Liebe Unterstützer*Innen,
wir möchten Euch nachfolgend nochmals auf unsere bevorstehende Veranstaltung mit Jackie Hookimaw am 20.11.2024 aufmerksam machen — bitte auch gerne weiterleiten und bewerben!
Zudem informieren wir über
- US-Präsident Bidens Entschuldigung für die “Boarding Schools”
- COP 16: Anerkennung für Indigene trotz gescheitertem Gipfel
- “The Women of the Red Power Movement”: Interview mit Beth Castle
- Nochmals Unterstützungsaufruf für Leonard Peltier
Vortrag von Jackie Hookimaw (Mushkego-Cree) “Enforced Disappearances” — die verschwundenen Kinder der Indigenen
Mit einem Völkermord verglich die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission, TRC) in ihrem Abschlussbericht 2015 das Verbrechen an den Indigenen in Kanada. Rund 150.000 indigene Kinder mussten von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert zwangsweise die Internatsschulen (Residential Schools) besuchen, deren letzte erst 1996 geschlossen wurde. In den Schulen, die meist von den Kirchen geleitet, aber vom kanadischen Staat finanziert wurden, sollte den Kinder ihre indigene Identität ausgetrieben werden, um sie in die kanadische Mehrheitsgesellschaft zu assimilieren.
Generationen von Kindern wurden einem brutalen Zwangssystem sowie psychischem, physischem und sexuellen Missbrauch ausgesetzt, welches sie und ihre Familien schwer traumatisierte. Meist wurden sie zudem in Internate geschickt, die weit entfernt von ihrer Heimatgemeinde lagen, um den Kontakt mit Familien und Verwandten zu unterbinden. Häufig kehrten die Kinder nach ihrer Zwangsverschleppung (“enforced disappearances”) nie mehr zu ihren Gemeinden zurück — zum Teil aus Scham, aber auch weil sie die Bindung zu ihren Familien durch die Zwangsassimilierung verloren hatten. Tausende Kinder überlebten das System der Residential Schools nicht — sie starben an Krankheiten, Hunger, Gewalt oder in manchen Fällen an Selbstmord.
Die Folgen dieses System sind ein generationsübergreifendes Trauma für die Indigenen. In der kanadischen Öffentlichkeit wurde das Verbrechen an den Indigenen hingegen — trotz einer halbherzigen Entschuldigung der kanadischen Regierung 2008 — jahrzehntelang verdrängt und totgeschwiegen. Erst die Gräberfunde an der Kamloops Residential School in British Columbia 2021 erinnerten an das Leid der indigenen Kinder und sorgte in Kanada für Schlagzeilen.
Die Familien wurden über das Schicksal ihrer “verschwundenen Kinder” im Ungewissen gelassen. Dokumente wurden vernichtet, geschwärzt oder einfach an den Vatikan geschickt, ohne die betroffenen Familien zu unterrichten. Viele Familien wissen bis heute nicht, was mit ihren Angehörigen geschehen ist, ob sie gestorben und wo sie begraben sind. Die Gräberfunde von Kamloops verstärkten die Suche der indigenen Familien nach ihren Angehörigen — und nach der Wahrheit.
Auch Dr. Jackie Hookimaw (Mushkego-Cree), Aktivistin, ehemalige Lehrerin, Künstlerin und Soziologin aus Attawapiskat im hohen Norden der kanadischen Provinz Ontario sucht nach ihren Verwandten und wird darüber in einem Vortrag berichten.
Vortrag von Jackie Hookimaw-Witt
Datum: 20.11.2024 um 1900 Uhr
Ort: Eine-Welt-Haus, Schwanthalerstr. 80, München, Raum 211/212 (Eintritt frei)
Entschuldigung von US-Präsident Biden für das Internatssystem in den USA
Erst kurz vor dem Ende seiner Amtszeit als US-Präsident fand Joe Biden den Weg zu den Indigenen, um sich im Namen der US-Regierung für eines der “abscheulichsten Kapitel in der amerikanischen Geschichte” (Wortlaut Biden) zu entschuldigen — das Zwangssystem der “Boarding Schools”, jener Internate, in denen die indigenen Kinder (wie auch in Kanada) über ein Jahrhundert der Unterdrückung und Assimilierung ausgesetzt waren. Den Slogan “Kill the Indian, Save the Man” prägte Richard Pratt, ein US-Militär, der 1879 die Carlisle Indian Industrial School gründete — das US-Modell für die Internatsschulen, in die Generationen von indigenen Kindern geschickt wurden, um aus ihnen assimilierte “Christenmenschen” zu machen — in Wahrheit jedoch billige Arbeitskräfte, die ihrer indigenen Identität beraubt wurden.
