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The National Museum of the American Indian

besucht von Dionys Zink
(veröffentlicht 3/2005)

Indianer sind allgegenwärtig im US-Bundesstaat Virginia, nominell zumindest, wenn man auf die Landkarte schaut: Rappahannock, Potomac und Powhattan, manches ist sogar dem europäischen Besucher geläufig, sei es als Flussname oder als Bezeichnung für einen indianischen Politiker, der jedoch hierzulande weniger bekannt ist als seine Tochter Pocahontas. Auch zwei winzige Indianerreservationen finden sich im Ostküstenstaat, die Pamunki Indian Reservation und die Mattaponi Reservation, die Überreste einer vielfältigen indianischen Siedlungsgeschichte und Zeugen der britischen und amerikanischen Kolonialisierung.

Trotzdem glaubt der Reisende, dass er in diesem Teil Amerikas Wissenswertes über Indianer vor allem an einem Ort erfährt, dem neuen National Museum of the American Indian, das erst im vergangenen Jahr eröffnet wurde. Besucher aus Europa waren seinerzeit eher enttäuscht von den Eindrücken, die das neueste Museum der ehrwürdigen Smithsonian Institution vermittelte (Coyote-Bericht in der Ausgabe 3/2004). Bei einer Neueröffnung ist manches noch unfertig, anderes übertüncht eine repräsentative Einweihungsfeier, so dass ein zweiter Blick ein Jahr danach, den Ersteindruck vielleicht relativieren könnte.

Das Museumsgebäude - Kostenpunkt: 219 Millionen Dollar - steht in einer Reihe mit anderen großen Museen der Smithsonian Institution, darunter dem Air and Space Museum, das trotz der üblichen amerikanischen Patriotismussauce mit seinen Exponaten begeistern kann, sind doch die an große Konservendosen erinnernden Raumkapseln der fünfziger und sechziger Jahre aus heutiger Sicht von bestechender Primitivität. Reichlich vertreten sind auch Kunst und (amerikanische) Geschichte auf den Museumsmeilen der Mall zwischen Kongressgebäude und Lincoln Memorial.

Ein Museum in derartiger Umgebung, die sozusagen das ideelle und politische Machtzentrum der USA darstellt, sollte höchsten Ansprüchen und Erwartungen genügen, sollte man meinen. Die Außenanlagen mit Pflanzen und Land-Art, das Gebäude selbst in hellgelbem Sandstein aufgeführt, lassen Großes erwarten. Hier wird versucht, die Vielfalt der Ökozonen, in denen indianische Kulturen entstanden sind, darzustellen. Auch die Formensprache des eigentlichen Museumsgebäudes versucht eine Synthese verschiedenster Aspekte indianischer Kulturen zu einem schlüssigen Ganzen zu erreichen. Hier wird suggeriert: dieses Museum umfasst alle indianischen Kulturkreise.

Und in der Tat, durchschreitet man die obligatorische Home Security-Kontrolle, die mittlerweile eher ein Beweis für die Bedeutung eines offiziellen Bauwerks als eine echte Sicherheitsmaßnahme gegen Terroranschläge zu sein scheint, öffnet sich der Raum in einen riesigen Kuppelbau, der in teuersten Materialien ausgeführt ist. Sponsoren, Förderern und Architekten war hier nichts zu schade. Befremdlich ist vielleicht, dass ein Indianermuseum hier Kajaks der Inuit und Auslegerboote der Ureinwohner von Hawaii zeigt, Objekte also die zwar interessant, aber eigentlich doch nicht indianisch sind. Musste hier weiteren Ureinwohnervölkern ein politisch korrekter Platz eingeräumt werden, weil man sie bei der Konzeption des Museums schlicht vergessen hatte? An diese in seinen Ausmaßen an das Pantheon erinnernde Halle angegliedert finden sich auf zwei Stockwerken die eigentlichen Ausstellungsräume.

Am Eingang stößt der Besucher auf wenige, schlecht beleuchtete Flachvitrinen, die vor allem ethnologische Schätze der riesigen Sammlungen der Smithsonian Institution präsentieren. Insgesamt handelt es sich dabei um etwa 7000 von mehr als 800 000 Objekten, von der Pfeilspitze der Eiszeitjäger bis zum indianisch verzierten Basketballschuh.

Ein genauerer Blick auf die Exponate in den Wandglaskästen ist nicht möglich, weil vor ihnen Konsolen mit Bildschirmen aufgebaut sind, auf denen dem Besucher die Auswahl gelassen wird, sich mit einzelnen der Exponate vor ihm in digitaler Aufbereitung zu befassen. „Window on Collections“ (etwa: Fenster zu den Sammlungen) nennt sich diese Darbietung. Sie enthält einige berühmte Ausstellungsgegenstände, von einem Versuch wenigstens eine Kultur oder Epoche gründlich darzustellen, sind diese Fenster jedoch weit entfernt. Versteht man dieses Konzept noch als Beispiel amerikanischer Technikverliebtheit, so ernüchtert der weitere Gang durch die Räumlichkeiten doch sehr.

Die Verantwortlichen scheinen von der Komplexkapazität und Ausdauer eines 12-jährigen Besuchers auszugehen. Nahezu alles ist Display oder Bildschirm oder Fernsehstudio im üblichen Schwarzraum mit Spotscheinwerfer, also sekundär vermittelte statt originaler Begegnung. Drei große Themenkreise (Weltbilder in indianischer Sicht, Geschichte und Völker, Identität und Gegenwart) werden teilweise in einem oberflächlichen Wirrwarr abgehandelt, die Sachverständige geschmerzt zusammenzucken und ein interessiertes Laienpublikum entweder ratlos oder amüsiert unterhalten sich selbst überlässt.

Was Indianerunterstützer besonders befremden muss: Quellenmaterial und Displays, Vitrinen und Objekte versuchen zwar die oben genannten Schwerpunkte zu verdeutlichen, welche Implikationen ein religiöses Selbstverständnis auf der Grundlage eines bestimmten als heilig betrachteten Territoriums hat, wird nicht erkennbar. Zeitgenössische Identitäten werden illustriert, ihre, auch physische, Bedrohung seitens der dominanten Kultur in Gestalt von Rohstoffausbeutung, Landraub und Menschenrechtsverletzungen kommt nicht vor.

Natürlich, kein Staat der Welt würde einen von ihm zu verantwortenden Völkermord und seine bis in die Gegenwart anhaltenden Folgen unbedarft präsentieren. Wie schwierig ein solches Unterfangen ist, weiß man insbesondere in Deutschland recht genau. Man kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass hier wenigstens halbbewusst eine Chance vergeben wurde, mit Stereotypen und bequemer Selbsttäuschung aufzuräumen.

Ein Besucher des Museums muss den Eindruck gewinnen, dass die Vielfalt indianischer Kulturen unüberblickbar und unverständlich ist, dass alle Indianer eine traurige Geschichte von Eroberung und Niederlage erzählen und auf wundersame Weise heute über eine moderne indianische Identität verfügen, die sie zur Teilhabe an der weißen bzw. amerikanischen Gesellschaft befähigt.

Die Mall von Washington ist vieles zugleich: Imponiergeste, Machtzentrum, kultureller Mittelpunkt, Touristenattraktion und Schatzkammer. Ihren Monumenten im Stil antiker Bauwerke wurde mit dem National Museum of the American Indian ein weiteres hinzugefügt, beeindruckend wie das Taj Mahal oder die Pyramiden von Gizeh – und letztlich genauso leer.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Sonntag, 29. März 2020 19:22:05 CEST von oliver. (Version 1)

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