Liebe Unterstützer*innen,

wie gewohnt möchten wir Euch über jüngste Entwicklungen bzw. Veranstaltungen zur Situation der Indigenen in Nordamerika informieren.

Orange Shirt Daylink

Der 30. September wurde 2021 von Kanadas Premierminister Justin Trudeau zum “National Day of Truth and Reconciliation” ausgerufen. Die Indigenen begingen den Tag bereits seit 2013 als “Orange Shirt Day” in Erinnerung an die “Survivors” (Überlebenden) der Residential Schools, jener Internate, welche die indigenen Kinder in die kanadische Gesellschaft zwangsassimilieren sollten. Der Tag geht zurück auf die traumatische Erfahrung von Phyllis Webstad, welche von ihrer Großmutter ein orange-farbenes T-Shirt für ihre “Einschulung” geschenkt bekam, das ihr bei der Ankunft in der St. Joseph’s Residential School weggenommen wurde — so wie ihre Kultur und Sprache. Das “Orange Shirt” wurde so zum Sinnbild der Zwangsassimilierung.

Vortrag “Kill the Indian in the Child”link

Im Vorfeld des “Orange Shirt Day” konnte ich für den Humanistischen Campus einen Online-Vortrag halten und über die historischen Hintergründe berichten, die Ereignisse in den “Schulen” (die eher als Erziehungslager bezeichnet werden müssten) darlegen und analysieren, wie Kanada und die christlichen Kirchen mit diesem kolonialen Erbe und ihrer Schuld gegenüber den Indigenen umgehen.

Geblieben ist ein Trauma, das die Indigenen über Generationen hinweg verfolgt: Sie wurden mit Polizeigewalt aus ihren Familien gerissen und in Internate gesteckt, ihre Köpfe wurden geschoren, sie durften ihre Sprache nicht sprechen, waren Hunger, Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt: 150.000 indigene Kinder durchliefen dieses Schicksal in den Residential Schools in Kanada. Die erste dieser Institutionen eröffnete 1831, die letzte schloss 1997. Das erklärte Ziel dieser Einrichtungen — unter Leitung und mit missionarischem Eifer der christlichen Kirchen — war die völlige Assimilation der indigenen Völker. “Kulturellen Völkermord” nannte es die Truth and Reconciliation Commission in ihrem Abschlussbericht 2015. Doch es sollte noch lange dauern, bis die Öffentlichkeit bereit war, das Menschenrechtsverbrechen inmitten der kanadischen Gesellschaft wahrzunehmen. Erst die Funde von Hunderten von anonymen Gräbern an den früheren Residential Schools 2021 schreckte die Weltöffentlichkeit auf. Wer betrieb diese Einrichtungen, welche Ziele verfolgten die Verantwortlichen, wurden die Täter je zur Rechenschaft gezogen und wie gehen die Betroffenen selbst mit diesem Trauma um?

Der Vortrag ist hier onlinelink-external zu sehen.

“Deskadeh: Indigene und die Vereinten Nationen”link

Präsenz-Vortrag am 07.11.2023

Vor genau 100 Jahren reiste der Cayuga Chief Deskaheh (Levi General, 1873 — 1925) im Namen der Haudenosaunee nach Genf, um beim damaligen Völkerbund vorzusprechen und die Rechte der indigenen Völker einzufordern. Damals wurde er nicht vorgelassen, um als erster Indigener vor der Weltgemeinschaft zu sprechen.

2007 verabschiedeten die Vereinten Nationen (gegen den Widerstand der USA, Kanadas, Australiens und Neuseelands) die Deklaration der Rechte der Indigenen Völker. Heute sind die Indigenen zahlreich und entschlossen bei den verschiedenen UN-Gremien präsent, doch bis dahin war es ein langer und beschwerlicher Weg. Das Ziel der Anerkennung als indigene Nationen — gleichberechtigt etwa zu den Kolonialstaaten USA und Kanada — ist damit allerdings noch nicht erreicht, auch wenn die Indigenen, u.a. insbesondere die Haudenosaunee, seit Jahrzehnten darum kämpfen.

