Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer,
die letzten Wochen waren wieder einmal so ereignisreich, dass ich gar nicht weiß, wo ich beginnen soll, denn trotz Corona gehen die Aktionen zur Unterstützung der indigenen Völker Nordamerikas natürlich weiter – manche ganz real, andere pandemiebedingt digital.
Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen
Am 25.11. nahmen rund 370 Demonstrant*innen an der Demo durch München statt, um gegen Gewalt an Frauen aufzustehen. Die Resonanz beim Marsch durch die Wohnviertel des Stadtteils Haidhausen war äußerst positiv und lässt hoffen, dass das Thema auch langsam in der Gesellschaft stärkeren Widerhall findet. Seit Jahren sind auch wir Teil des Münchner Bündnis8.März und im Organisationsteam der jährlichen Demos beteiligt. Natürlich machten wir bei der Kundgebung auf dem Bordeauxplatz insbesondere auf die anhaltende Gewalt an indigenen Frauen aufmerksam. Wichtig ist uns vor allem darauf hinzuweisen, dass indigene Frauen nicht nur Opfer sind, sondern Kämpferinnen, die sich für den Erhalt indigener Lebensweise und Kultur sowie zum Schutz ihres traditionellen Landes engagieren, das sie insbesondere gegen Ausbeutung der Rohstoffe verteidigen.
REDress-Projekt
Einige der Demonstrant*innen unterstützten uns bereits am 8. November, als wir ebenfalls auf dem Bordeauxplatz eine Mahnwache für die ermordeten und verschwundenen indigenen Frauen abhielten. Seit Jahren wird in ganz Nordamerika der Missing and Murdered Indigenous Women and Girls gedacht, indem rote Kleider aufgehängt werden, die auf die Leerstelle aufmerksam machen, welche die indigenen Frauen hinterlassen, die ermordet wurden oder verschwunden sind.
Das Projekt bzw. die Installation wurden sehr positiv aufgenommen und wir hoffen, die Installation auch an anderen Orten fortzusetzen (bei Interesse bitte melden), denn die Aktion lässt sich auch in Corona-Zeiten umsetzen, da sie nicht auf direkten Kontakt angewiesen ist.
Leider bleibt das Thema trotz aller Kampagnen und Aktionen weiterhin aktuell. Es handelt sich dabei nicht allein um sexuelle Gewalt, sondern um systemischen Rassismus der kanadischen und amerikanischen Mehrheitsgesellschaften, die sich des kolonialen Erbes vielfach nicht bewusst sind oder Diskriminierung und Rassismus bewusst ignorieren. Vor allem die Arbeitercamps, in denen die Männer untergebracht sind, die am Pipeline-Bau (z.B. entlang Coastal GasLink oder der Trans Mountain Pipeline in British Columbia) arbeiten, stellen eine Bedrohung für die indigenen Frauen bei – und die Arbeiten gehen trotz Corona weiter.
Tod im Krankenhaus
Besonders schockierend ist auch das Schicksal von Joyce Echaquan, einer Attikamekw, welche Ende September 2020 ein Video live streamte, das zeigte, wie sie in einem Quebecer Krankenhaus rassistischen Beschimpfungen durch Krankenschwestern ausgesetzt war, obwohl sie unter quälenden Schmerzen litt. Nur kurz darauf verstarb die 37-jährige siebenfache Mutter. Das Video ging viral und beherrschte die Schlagzeilen im ganzen Land. Inzwischen ist eine Untersuchung der Todesursache und -umstände eingeleitet. Zwei der Krankenschwestern wurde gekündigt.
Seit Jahren steht das kanadische Gesundheitssystem in der Kritik, in dem Indigene vernachlässigt oder gar diskriminiert werden. Joyce ist längst nicht das einzige Opfer, denn das System der „Indian Hospitals“, das bis in die 1990er Jahre reichte, erinnert an das grausame System der Residential Schools, der Internatsschulen, in denen die indigenen Kinder „zivilisiert“ werden sollten.
Aktionsaufruf
- LANDBACK Coast to Coast Action Week 23.-29. November 2020
Wie stark die indigenen Frauen sind, zeigt sich an der Aktionswoche, welche unter dem Motto „#LandBack Coast to Coast Action Week“ zum Widerstand gegen die Zerstörung indigenen Landes und indigener Rechte mobilisieren will. Vor allem die Frauen sind die treibende Kraft, sowohl hinter dem Widerstand der Wet’suwet’en gegen die Coastal GasLink als auch der Tiny House Warriors gegen die Trans Mountain Pipeline – beide durchziehen British Columbia. Anders als im Rest Kanadas gab es in British Columbia keine Verträge mit denen Indigenen, d.h. die First Nations haben ihre Landrechte niemals abgetreten oder verloren, wie die Gerichtsurteile, z.B. die Delegamuukw-Decision oder auch das Urteil zu den Rechten der Tsilquot’in bestätigten. Dennoch mussten und müssen die Indigenen unter der Ressourcengier leiden – vom Kahlschlag bis zu Pipelines.
Wie schon bei Idle No More oder der „Shut Down Canada“-Kampagne geht es nicht allein um bestimmte Regionen oder Projekte, sondern um die Rechte der Indigenen im ganzen Land, d.h. auch der Landrechte der Six Nations in Caledonia oder der Fischereirechte der Mi‘kmaq in Nova Scotia, die sich augenblicklich rassistischen Angriffen ausgesetzt sehen. Ein Video auf YouTube erklärt die Hintergründe der Aktionswoche: https://youtu.be/-OIx7cKRu9M
Kanahus Manuel, Tochter des verstorbenen Art Manuel und eine der Gründerinnen der Tiny House Warriors, ruft uns als Europäer*innen explizit zur Unterstützung auf. Sie bittet darum, möglichst breit in den sozialen Medien Unterstützungsbilder zu posten. Der indigene Widerstand wird zunehmend kriminalisiert und die RCMP geht brutal gegen indigene Aktivisten vor, weshalb es wichtig ist, Kanada zu zeigen, dass wir die Vorgänge in Kanada genau beobachten.
