Alootook Ipellie und Hans-Ludwig Blohm zu Gast in München
von Robert Stark
(veröffentlicht 2/2006)
Am Donnerstag, den 29.06. 2006 bot eine Veranstaltung im Amerika-Haus die Gelegenheit zwei prominente Kanadier persönlich kennenzulernen. Zum einen den vielfach talentierten Inuit Alootook Ipellie: Als Journalist, Cartoonist und Dichter hat er sich sowohl bei den Inuit als auch bei den weißen Kanadiern Respekt und hohes Ansehen erworben. Er beherrscht sowohl seine Muttersprache als auch das Englische meisterhaft und versteht sich darauf, durch feine sprachlich Nuancen seinem Publikum auf subtile Weise anregende Botschaften mit auf den Weg zu geben. Umgekehrt vermag „Al“, wie er auch gerne kurz genannt wird, in seinen Cartoons auf ungleich drastischere Weise Missstände anzuprangern oder menschliche Schwächen visuell auf den Punkt zu bringen.
Der zweite Gast war der engagierte, deutschstämmige „Starphotograph“ Kanadas, Hans-Ludwig Blohm. Bisher fanden 17 seiner Aufnahmen als Motive für kanadische Briefmarken Verwendung, was die hohe Wertschätzung seines Könnens belegt. Von besonderer Bedeutung ist jedoch sein Engagement für die Ureinwohner der amerikanischen Arktis, deren moderne Lebenswelt er in vielen Bildern eindrucksvoll dokumentiert hat. Als Herausgeber einer vorzüglichen Anthologie mit zahlreichen Texten prominenter Vertreter der Inuit-Kultur hat er dazu beigetragen, dass die Stimme seiner Freunde im In- und Ausland deutlicher wahrgenommen wird als bisher (Die Stimme der Ureinwohner. Der kanadische Norden und Alaska. Verlag M. und H. von der Linden GbR, Wesel 2002. Vgl. Besprechung in Coyote 4/02).
Beide Künstler hatten bereits eine anstrengende „Deutschlandtournee“ mit sieben Stationen hinter sich, was der Frische ihres Vortrags jedoch nicht anzumerken war. Trotz ausgesprochen regnerischen Wetters fanden sich immerhin 20 Zuhörer im Amerika-Haus ein. Für Ihren Weg durch die widrigen Witterungsverhältnisse wurden sie schließlich durch zwei eindrucksvolle Darbietung belohnt.
Nach einer Begrüßung durch die Vize-Konsulin Kanadas in München, Danielle Sabourin, stellte Hans-Ludwig Blohm einen bunten Reigen von Bildern aus seinem umfangreichen Schaffen vor. Überraschend war dabei die Vielfalt der Themen und experimentellen Ansätze, die teils verblüffende Ergebnisse zum Resultat hatten. Ganz gleich, ob es darum ging, die Persönlichkeit eines Ureinwohners einzufangen, die Härte des arktischen Winters auf das Bild zu bannen oder in Makroaufnahmen die verborgene Schönheit und Struktur eines Eiskristalls bzw. die Faszination der „Architektur“ eines Mikrochip zu erfassen: in allen Aufnahmen war das kreative Ringen eines Künstlers zu spüren, der das Wesen des dargestellten Gegenstands zu erfassen sucht. Mitunter war auch nur spielerische Freude am zufälligen Entdecken und Festhalten prächtiger Farbenspiele am Werk, gleich einem Kind, das sich am Drehen eines Kaleidoskops erfreut. Geradezu unglaublich wie manche Aufnahmen vor vielen Jahren unter denkbar schwierigsten Bedingungen und mit einfacher mechanischer Ausrüstung entstanden sind, z.B. bei Minustemperaturen bis zu 60 Grad Celsius oder bei Schneewehen, die das Objektiv nur für Bruchteile von Sekunden unbehelligt ließen.
Ein Lieblingsthema von Hans-Ludwig Blohm ist der Kontrast zwischen Moderne und Tradition, der im Leben der Inuit eine große Rolle spielt. Wenn Hans-Ludwig Blohm mehr nachdenklich stimmende Kontraste darstellt, gerät das gleiche Thema bei Alootook Ipellie ungleich dramatischer zur drastischen Darstellung eines schmerzhaft empfundenen Konflikts, der zugleich ein Hauptgegenstand seines Schaffens ist. Er ist eine der Triebfedern zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der eigenen Wirklichkeit und diese ein Mittel zur Bewältigung der aus dem Konflikt resultierenden Spannungen, die oft eine regelrechte Zerreißprobe darstellen. Mitunter scheinen diese Konflikte jedoch wie weggeblasen und aus einzelnen Bilder blitzt lediglich der Stolz auf die eigenen Wurzeln und die Freude an einem reichen kulturellen Erbe auf, das ausgesprochen kreative Lösungen auf die Herausforderungen einer extremen Umwelt hervorgebracht hat. Zu letzteren gehören atmosphärische Bilder wie eine Inuitfrau mit Säugling, die Graphik „Healing“, oder ein Cartoon, der die Vertreter verschiedener arktischer Völker des Polarkreises über die Meere hinweg als fröhliche Schicksalsgemeinschaft zeigt.
Häufiger legten die präsentierten Graphiken jedoch den Finger in die Wunden, die den Inuit bei der traumatisch erfolgten Überrumpelung durch die weiße Kultur zugefügt worden sind. Eine bedeutende Rolle spielt dabei der Alkoholmissbrauch, eines der gravierendsten sozialen Probleme bei den arktischen Ureinwohnern. Die Folgen des des unkontrollierten Konsums werden immer wieder in allen Facetten dargestellt, einzelne Motive mit einem ausgesprochenem „Galgenhumor“. Andere Themen sind die Gleichgültigkeit der aufgezwungenen Erziehungsmethoden nach weißen Vorbild, welche den eigentlichen Bedürfnisse der jugendlichen Ureinwohnern nicht gerecht werden, die Folgen schlechter Ernährung durch „Junkfood“ oder die Auswirkungen rücksichtsloser Rohstoffausbeutung in der Arktis. Viele Graphiken des vorzugsweise mit Tuschestift arbeitenden Künstlers wurden auch anlässlich von Konferenzen oder anderen Veranstaltungen geschaffen, um den Zweck der Zusammenkünfte plakativ erfassbar zu machen.
Nach der Präsentation einer repräsentativen Auswahl aus seinem graphischen Schaffen, trug „Al“ auf Wunsch der Kanada-Referentin des Amerika-Hauses, Angela Spreng, noch fünf seiner Gedichte vor und stand für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung. Im Anschluss an den Vortrag lud das Amerika-Haus zu einem kurzen Plausch mit Getränken im Foyer ein. Dabei erwies sich „Al“ als ein charmanter Gesprächspartner, der immer zu einem lockeren Scherz aufgelegt war. Ein harter Kern setzte die Unterhaltung noch in einer nahegelegenen Gaststätte fort.
Abschließend bleibt noch, dem Amerika-Haus und dem kanadischen Konsulat für die Organisation eines gelungenen Abends zu danken.