Der Vortrag berichtet über Deskahehs Reise, zeichnet die Präsenz der Indigenen bei den Vereinten Nationen nach und analysiert deren gegenwärtige Stellung innerhalb des UN-Systems.

Dienstag, 07.11.2023 um 1900 Uhr, EineWeltHaus München, Eintritt frei (Spenden erwünscht).

Coyote 134/135link

Das lange Warten hat sich gelohnt: Der neue Coyote ist als Doppelnummer erschienen und geht nun auf dem Postweg zu den Abonnent*innen.

Das Themenspektrum ist gewohnt breitgefächert — Politik und Kultur sind eng verknüpft, und in beiden Bereichen gibt es über viele Entwicklungen zu berichten.

Neben einem (ersten) Rückblick auf die diesjährige Sitzung der UN Permanent Forum on Indigenous Issues werfen wir einen Blick auf die jüngsten Initiativen der Biden-Administration, u.a. Schutzmaßnehmen für Grand Canyon, Chaco Canyon oder auch in Alaska.

Wie dringend der verstärkte Schutz indigenen Landes ist, zeigten auch die verheerenden Waldbrände, welche vor allem in Kanada riesige Flächen zerstörten und damit indigene Lebensweise und Kultur bedrohen. Die Auswirkungen des Klimawandels auf die indigenen Völker sind nicht zu leugnen, doch vermeintlich nachhaltige Maßnahmen erweisen sich nicht selten als blankes “Greenwashing”, wie sich am Beispiel der Lithium-Gewinnung am Thacker Pass in Nevada zeigt. Gegen den Widerstand der Paiute und Shoshone soll der für die Batterieherstellung unverzichtbare, aber zugleich nicht nachwachsende Rohstoff abgebaut werden, der vor allem in Elektroautos Verwendung findet. Der Lithium-Abbau auf dem Land der Indigenen ist ein typisches Beispiel, das auch uns in Europa an unsere Verantwortung gemahnt — das erinnert nicht zufällig an den Uranabbau auf indigenem Land, um unsere AKWs zu bestücken.

An die Folgen des nuklearen Wahnsinns erinnerte auch der Besuch einer Delegation der Marshall Islands Educational Initiative, welche über das nukleare Erbe auf den Pazifikinseln berichteten.

Ein anhaltendes Thema bleibt die Unterstützung der Wet’suwet’en gegen die Coastal GasLink auf ihrem traditionellen Territorium in British Columbua. Die Hereditary Chiefs haben sich klar gegen die Gaspipeline ausgesprochen und die Indigenen leisten entschiedenen Widerstand. Ihr Protest wird immer wieder kriminalisiert. Gegen mehrere Land Defenders wurden Gerichtsklagen angestrengt.

Wir möchten daher auch auf eine Petitionlink-external von Amnesty Internationallink-external aufmerksam machen.

Eine Botschaftlink-external des Hereditary Chiefs der Wet’suwet’en, Na`Moks findet sich hier.

Gleich zwei Erfolge gibt es aus den USA zu berichten: das siegreiche Urteil des US Supreme Court zur Aufrechterhaltung des “Indian Child Welfare Act” (ICWA) und den Abbau der Staudämme am Klamath River, welcher die Rückkehr der Lachse ermöglichen soll, die im Zentrum der Kultur und Lebensweise der indigenen Völker im Norden Kaliforniens stehen.

Zwei Nachrufe gelten dem erfolgreichen Musiker und Komponisten Robbie Robertson (Mohawk) und Ada Deer (Menominee), welche wesentlichen Anteil an der Wiederanerkennung ihres Volkes hatte.

Zu den kulturellen Highlights zählten zwei Ausstellungen indigener Gegenwartskunst: Jaune Quick-to See Smiths “Memory Map” und “Being Legendary” von Kent Monkman.