Am 25. Oktober 2024 verkündete Biden seine offizielle Entschuldigung anlässlich eines Besuchs der Gila River Indian Community, einem Reservat in Arizona. In seiner emotionalen Rede erklärte Biden, “es gibt keine Entschuldigung dafür, dass es 50 Jahre gedauert hat, bis sich die Regierung zu ihrer Schuld gegenüber den Indigenen bekennt” und bat anschließend um eine Schweigeminute im Gedenken an die verlorenen und traumatisierten Generationen. Die Politik der Internatsschulen laste als “Sünde auf unserer Seele”, erklärte Biden. Erst mit dem “Indian Self-Determination and Education Assistance Act” (P.L. 93 638) wurde 1975 die Ära der “Boarding Schools” offiziell beendet.
War Bidens Erklärung nun eine lange überfällige Genugtuung für die Indigenen? Mitnichten. Seine dahingestotterte Rede (im Original-Transkript auf der Webseite des Weißen Hauses mit allen Aussetzern nachzulesen) kommt immerhin erst 16 Jahre (!) nach der Entschuldigung der in Ausreden und Verdrängung wahrlich geübten kanadischen Regierung. Zudem – peinlich genug — war es Bidens erste Reise ins “Indian Country” seit Amtsantritt. Biden hatte fast vier Jahre Zeit, sich bei den Indigenen blicken zu lassen – doch knapp zwei Wochen vor der entscheidenden Wahl am 5. November fiel ihm wohl noch rechtzeitig ein, dass im Swing State Arizona mit seinen 7,2 Mio. Einwohner*Innen die Indigenen einen Bevölkerungsanteil von 4,5 % stellen. Im traditionell republikanisch dominierten Bundesstaat zählt jede Stimme — und die Indigenen wählen eher die Demokraten, wenn sie nicht durch zahlreiche Hindernisse von der Wahl ausgeschlossen werden.
Biden rühmte sich in der Rede daher auch seiner Verdienste um die Rechte der Indigenen. Tatsächlich wurde unter ihm die erste Indigene zur Innenministerin ernannt, und neben Deb Haaland waren so viele Indigene mit Ämtern in der Administration vertreten wie nie zuvor. Doch gerade im Hinblick auf die Aufarbeitung der Internatsschulen und deren Folgen hinken die USA deutlich hinterher. Während die TRC in Kanada ihre Arbeit bereits 2009 aufnahm und 2015 einen sechs Bände umfassenden Abschlussbericht vorlegte, hat dieser Prozess erst unter Deb Haaland zaghafte Schritte unternommen, u.a. mit der Einrichtung der “National Native Boarding School Healing Commission” (vgl. Coyote Nr. 137).
Die Reaktion der Indigenen auf Bidens “Apology” fiel daher auch eher verhalten aus. Viele begrüßten die längst überfällige Entschuldigung, wollen aber Taten statt Worte und nicht nur als “Stimmvieh” beschwichtigt werden. Sie verlangen eine umfassende Aufarbeitung, u.a. durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Einrichtung einer “U.S. Truth & Healing Commission”, finanzielle Unterstützung für die Wiederbelebung indigener Kultur und Sprache sowie die Untersuchung von Missbrauch an den indigenen Kindern in den Internaten. Zudem fordern sie finanzielle Mittel für die Suche nach Gräbern der indigenen Kinder. Bislang sind fast 1.000 Todesopfer der Internatsschulen dokumentiert.
COP 16: Anerkennung für Indigene trotz gescheitertem Gipfel
In den frühen Morgenstunden des 2. November war klar, dass die Weltgemeinschaft — oder vielmehr die reichen Industriestaaten — einmal mehr gescheitert sind, “Frieden mit der Natur” zu schließen, wie der Titel der 16. COP, der Konferenz der Vereinten Nationen zur Biodiversitätskonvention lautete, welche vom 21.10.-01.11.2024 im kolumbianischen (Santiago de) Cali stattfand. Die Konferenz sollte die Beschlüsse der Vorgängerkonferenz in Montreal 2022 in konkrete Pläne umsetzen, doch am Ende zogen sich die Verhandlungen (oder besser das Feilschen um Geld) so lange hin, dass die Hälfte der Teilnehmer*Innen bereits abgereist und die Konferenz nicht mehr beschlussfähig war. Vor allem Teilnehmende aus ärmeren Ländern klagten, sie könnten sich schlicht eine Umbuchung ihres Flugtickets nicht leisten.
