Laden…
 
menu-extra

Robbie Robertson: Contact From The Underworld Of Redboy

Robbie Robertson 2000 (Foto:  Kingkongphoto & www.celebrity-photos.com) gehört von Ludwig Seiller

»Sound is like sweetgrass. It travels in between worlds.« erklärte Tara Browner von den Six Nations zur kürzlich veröffentlichten CD von Robbie Robertson. Schaut man ihm in seine dunklen Augen unter den tiefen Stirnfalten, ahnt man, daß der am 5. Juli 1943 geborene Robbie Robertson für Ungewöhnliches gut ist. Zum Beispiel für faszinierend-seltsame Klänge, die unweigerlich in ihren Bann ziehen, die von Freiheit und Opfer, Heilung und Hoffnung, von Verlust und Wiederkehr erzählen. Klänge als fernes Echo vergangener und vage Ahnung kommender Zeiten, als Erinnerung und Offenbarung an der Kreuzung zwischen Rock ‘n’ Roll und indianischer Kultur - Robbie Robertson mischt die Zukunft der Gitarre mit längst vergessen geglaubten Stammesgesängen zur »clubkompatiblen, spirituellen Daseins-Erfahrung«. Aufregend vereint Robertsons »Contact From The Underworld Of Redboy« Vision und Tradition, Vergangenheit und Zukunft.

»Ich will musikalisch vorwärts denken und gleichzeitig die Wurzeln indianischer Musik respektieren», sagt Robbie Robertson, als Sohn einer Mohawk Wanderer zwischen zwei Kulturen und aufgewachsen im »Six Nations«-Reservat, wo er mit Verwandten früh Country und Blues spielte. „Die Menschen waren so eins mit ihrer Musik, diese Erfahrung hat mich nie wieder losgelassen», erinnert sich der bescheiden gebliebene Musiker. In den sechziger und siebziger Jahren zählte er zu den versiertesten Folk-Rock-Gitarristen und schrieb mit Bob Dylans Begleitband The Band und dem All-Star-Album »The Last Waltz« Rockhistorie. Robertsons Spiel war dabei nie vordergründig, er suchte nach Tiefe und Ausdruck, schließlich war seine Karriere stets geprägt von einer nicht nachlassenden Neugier. Der Kopf der wohl bekanntesten Begleitband der Rockgeschichte galt lange Jahre als einer der kompromißlosesten Traditionalisten des Rock ‘n’ Roll, der trotz seiner Vorliebe für die amerikanische Folk-Musik eins nicht leiden kann: Wiederholungen. Robertson spielte mit Größen wie Muddy Waters, Eric Clapton und Neil Young und sprengte doch schnell die Grenzen des Rock und Folk: Als Solokünstler arbeitete er mit U2, Peter Gabriel oder Gil Evans, er komponierte für Regisseur Martin Scorsese Filmmusiken zu Kinohits wie »Raging Bull«, »King Of Comedy« oder „The Color Of Money« und erhielt 1997 einen Grammy für »Change The World« aus dem John-Travolta-Film »Phenomenon«.

Für sein viertes Soloalbum »Contact From The Underworld Of Redboy« suchte Robbie Robertson Stammesoberhäupter, Prediger und Heiler, fand Sängerinnen indianischer Herkunft wie Priscilla Coolidge oder Laura Satterfield und holte sich mit Howie B. (U2s „Pop«, Björk, Tricky, Massive Attack ), Nellee Hooper (U2, Soul II Soul), Tim Drummond (Bomb the Bass) und Marius de Vries (Genius des ‘96er »Romeo & Juliet«-Soundtracks) angesagte Produzenten und DJs für die Aufnahmen in Los Angeles, New Mexico, London und im kanadischen Six Nations-Reservat ins Studio. »Ich habe mit einigen Produzenten dieses Projekt diskutiert, aber nicht jeder besaß den Respekt und die Furchtlosigkeit, die ein solches Album verlangt, erklärt Robertson die lange Vorbereitungszeit.