Das Thema der “Missing and Murdered Indigenous Women”, das in der nächsten Ausgabe wieder ausführlicher behandelt werden wird, ist mit einer Rezension des Buches “Unforgotten” von Angela Sterritt vertreten. Die Autorin und Journalistin, die selbst indigener Gitxsan-Herkunft ist, verknüpft ihre Lebensgeschichte mit der Darstellung der Situation der indigenen Frauen und ermöglicht somit einen besonderen Einblick in die Problematik.

Last, but not least berichtet Michael Koch (Tokata e.V.) von den Gedenkveranstaltungen zu Leonard Peltier, die im September seinen 79. Geburtstag feierte — und als politischer Gefangener noch immer auf seine Freiheit warten muss.

Coyote-Abonnementlink

Leider haben sich die Kosten für den Coyote deutlich erhöht. Der Versand eines Heftes kostet nun, nachdem die Deutsche Post günstigere Versandmethoden eingestellt hat, innerhalb Deutschlands €1,60, in die Schweiz oder nach Österreich sogar ungeheuerliche €3,70. Auch die Preise für den Druck sind gestiegen. Da wir jedoch entschlossen sind, den Coyote als einziges deutschsprachiges Magazin zur Situation der nordamerikanischen Indigenen weiterhin zu publizieren, bitten wir um Spenden!

Neu: Coyote als PDFlink

Wer den Coyote lieber digital lesen möchte, um die heimischen Papierstapel zu reduzieren, kann das Magazin auch als PDF bestellen. Der Abo-Preis bliebe zwar weiterhin bei 26,- bzw. 28,- Euro pro Jahr, würde uns jedoch die (stetig steigenden) Portokosten ersparen.

Da wir uns nicht selbst Konkurrenz machen wollen, wird die PDF-Ausgabe mit einem Copyright-Wasserzeichen versehen, um kostenlose Verbreitung zu verhindern, denn das Magazin wird ja ausschließlich in ehrenamtlicher Tätigkeit verfasst, und das bedeutet viel Arbeit.

Ein PDF-Abo wäre so eine hervorragende Möglichkeit, unsere Arbeit zu unterstützen und gleichzeitig aktuelle und umfassende Informationen zu erhalten, ohne den Papierberg wachsen zu lassen. Aber natürlich wird der Coyote weiterhin auch als Printausgabe erhältlich sein.

Maga-Fan feuert Schüsse auf indigenen Aktivistenlink

Am 28. September kam es zu einem gewalttätigen Übergriff, als ein Trump-Fan (mit “Make American Great Again”-Basecap) und Q’Anon-Anhänger auf einen indigenen Aktivisten schoss und ihn schwer verletzte. Jacob Johns (Hopi/Akimel O’odham) wurde sofort ins Krankenhaus nach Albuquerque geflogen und befindet sich in kritischem, aber stabilen Zustand. Der Schütze, der 23-jährige Ray Martinez, konnte zunächst in seinem Wagen fliehen, wurde aber kurz darauf gestellt und befindet sich im Rio Arriba County Jail.

Nach der Ermordung von George Floyd durch den weißen Rassisten Derek Chauvin vom Minneapolis Police Department im Mai 2020 wurden im ganzen Land Statuen kolonialer Gestalten vom Sockel geholt, u.a. wurde eine Kolumbusstatue in Minnesotas Hauptstadt St. Paul gestürzt.

In Espanola, New Mexico, geriet die Statue von Juan de Oñate y Salazar ins Ziel. Der spanischen Konquistator wurde 1599 New Mexicos erster Kolonialgouverneur und beging zahlreiche Grausamkeiten gegen die Acoma Pueblo beging. De Oñate y Salazar ließ 1000 Indigene ermorden, versklavte indigene Frauen und verstümmelte viele weitere. Die Bezirksverwaltung von Rio Arriba fürchtete um die Sicherheit der Statue, ließ sie daher demontieren und einlagern. Nun wollte die Bezirksverwaltung die Statue wieder aufstellen, was den Protest der Indigenen hervorrief. Die Behörde verschob daraufhin die Wiederaufstellung der Statue, und die rund 60 Indigenen, die sich zum Protest versammelt hatten, feierten ihren Triumph. In diesem Moment zog Martinez eine Waffe und schoss auf Johns, einem indigenen Umweltaktivisten, der aus Spokane, Washington, angereist war.

