken könnte. Zudem ist das rückgeführte Grundwasser zwar rückstandsfrei, aber eben auch steril.
Einmal mehr gehören die Lubicon Cree zu den Betroffenen der industriellen Rohstoffausbeutung. Zum einen müssten sie verstärkte Aktivitäten in ihrem traditionellen Jagdgebiet tolerieren, dessen Bodenschätze rechtlich gesehen noch immer ihr Eigentum sind. Zum anderen sind dort die Grundwasservorkommen bedroht, auf die sie auch bei einem erfolgreichen Vertragsabschluss weiter angewiesen sein werden.
Ein Fass aufgemacht…
In den neunziger Jahren setzten die beiden kanadischen Regierungsebenen alles daran, die Lubicon Cree als soziale Einheit zu spalten. Mit Versprechungen und „kleinen Geschenken“ sollten einzelne Familien aus dem Sozialverband herausgelöst werden. In einer eigenen „Band“ (kanadische offizielle Bezeichnung für „Stamm“ oder „Nation“) sollten die „Lubicon- Dissidenten“ dann als wahre Eigentümer des Lubicon-Territoriums der Öffentlichkeit präsentiert werden. Um die Mitgliederzahl dieser Phantom-Band zu erhöhen, war den regierungsamtlichen Drahtziehern jedes Mittel recht. So landeten entwurzelte Indianer aus der gesamten Region auf der Mitgliederliste des eilig als „Woodland Cree Band“ bezeichneten und alsbald anerkannten, künstlichen „Indianerstammes“. Nur sehr wenige Lubicon Cree konnten von einem Wechsel zu dieser Gruppe überzeugt werden, doch jetzt, nach nunmehr einem Jahrzehnt - zeigt sich, welches Fass die Regierungen aufgemacht haben: Die Indianer dieser geklonten Band stellen nunmehr Ansprüche, an welche die Regierungen nicht denken wollten, als sie die Anspruchskonkurrenz inszenierten.
Ähnlich wie anderen Bands in der Region nördlich des Kleinen Sklavensees wurde den Woodland Cree zugesichert, dass sie das vertraglich abgetretene Gebiet weiter auf traditionelle Weise, also jagd- und forstwirtschaftlich, nutzen könnten. Bei einer Intensivierung und Ausdehnung der Ölindustrie ist dieses Recht jedoch nicht mehr allzuviel wert.
Indianische Sandkastenspiele mit Ölprinzen
Um wenigstens in irgendeiner Weise von der wirtschaftlichen Entwicklung zu profitieren, die sie nicht aufhalten oder selbst in die Hand nehmen können, versuchen die indianischen Bands Arbeitskräfte und Maschinen - etwa für den Straßenbau - an die Erdölfirmen zu vermitteln. Doch auch dies scheitert häufig daran, dass die Arbeitskräfte nicht genug qualifiziert oder die Erdölfirmen bereits mit weißen Subunternehmern verbunden sind. Aus diesem Grund sind die Indianer der Region dazu übergegangen, von den Unternehmen Abstandszahlungen zu verlangen, wenn diese in den Jagdgebieten der Indianer ohne deren Mitwirkung tätig werden. Diese anscheinend seit Jahren übliche Praxis erregt seit einigen Monaten erst die Gemüter: Allenthalben sprechen mittelständische Unternehmer, die im Auftrag großer Konzerne arbeiten, von „Schutzgeldzahlungen“.
In diese Auseinandersetzung ist auch Pearl Calahasen, die Provinzministerin für indianische Angelegenheiten verwickelt. Der Cree-Indianerin werden enge Verbindungen zu den Woodland Cree zugeschrieben. Sie müsse von diesen illegalen Geldströmen gewusst haben hieß es in kritischen Zeitungsberichten aus der Region.
Die Lubicon Cree Indian Nation ist an diesen Vorgängen nicht beteiligt. Sie werden aber als bekannt widerspenstige Indianer mit ihren bedürftigen Nachbarn in einem Atemzug genannt. Verantwortlich ist dafür vor allem ein Erdölunternehmen namens Black Rock, dass an einer In-Situ- Ausbeutung von Ölsanden in der Nähe des Lubicon-Gebiets interessiert ist. Die Lubicon Cree protestierten bei den zuständigen Behörden gegen die Nutzung ihrer Grundwasservorkommen, hatten aber bisher damit keinen Erfolg, weil die Wassernutzung erst in einer zweiten Phase des In-Situ-Projekts geplant ist. Die Absichten von Black Rock sind recht durchsichtig: Es soll offensichtlich versucht werden, die Lubicon Cree und ihre laufenden Verhandlungen Lubicon mit der kanadischen Bundesregierung und der Provinzregierung durch Unterstellungen in Misskredit zu bringen. Bei einem Scheitern dieser Verhandlungen, so glauben manche plünderungserprobten Ölprinzen, wäre der Zugang zu Ölsanden und Grundwasservorkommen auch im Lubicon-Gebiet wieder frei.
Weitere Verhandlungsfortschritte
Nach wie vor erklären alle Verhandlungsparteien, dass die Gespräche zwischen den Lubicon Cree und den Regierungen erfolgversprechend verliefen, wenn sie auch nur langsam vorankämen. Beide Seiten betonten deshalb auch, dass eine Prognose über den möglichen Abschluss noch in diesem Jahr verfrüht sei.
Lubicon-Unterstützer in ganz Kanada starteten deshalb am 19. Februar eine landesweite Medienkampagne, um den amtierenden Ministerpräsidenten Jean Chretien an seine Versprechungen vor mehr als einem Jahrzehnt zu erinnern. Chretien hatte in seiner Zeit als Oppositionsführer immer wieder erklärt, er werde einmal im höchsten Regierungsamt die Landrechtsverhandlungen im Fall der Lubicon Cree zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Seither wurde Chretien für insgesamt drei Legislaturperioden zum Ministerpräsident gewählt. Der liberale Politiker erklärte im Herbst 2002, dass er bis Februar 2004 zurücktreten wolle, um seinem Nachfolger den Bonus des Amtsinhabers für die späteren Bundeswahlen zu verschaffen. Spätestens bis dahin soll ein Lubicon-Vertrag unter Dach und Fach sein, fordern Unterstützer in Nordamerika und Europa.