Weder konnten sich die Regierungen auf einen Umsetzungsplan für das Ziel, 30% der Erde bis 2030 als Naturschutzgebiete zu schützen, noch auf ein System zur Überprüfung der Fortschritte oder gar eine Reform umweltschädlicher Finanzsysteme einigen. Am Ende wurde die Diskussion auf ein Interimstreffen nächstes Jahr in Bangkok verschoben.
Im Rahmen des Kunming-Montreal-Pakts, der 2022 verabschiedet wurde, hatten sich die Industrieländer verpflichtet, bis 2025 jährlich 20 Milliarden Dollar und bis 2030 jährlich 30 Milliarden Dollar für den Naturschutz bereitzustellen. Laut Angaben der OECD kamen jedoch bislang nur insgesamt 15,4 Milliarden Dollar zusammen.
Immerhin gab es einen Erfolg für die Indigenen, die seit Beginn der Konferenzen die Sitzungen begleitet und auf mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit gedrängt hatten. Sie erhalten nun eine offizielle Arbeitsgruppe durch die Vereinten Nationen. Welches Gewicht dieses Gremium haben wird, muss sich noch zeigen, doch die Resilienz der Indigenen hat dazu beigetragen, dass ihre Stimmen gehört werden. Die Umsetzung ihrer Forderungen ist die Bringschuld der Staaten.
“The women of the red power movement” — Interview mit Beth Castle
In den letzten Ausgaben unseres Magazins Coyote hatten wir ausgiebig über das “Warrior Women Project” berichtet bzw. deren Ausstellung “Matriarchs of Wounded Knee”, die im August dieses Jahres in München zu sehen war, besprochen. Die Direktorin des Projekts, die gemeinsam mit Christina King die Dokumentation “Warrior Women” gedreht hatte, berichtete in einem einstündigen Radio-Interview über die Hintergründe des Projekts, das nicht zuletzt auf ihre Dissertation über die Frauen der Red-Power-Bewegung zurückgeht.
Das interessante Interview ist zu hören auf: [Link nachtragen!].
Nochmals: Unterstützungsaufruf für Leonard Peltier
Im letzten Newsletter hatten wir um Unterstützung für die Freilassung des indigenen politischen Gefangenen Leonard Peltier gebeten, der seit fast fünf Jahrzehnten hinter Gitter sitzt und inzwischen schwer krank ist. Erst jüngst musste er ins Krankenhaus zur Behandlung. Die letzte Hoffnung, seine baldige Freilassung zu erwirken, ruht auf dem scheidenden US-Präsidenten Joe Biden. Er hat die Möglichkeit, den 80-Jährigen zu begnadigen bzw. aus humanitären Gründen aus dem Gefängnis zu holen.
E-Mail: president@whitehouse.gov oder über das Webformular auf [Link nachtragen!].
In Solidarität mit dem Selbstbestimmungsrecht der indigenen Völker
Monika Seiller
Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V.
Frohschammerstrasse 14
D-80807 München
post am/um/auf aktionsgruppe.de
www.aktionsgruppe.de
Facebook
Indianer-Netzwerk
Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V. (AGIM) ist ein gemeinnütziger Verein (gegr. 1986) zur Unterstützung der Rechte der indigenen Völker Nordamerikas und Herausgeberin des Magazins Coyote.
AGIM e.V. (Action Group for Indigenous and Human Rights, est. 1986) is a non-profit human rights organization dedicated to supporting the right to self-determination of Indigenous peoples in North America. We publish a quarterly magazine Coyote.
Bankverbindung: IBAN DE28 7015 0000 0017 2234 70 / BIC: SSKMDEMM / Stadtsparkasse München
Schon gewusst? Wir versenden jeden Monat einen Email-Newsletter mit aktuellen Terminen und Informationen. Interessiert? Einfach eine Email mit dem Betreff “Newsletter bestellen” an post am/um/auf aktionsgruppe.de schicken.