Seitdem erinnert dieser Tag an die Lage der weltweit rund 6.000 indigenen Völker mit ihren etwa 476 Millionen Angehörigen. Besonders der Illegale Abbau natürlicher Ressourcen, die Folgen des Klimawandels, systematische Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung sowie Landraub und Invasionen auf ihre Territorien gefährden indigene Völker weltweit.
Das diesjährige Thema lautet: “Die Rolle indigener Frauen für die Bewahrung und Weitergabe traditionellen Wissens”. Gerade in den indigenen Gemeinschaften Nordamerikas genießen die Frauen eine besondere Stellung und Wertschätzung als Hüterinnen traditionellen Wissens. Umso verhängnisvoller ist es, dass vor allem indigene Frauen Ziel und Opfer systemischen Rassismus sind, der sich nicht zuletzt in der erschreckend hohen Zahl von Femiziden an indigenen Frauen manifestiert — allein in Kanada wurden in den letzten drei Jahrzehnten rund 4.000 indigene Frauen und Mädchen ermordet; die Situation in den USA ist ebenfalls besorgniserregend. Viele der ermordeten indigenen Frauen und Mädchen in den USA und Kanada fehlen in ihren Gemeinschaften als Trägerinnen des Wissens. Zwangssterilisationen von indigenen Frauen und Mädchen sollten ebenfalls dazu beitragen, diese Wissens- und Traditionslinien zu brechen. Sie sind zudem ein Mittel des Völkermords. Die Vereinten Nationen haben wiederholt die Gewalt an indigenen Frauen in Kanada und den USA scharf kritisiert und die Regierungen aufgefordert, wirksame Maßnahmen zum Schutz der indigenen Frauen zu ergreifen.
Der Papstbesuch Ende Juli 2022 in Kanada lenkte auch bei uns die Aufmerksamkeit auf die verheerende Geschichte der dortigen 139 Residential Schools, die bis 1996 zumeist von der katholischen Kirche geleitet wurden. Auch hier hinterließen die Mädchen, die in kanadischen Residential Schools oder US-amerikanischen Boarding Schools starben, eine schmerzliche Lücke, denn sie konnten niemals ihre traditionelle Rolle wahrnehmen, Wissen, Tradition und Kultur ihrer Völker an die nächsten Generationen weiterzugeben.
Doch diese Angriffe gegen die indigenen Kulturen gehören längst nicht nur der Vergangenheit an. Jede Zwangsassimilierung in (weißen) Pflegefamilien, staatlichen Einrichtungen oder durch Adoptionsprogramme durchbricht die Traditionslinie — heute sind mehr als die Hälfte aller Kinder in Kanada, die von ihren Familien getrennt und in “Obhut” gegeben werden, indigener Herkunft, obwohl sie nur 7% der minderjährigen Bevölkerung stellen.
Die Vereinten Nationen haben für 2022—2032 zur internationalen Dekade der indigenen Sprachen erklärt. Durch die Residential Schools, in den es indigenen Kindern untersagt war, ihre Sprache zu sprechen und durch die Assimilierungspolitik sind die indigenen Sprachen stark bedroht. Die UNESCO prognostiziert, dass 90% der heutigen Sprachen bis zum Ende des Jahrhunderts unwiederbringlich verschwunden sein werden.
Auch in Zeiten von Klimawandel und Ukrainekrieg dürfen wir die Situation der indigenen Völker nicht vergessen. Der 9. August ist nicht nur der Tag der indigenen Völker, sondern auch der Gedenktag für den Atombombenabwurf auf Nagasaki. Die nukleare Bedrohung ist in diesen Tagen besonders brisant. Jahrzehntelang wurden die Atombombenabwürfe auf dem Land der indigenen Völker getestet, z.B. auf dem Land der Western Shoshone in Nevada. Ohne Uran hätte es die Atombomben nicht gegeben — und keine Atomkraftwerke. Wenn jetzt über bei uns über Laufzeitverlängerungen der AKWs diskutiert wird, sollte man nicht vergessen, dass das Uran auch auf dem Land indigener Völker, etwa im kanadischen Saskatchewan, gewonnen wird.
Die UN-Deklaration der Rechte der indigenen Völker und die ILO-Konvention 169 wurden beide von Deutschland unterzeichnet. Ausbeutung und Zerstörung indigenen Landes widersprechen diesen internationalen Übereinkommen. Dieser Verantwortung müssen wir uns bewusst sein.
Monika Seiller
Vorsitzende der Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V.
Kontakt: +49-173-9265932