Die Tat belegt auf traurige Weise die Gespaltenheit der US-Gesellschaft, die sich vermutlich noch verstärken wird, je näher die nächste Präsidentschaftswahl im November 2024 rückt. Die Indigenen sind mal wieder Opfer am Rande.

Dakota Access Pipelinelink

Mit Amtsantritt von Donald Trump wurde die Dakota Access Pipeline (DAPL) des Betreibers Energy Transfer Partners, welche Öl von der Bakken Ölfeldern in North Dakota über fast 1.900 km quer durch South Dakota und Iowa bis nach Illinois transportiert, per Präsidentenerlass gegen erheblichen Widerstand von Indigenen, Umweltschützern und sogar US-Bundesstaaten durchgesetzt. Der Kampf gegen die Pipeline und die damit verbundene Bedrohung des Trinkwassers aus dem Mississippi rief in den USA die größten indigenen Protestaktionen der letzten Jahrzehnte hervor – doch der Widerstand der Indigenen geht weiter.

Obwohl die Pipeline seit 2017 in Betrieb ist, hatte ein Gericht im März 2020 das für die Genehmigung erforderliche bestehende Umweltgutachten für unzureichend erklärt und eine Überarbeitung gefordert. Das Urteil widerrief insbesondere die Durchquerung des Mississippi stromaufwärts der Standing Rock Sioux Reservation in North Dakota. Das für die Ausfertigung zuständige Army Corps of Engineers legt zwar Mitte September 2023 ein neues Gutachten vor, doch wurde dabei die geforderte Option einer alternativen Pipeline-Route, die neue Genehmigungsverfahren erfordern würde, ignoriert.

Die Öffentlichkeit ist nun aufgefordert, zu dem Gutachten bis 13. November 2023 Stellung zu nehmen. Dies könnte die letzte Möglichkeit sein, die bestehende Pipeline noch zu stoppen, weshalb das Lakota People’s Law Project und der Standing Rock Sioux Tribe um Unterstützung bitten und eine Online-Petition gestartet haben: https://standingrock.org/dapl-eis/link-external

Freispruch für Land Defenderslink

Am 19. September 2023 wies Richterin Leslie Metzen vom Bezirksgericht in Minnesota die Klagen gegen Winona LaDuke, Tania Aubid und Dawn Goodwin ab. Die indigenen Aktivistinnen und Land Defenders waren 2021 während friedlicher Proteste gegen die Line 3 Pipeline des Unternehmens Enbridge an den Ufern des Mississippi verhaftet worden vorgeworfen worden. Enbridge hatte daraufhin gegen die drei Frauen geklagt — und nun verloren. Die Richterin erklärte, es wäre ein “Verbrechen, sie wegen ihres Widerstands zu verurteilen”, denn sie hatten lediglich ihren Protest auf dem traditionellen Land der Anishinaabe bekundet, indem sie sangen, tanzten und beteten.

In Solidarität mit den indigenen Völkern und ihrem Recht auf Selbstbestimmung!

Herzliche Grüße

Monika Seiller

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Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V. (AGIM) ist ein gemeinnütziger Verein (gegr. 1986) zur Unterstützung der Rechte der indigenen Völker Nordamerikas und Herausgeberin des Magazins Coyote.

AGIM e.V. (Action Group for Indigenous and Human Rights, est. 1986) is a non-profit human rights organization dedicated to supporting the right to self-determination of Indigenous peoples in North America. We publish a quarterly magazine Coyote.

Bankverbindung: IBAN DE28 7015 0000 0017 2234 70 / BIC: SSKMDEMM / Stadtsparkasse München

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