Beispiel für Transparente zum Posten in den sozialen Medien:
Solidarity with #LandBack Coast to Coast Action Week
Stop Transmountain Pipeline!
Stop Coastal GasLink!
Stop Criminalization of Indigenous Resistance!
Stop police violence against Indigenous land defenders”
US-Wahl
Auch in den USA können die indigenen Frauen Erfolge verbuchen – so konnten Deb Haaland (Laguna Pueblo; New Mexico) und Sharice Davids (Ho-Chunk, Kansas), die 2018 als erste indigene Frauen in das US-Repräsentantenhaus gewählt wurden, mit großer Mehrheit ihre Wahlkreise während der US-Wahl im November 2020 verteidigen. Insgesamt konnten sich sechs Indigene im Wahlkampf durchsetzen. Neu gewählt wurden Yvette Herrell (Cherokee), die ebenfalls für New Mexico in den Kongress einzieht, und Kaiali’i Kahele, der Hawaii vertritt. Während die vier zuvor genannten Abgeordneten der demokratischen Partei angehören, hielten auch zwei indigenen Republikaner Einzug in den Kongress: Tom Cole (Chickasaw) und Markwayne Mullin (Cherokee) aus Oklahoma. Noch nie gab es so viele indigene Kandidaten bei einer US-Wahl.
Während Joe Biden die ersten Posten seines künftigen Kabinetts verkündete, laufen unterdessen Petitionen, die sich für Deb Haaland als erste indigene Innenministerin einsetzen. Nachdem die Indigenen in den USA 1924 ungefragt zu US-Bürgern (zweiter Klasse) deklariert wurden, wäre es in der Tat längst überfällig und ein wichtiges Zeichen, eine indigene Politikerin zur Innenministerin der USA zu machen, denn bis heute ist das Innenministerium in vielfältiger Weise durch sein Büro für indianischen Angelegenheiten (BIA) für die Indigenen „verantwortlich“.
Petition: https://actionnetwork.org/petitions/deb-haaland-for-secretary-of-the-interior?nowrapper=true&referrer=&source=
Für Protest sorgte allerdings einmal mehr die Ignoranz gegenüber indigenen Wählern, die sich in Bundesstaaten wie Arizona als Zünglein an der Waage entpuppten, denn das wichtige eine Prozent, das Biden zum Sieg gegenüber Trump verhalf, entspricht der Wählergröße der Indigenen. In den Aufstellungen des Wählerverhaltens, das nach ethnischer Zugehörigkeit gelistet wurde, unterlief CNN ein peinlicher Fehler: Neben den Kategorien der weißen Wähler, Schwarzen und Hispanics, wurden die Indigenen lediglich unter „Andere“ subsumiert, was sofort den Protest der Indigenen erregte, woraufhin sich CNN auch entschuldigte und nachbesserte.
Neue Hoffnung nach der US-Wahl
Mit der Wahl Joe Bidens verbinden sich neue Hoffnungen. So hatte Biden im Wahlkampf wiederholt versprochen, den Klimawandel erneut auf die Tagesordnung zu setzen, sich wieder zum Pariser Klimaabkommen zu bekennen und vor allem sich von der Fracking-Politik seines Vorgängers abzuwenden. Auch erklärte er die Ablehnung der Keystone XL Pipeline, die Obama zwischenzeitlich gestoppt, aber Trump per präsidentieller Anordnung vorangetrieben hatte. Auch wenn Kanada, das vom Export seines Teersandöls in die USA abhängig ist, jüngst einige Indigene auf seine Seite ziehen konnte, ist die Mehrheit der Indigenen geschlossen gegen die KXL und hofft, damit auch ein Ende der Dakota Access Pipeline einzuleiten.
Angesichts der Wirren der Amtsübergabe bzw. des Beharrens Trumps, er habe die Wahl gewonnen, lässt sich schwer abschätzen, welche Maßnahmen der noch-Präsident durchsetzen kann. In seiner Befürwortung der Pebble Mine in Alaska ist Trump gerade vor Gericht gescheitert, dagegen versucht er die Erhöhung des Shasta-Damms in Kalifornien, gegen den sich die Wintu seit Jahren wehren, ebenso durchzupeitschen wie die Ölförderung in Alaska.
Alle diese Themen werden im Detail in der nächsten Ausgabe des „Coyote“ behandelt, die als Doppelnummer im Dezember erscheinen wird. Dabei geht es auch um zahlreiche Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt – sowohl von indigenen als nicht-indigenen Autorinnen und Autoren, die leider wegen Corona ihre Werke nicht persönlich auf der abgesagten Frankfurter Buchmesse vorstellen konnten, bei der Kanada als Gastland fungieren sollte. Das wurde nun auf das nächste Jahr verschoben und wir hoffen, dass wir dann auch wieder indigene Gäste begrüßen dürfen.
In Solidarität mit den indigenen Völkern
Monika Seiller
Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V.
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Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V. (AGIM) ist ein gemeinnütziger Verein (gegr. 1986) zur Unterstützung der Rechte der indigenen Völker Nordamerikas und Herausgeberin des Magazins COYOTE.
AGIM e.V. (Action Group for Indigenous and Human Rights, est. 1986) is a non-profit human rights organization dedicated to supporting the right to self-determination of Indigenous peoples in North America. We publish a quarterly magazine COYOTE.
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