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Tony Hillerman: Dunkle Kanäle

Dunkle Kanäle (Cover: rororo) Kritik mittels Leerstellen: „Dunkle Kanäle“ – der aktuelle Hillerman-Krimi
gelesen von Dionys Zink
(veröffentlicht 1/2005)

Niemand erwartet, dass ein Krimi besonders kunstfertig sein soll. Kriminalromane zu schreiben gilt als Vielschreiberhandwerk und wer damit seine Schwierigkeiten hat, der liest eben keine Krimis. Lässt man hohe Ansprüche beiseite, wird man dann positiv überrascht. In jedem Fall trifft dieses Leserkalkül auf die Kriminalromane Tony Hillermans zu, die bis auf bisher zwei Ausnahmen im Südwesten der USA ihren Hauptschauplatz haben.

Einer der Helden Hillermans ist Joe Leaphorn, der seinem Urheber zufolge sein reales Vorbild in einem texanischen Sheriff der späten 40er Jahre hatte, als Hillerman als Polizei- und Gerichtsreporter im texanischen Norden sein Handwerk erlernte. „Er war weise und menschlich in seiner Anwendung der Polizeigewalt - er entsprach meiner idealistischen, jungen Vorstellung davon, wie alle Polizisten zu sein hätten, auch wenn sie es manchmal nicht sind. Ursprünglich war Leaphorn eine eher untergeordnete Figur im Roman „Blessing Way“ (dt.). Weil Hillerman den Text jedoch für die Veröffentlichung beim verlag Harper & Row umschreiben musste, rückte Leaphorn in diesem Roman in den Vordergrund und wurde so zu einem Navajo-Charakter.

Die andere Hauptfigur ist der junge Polizist Jim Chee, der sich erst aus der handlung eines späteren Romans entwickelte „A People of Darkness“ (dt. „Tod der Maulwürfe“, 1998). Chee repräsentiert die heutige Generation der Navajo-Indianer, die sich für ein Leben in zwei Welten entschieden hat. Einerseits arbeitet der Polizist mit den Möglichkeiten einer modernen Polizeitruppe, andererseits lebt er das traditionelle Leben eines Navajo wenigstens in einigen Aspekten, will er doch heilender Sänger werden und beachtet auch die Alltagsregeln seines Volkes sehr genau.

An diesen beiden Figuren entfaltet sich der eigentümliche Reiz der Hillerman-Thriller. Die Figuren besitzen eine ethnische und regionale Identität, die der Erfinder akribisch genau recherchiert hat. Kein Zweifel: Hillerman fährt die Strecken seiner Handlungsnetze selbstab und kennt selbst noch die Feldwege, die zu den Tatorten führen. Damit die Szenarien nicht langweilig werden schmuggelt der Autor immer wieder politische und kulturelle Konterbande in die Handlungen ein. Informationen über Antiquitätenraub und Uranabbau im Indianerland oder Zwangsumsiedlung der Navajo-Indianer fanden sich in früheren Romanen, wobei Hillerman immer einen eher moderaten und vorsichtigen Standpunkt einnahm.

Der neueste Roman „Dunkle Kanäle“ handelt vom harten Geschäft der U.S. Border Patrol am Tortilla Curtain genannten Stahlzaun, der die USA von des Estados Unidos Mexicanos trennt. Ausgangspunkt des Geschehens ist die reale Frage, wie es dazu kommen konnte, dass vierzig Milliarden US-Dollar an Treuhandvermögen der Indianer in den USA, die von der Indianerbehörde BIA verwaltet worden sein sollen spurlos verschwinden konnten. Die Antwort auf dieses Rätsel, so der Autor und auch die meisten der Indianer in den USA, muss in Washington D.C. zu finden sein.

Tony Hillerman Wer jetzt aber meint, dass in diesem Krimi die Antwort auf dieses „Kapitalverbrechen“ zu finden ist, glaubt an zu einfache Lösungen. Immerhin soviel sei verraten, die Milliarden bleiben verschwunden, zu undurchdringlich ist das Dickicht, indem sich Bürokraten, hochrangige Politiker und Lobbyisten in Schattenspielen verlieren. Gerichtstaugliche Beweise zu beschaffen, dürfte die Kapazitäten selbst großer Anwalts- und Ermittlungsfirmen übersteigen, bei ungewissem Ausgang ein Totschlagargument gegen jeden, der auf seine Rechte pocht. Und so wirkt diese Leerstelle wie eine Provokation und eine Anklage, endlich die wahre Geschichte aufzudecken.

Im Vergleich dazu sind die Bemühungen Jim Chees und Joe Leaphorns, die sich mit Drogenbossen und ihren Auftragskillern beiderseits der Grenze herumschlagen, allerdings die spannendere und aktionsreichere Unterhaltung.
Dennoch: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ (Bert Brecht)

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Sonntag, 22. März 2020 22:43:25 CET von oliver. (Version 1)