Bald vier Jahre nach »The Native Americans«, dem vielgelobten Soundtrack zu einer sechsstündigen Fernsehdokumentation, ist »Contact From The Underworld of Redboy« eine weitere wunderbare Symbiose westlicher Popkultur und indianischer Transzendenz. Ein Album mit zehn sehr intensiven Kompositionen, mit fein gesponnenen Gitarrenklängen und sphärischen Sounds, harmonisch verwoben durch magische Ethno-Rhythmen und traditionelle Gesänge, die »Contact From The Underworld Of Redboy« zu einem mystischen Trip durch bisher ungehörte Klanglandschaften machen.

Mit Eleganz und Leichtigkeit schlägt Robbie Robertson den Bogen zwischen originären und modernen Trance-Rhythmen und tritt einmal mehr mit Songs wie »Sacrifice« für die Rechte der amerikanischen Ureinwohner ein. »Sacrifice« ist ein bewegender Appell für Gerechtigkeit und Freiheit in einer Gesellschaft, die den Umgang mit Minderheiten neu überdenken muß: Robertson hat für diesen Song ein Telefonat mit dem indianischen Bürgerrechtler Leonard Peltier aufgenommen, der beschuldigt wird - viele glauben zu Unrecht - bei einer Schießerei zwischen indianischen Bürgerrechtlern und dem FBI zwei Beamte ermordet zu haben und seit 1976 im Gefängnis sitzt. Auf »Sacrifice« erklärt Peltier die Gründe und Umstände seiner umstrittenen Verhaftung und Gefangenschaft. »Ich habe«, sagt Robertson, »an Präsident Clinton mit der dringlichen Bitte geschrieben, Peltiers Verurteilung zu prüfen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten wie eine dunkle Wolke über der Community schwebt.«

Robbie Robertson beweist in den zehn Stücken wieder einmal seine Extraklasse als fesselnder Songwriter, der nach über 30 Jahren Musik kein Blatt vor den Mund nehmen muß. »Making A Noise« bringt seine Philosophie während der Aufnahmen auf den Punkt: „Es ist höchste Zeit, gehört zu werden und endlich zu sagen, was gesagt werden muß. Es gibt genug gute Gründe, wütend zu sein - zum Beispiel wenn indianische Prediger und Heiler in die Illegalität gedrängt werden, weil sie während ihrer traditionellen Zeremonien rituelle Drogen verwenden, um mit ihrem Schöpfer in Kontakt zu treten.« »Peyote Healing« erzählt von zwei solchen wandernden Heilern der Native American Church, Primeaux und Mike, die Robertson für diesen Song gewinnen konnte. »Man kann sie nicht anrufen, sie wollen nichts verkaufen und sie bekehren niemanden. Trotzdem sind sie immer da, wenn jemand sie braucht, und zeigen den Menschen den direkten Weg zum Schöpfer.«

Die indianische Kultur lebt von solch überlieferten Geschichten und Geheimnissen. »The Lights« erzählt von den „Brüdern von weit außerhalb«, zu denen Indianer schon immer eine besondere Beziehung hatten. »Mir gefällt, daß ihre Vorstellung von Außerirdischen - im Gegensatz zur der in der westlichen Zivilisation - nie von Furcht geprägt, sondern stets freundlich war.« »Contact From The Underworld Of Redboy« lebt von dieser Faszination seiner über Jahrhunderte weitergegebenen Mystik, den tranceartigen Rhythmen, den magischen alten Stammesgesängen und ist doch eindeutig Musik für die Endneunziger. Die brodelnd vulkanischen Gitarrenausbrüche von Robertson auf »Rattlebone« sind monumentale Momente für das Hier und Jetzt, das Album ein richtungsweisender Monolith am Ausgang des Milleniums. Ein Blick zurück in die Zukunft des dritten Jahrtausends.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Montag, 20. Januar 2020 15:40:46 CET von oliver. (Version 3)