Winnetou war für Generationen deutscher Kinder ein Held — für mich nicht, denn ich fand Karl Mays Stories langweilig. Als Vorsitzende einer NGO, die sich seit fast vier Jahrzehnten für das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker in Nordamerika engagiert, also einer explizit politischen Menschenrechtsorganisation, habe ich jedoch erfahren, wie viele Menschen über Karl May zu einem echten und aufrichtigen Interesse an indigenen Völkern und deren realen, aktuellen Situation gefunden haben.
Nun hat der Ravensburg-Verlag für Aufmerksamkeit gesorgt, indem er nicht nur die Buchausgabe von “Der junge Winnetou” aus dem Sortiment genommen hat, sondern auch pauschal erklärt, mit dem Begriff „Indianer“ wolle man nichts mehr zu tun haben, denn der Begriff sei rassistisch. Nein, denn der Begriff ist — im Gegensatz zu den USA oder Kanada — im deutschen Sprachgebrauch keineswegs rassistisch oder diskriminierend, sondern äußerst positiv besetzt — und jedes Kind weiß bei uns, dass der Begriff falsch ist, weil der “Entdecker” Kolumbus voll daneben lag, indem er sich einfach verirrt hatte und glaubte, einen Seeweg nach Indien gefunden zu haben. Stattdessen landete er auf “Turtle Island”, jenem Kontinent, den wir seitdem ebenfalls völlig falsch “Amerika” nennen. Fordert irgendwer die Umbenennung eines Kontinents, weil dessen Bezeichnung rassistisch sei? Nein.
Aber über die indigenen Interessen und Ansichten hinweg, nehmen deutsche Besserwisser für sich in Anspruch, sie könnten über Begrifflichkeiten entscheiden, ohne jemals mit den Betroffenen Kontakt aufzunehmen. Auf der Webseite des Ravensburg-Verlags gibt es nicht einmal eine Pressemitteilung zu der jüngsten Entscheidung, den Begriff “Indianer” als rassistisch abzulehnen. Es bleibt ernsthaft zu bezweifeln, dass irgendwer vom Verlag überhaupt jemals Kontakt zu “den” Indigenen aufgenommen hat, um deren Meinung zu erfragen.
“Wir haben uns den Begriff verdient”, scherzte Kanadas wohl prominentester indigener Dramatiker Drew Hayden Taylor, Anishinaabe der Curve Lake First Nation. Ich habe mit vielen Indigenen die Frage nach der Begrifflichkeit diskutiert, und alle, mit denen wir politisch seit Jahrzehnten zusammenarbeiten, haben erklärt, dass all diese Bezeichnungen — Native Americans, American Indian, First Nations, NDN, Aboriginals oder Indigene — ohnehin nur Konstrukte sind. Diese Diskussionen dienen nach ihrer Einschätzung aber nur der Ablenkung, um von den wirklichen Problemen abzulenken — Ölförderung und Pipelines auf indigenem Land, Ressourcenausbeutung, Zerstörung indigenen Landes, radioaktive Verseuchung, Wasserverseuchung, Armut, Gewalt an indigenen Frauen und alltäglicher systemischer Rassismus.
“Proud to be Indian” gilt übrigens auch für die erste indigene Innenministerin der USA, Deb Haaland, die sich selbst als “Indian” bezeichnet — so wie das American Indian Movement (AIM), die erste und wichtigste Zeitung “Indian Country Today” und viele andere indigene Organisationen, die den Begriff “Indian” noch im Namen tragen, denn sie haben wichtigere Kämpfe auszutragen als falsch verstandene weiße “politische Korrektheit”.
Wir wollen keinen Beifall von falscher Seite — weder von der Bild-Zeitung noch der AfD — aber die Frage sei erlaubt, wer von denjenigen, die hysterisch den Begriff “Indianer” ablehnen, sich jemals ernsthaft mit der Frage beschäftigt hat, mit welchem Gewissen wir denn rechtfertigen wollen, dass wir das Uran für unsere AKWs u.a. von indigenem Land in Saskatchewan beziehen und jetzt auch noch Fracking-Gas aus Kanada — ebenfalls von indigenem Land — nutzen wollen, um unsere “Energiesicherheit” zu decken. Nein, davon redet keiner, aber wir wollen wieder einmal wissen, was besser für die Indigenen ist? Das ist wirklicher Rassismus und koloniales Denken.
Das letzte Wort soll noch einmal Drew Hayden Taylor haben: