Laden…
 
menu-extra

Antje Babendererde: Wie die Sonne in der Nacht

Wie die Sonne in der Nacht (Cover: Arena Verlag) Lieber doch keine Entzauberung des Lesens:
Gedanken zum aktuellen Indianer-Jugendroman von Antje Babendererde

Vor einigen Wochen war der Verfasser Zeuge einer Autoren Lesung von Katja Brandis, einer erfolgreichen Bestseller-Autorin, die derzeit bei Kindern im fortgeschrittenen Lesealter jenseits der Grundschule hoch im Kurs steht. Ihre Fantasy-Romanserie „Woodwalkers“ handelt von Tieren, die sich in Menschen verwandeln können und doch ihre den Menschen überlegenen physischen Fähigkeiten, aber auch ihre typischen Verhaltensmuster in Menschengestalt beibehalten können. Die Handlung der Romanserie ist im US-Bundessstaat Wyoming angesiedelt, die Tiercharaktere decken ein breites Spektrum amerikanischer Fauna ab. Die Autorin illustrierte ihren Vortrag mit einer aufwändigen Powerpoint-Präsentation, in der sie unter anderem zu sehen ist, wie sie einem verwaisten Schwarzbärenjungen die Flasche gibt.

Als Lehrer und Reisender auch in diesen Weltregionen gerät man dann rasch und unversehens in ein Dilemma. In einer nachbereitenden Unterrichtsstunde, in der die Schüler den Verfasser nach seinen Erfahrungen mit ebendiesen Tieren fragten, stellte sich heraus, dass der nicht nur über einschlägige Erfahrungen mit allen Spezies der Romanserie verfügt, sondern dass die Realität zutraulicher Schwarzbären oder niedlicher Waschbären doch etwas anders aussieht, als die netten Schnappschüsse aus dem Vortrag. Das Schicksal eines an Menschen gewöhnten Schwarzbären, - keine bedrohte Tierart -, ist vorhersehbar: Tierpark oder Gnadenschuss, alles andere ist zu gefährlich oder zu teuer. Blickt man nach dieser Erklärung in die Gesichter der Kinder, dann merkt man schnell, dass sie einen für einen Spielverderber halten.

Es ist kein kleines Kunststück, das von Kinder und Jugendbuchautoren versucht wird: Zehn – bis Vierzehnjährige zum Lesen zu bringen, womöglich auch noch die Jungen. In der Leseforschung geht man davon aus, dass es in diesem Alter zum zweiten „Leseknick“ kommt. In der Pubertät mutieren selbst bis dahin interessierte Leserinnen und Leser nicht selten zu mehr oder weniger handyabhängigen Lesezombies. Keine Angst, sie verlernen das Lesen nicht, es spielt nur für einige Zeit keine wesentliche Rolle in Bewusstsein und Entwicklung von Heranwachsenden.

Eine kleine, unbeirrbare Minderheit hält in diesem Alter trotzdem an extensivem Lesen fest und für die ist es dann geschrieben, das neue Buch von Antje Babendererde, ein Roman mit dem Titel „Wie die Sonne in der Nacht“. Ein Mädchen gerät während eines Austauschjahrs in New Mexico in die Welt der Anasazi und ihrer Pueblo-Nachfahren. Auf diesem Hintergrund entspinnt sich eine Liebesgeschichte zwischen der jungen Deutschen und Kayemo, einem Tewa-Indianer, der in jahrelanger Isolation von der weißen Welt aufgewachsen ist. Gemeinsam versuchen die beiden Jugendlichen die Vergangenheit Kayemos aufzuklären, welche die unschuldige Liebe der beiden überschattet. Mehr wird hier von der Handlung nicht verraten, denn Romane, wie dieser leben schließlich davon, dass man sie selbst entdeckt.

Wie in ihren anderen Romanen verarbeitet Antje Babendererde neben ausführlichen Rechercheergebnissen auch diesmal eigene Reiseerfahrungen in den USA. Bei erwachsenen Lesern löst das zahlreiche Deja-Vu-Beobachtungen aus, was aber angesichts der Zielgruppe nicht unbedingt als Nachteil erscheint, schließlich geht es ja auch um das eingangs erwähnte Kunststück. Und so gelingt es der Autorin jede Menge Alltagssituationen mit anschaulichem Detailwissen aufzuladen, das aufmerksame Leserinnen ganz en passant mitnehmen können.

Antje Babendererde 2011 (Foto: Arena Verlag) Damit ist die Katze aus dem Sack: „Wie die Sonne in der Nacht“ ist ein Mädchenbuch, da hilft auch der häufige Perspektivenwechsel zwischen der Sicht der Heldin Mara und neutral gehaltenen Erzählstrecken nichts. Bei der Lektüre möchte man als Erwachsener manchmal dazwischenrufen, ein Austauschjahr in Amerika ist in Wirklichkeit doch nur von verhältnismäßig kurzer Dauer und die Beziehung zwischen Europäerinnen und Indianern sind es häufig auch. Aber das sind wieder nur die besserwisserischen Fußnoten eines Erwachsenen, denn Leserinnen dieser Zielgruppe wollen sich in der Handlung eines Romans verlieren und ihren eigenen gedanklichen Rollenspielen nachhängen.

Wenn es Antje Babendererde gelingt ihre Leserinnen bis zum Schluss bei der Stange zu halten, dann ist schon viel gewonnen. Sich mehr zu erwarten, etwa die Schaffung eines Bewusstseins für die Diskriminierung der Ureinwohner im heutigen Amerika, heißt entweder zuviel zu verlangen oder das Lesen an sich zu entzaubern. Wer kann das wollen?

Antje Babendererde, Wie die Sonne in der Nacht ist im Arena-Verlag erschienen und hat 475 Seiten. Die gebundene Ausgabe kostet 18,00 €.

Erstellt von dionys. Letzte Änderung: Dienstag, 28. Januar 2020 11:14:16 CET von oliver. (Version 6)