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Nisga’a: Kein Vertrag ohne Pferdefuß

Vertragsabschluss in British Columbia
von Dionys Zink
(veröffentlicht 3/1998)

Nach 111 Jahren schließen die etwa 5.500 Nisga’a-Indianer im nördlichen British Columbia einen Landabtretungsvertrag mit Kanada. Für den Verzicht auf 90% ihres angestammten Heimatlandes erhalten die Nisga’a eine Entschädigung von 190 Mio. Can$ und eine neue Form der Selbstregierung. Sie verzichten allerdings auch auf die bisherige Steuerfreiheit und eine eigene Strafrechtsgesetzgebung. Seit Beginn des Zusammenlebens mit den Weißen entnahmen Rohstoffkonzerne dem Territorium 68 t Gold, 2.000 t Silber, 13.600 t Zink und 389.000 t Kupfer, ohne dafür zu bezahlen.

Die “Briefmarkenreservate” in einem Teil der westlichsten kanadischen Provinz British Columbia werden bald der Vergangenheit angehören. In einem Vertrag zwischen Kanada und den Nisga’a-Indianern wurde die Einrichtung eines Reservats im Umfang von 1930 km2 vereinbart. Im Gegenzug treten die Nisga’a mehr als 90% ihrer Heimat an Kanada ab. Dieser Verzicht auf den größeren Teil ihrer Heimat wird den Nisga’a mit 190 Millionen Can$ vergütet.

Einmalig ist, dass die Nisga’a auch ihre Steuerfreiheit aufgeben. Sie werden eine eigene Gebietskörperschaft innerhalb ihres Reservats bilden, welche Land und Finanzmittel verwalten soll. Politisch erhalten die Nisga’a damit einen Sonderstatus, da die politischen Mitwirkungsrechte auf der Abstammung beruhen. Weiße Kanadier, die innerhalb des Reservatslandes leben, sind nicht stimmberechtigt, da die Indianer sonst rasch ihr Recht auf politische, kulturelle und wirtschaftliche Selbstbestimmung nicht mehr ausüben könnten, wenn sich die weiße Bevölkerung etwa durch Zuwanderung vermehrt.

Im Nisga’a-Reservat werden zwar kanadische Gesetze gelten, doch die Rechtsprechung wird von den Nisga’a selbst ausgeübt. Durch die weitgehende politische Kontrolle und die nunmehr zur Verfügung stehenden Finanzmittel erhoffen die Nisga’a, die soziale Lage in ihren Gemeinden entschärfen zu können. Mehr als 60% der Indianer sind dort arbeitslos.

Der Nisga’a-Vertrag weist jedoch einen Pferdefuß auf, den in Kauf zu nehmen nur wenige indianische Gemeinden bereit sein dürften. Die Nisga’a als “fiskalische Einheit” sind ab sofort nicht mehr Indianer im Sinne des Indian Act, sondern reguläre Bürger der Provinz British Columbia und Kanadas, die ihr Land wie Privatleute besitzen und darauf Steuern bezahlen müssen. Offen ist, was geschehen könnte, falls die Nisga’a einmal nicht in der Lage sein sollten, die fälligen Steuern für ihren Landbesitz zu begleichen.

Gelingt es den Nisga’a nicht, eigene Einnahmen zu erwirtschaften, besteht entweder die Gefahr, dass sie ihr Land durch den Gerichtsvollzieher verlieren oder die noch vorhandenen Ressourcen an Konzerne verkaufen müssen. Dabei wäre abzusehen, wer den Preis diktieren könnte. Andere indianische Kritiker sind der Auffassung, dass die kanadische Seite zu billig davonkommt. Der Vertrag enthält nämlich auch eine Freistellungsklausel, die ausdrücklich den Verzicht auf weitere Landansprüche festschreibt.

Die Gesamtkosten für diese Vertragslösung werden mit insgesamt 500 Millionen Can$ beziffert. Mehr als zwei Drittel dieser Kosten übernimmt die Bundesregierung in Ottawa, den Rest muss die Provinz British Columbia aufbringen. Die Zahlungen erfolgen über einen Zeitraum von 15 Jahren und werden den Nisga’a-Institutionen, nicht etwa einzelnen Indianern ausbezahlt.

Bevor die Gelder fließen können, muss der Vertrag allerdings noch ratifiziert werden. Die Nisga’a werden dies auf dem Weg einer Volksabstimmung erledigen. Auch unter den Nisga’a ist der Vertrag nicht unumstritten. Es könnte sehr wohl sein, dass der gesamte Vertrag noch einmal nachverhandelt werden muss. Im Parlament von British Columbia soll eine freie Abstimmung der Abgeordneten den Vertrag in Kraft setzen. Doch hier regt sich der Widerstand gegen das Vertragswerk am deutlichsten. Die Liberalen der Provinz und insbesondere die reaktionäre Reform Party halten den Vertrag für zu teuer und kritisieren vordergründig die «Sonderrechte« der Indianer im noch zu schaffenden Nisga’a-Reservat. Die politische Opposition fordert deshalb eine Provinz-Volksentscheidung, statt der bisher beabsichtigten parlamentarischen Lösung.

Es wird erwartet, dass der Nisga’a-Vertrag zu einer Art Modell für zukünftige Verträge werden könnte. Da in British Columbia seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts keine Verträge mehr abgeschlossen wurden, ist ein Großteil des Gebiets der Provinz nominell noch immer Indianerland. Insgesamt 51 indianische Gruppen bemühen sich um die Anerkennung ihrer Landrechte. Legte man die finanziellen Bedingungen des Nisga’a-Vertrages auch für diese Fälle zugrunde, beliefe sich der Finanzbedarf auf etwa 6 Milliarden can$. Jeder Haushalt in British Columbia wäre etwa mit etwa 525 Can$ belastet, das entspräche einer jährlichen Abgabe von 35 Can$.

Anlässlich der Unterzeichnung des Vertrages erklärte Jane Stewart, die Ministerin für indianische Angelegenheiten: “Mit diesem Vertrag geben sich Kanada, British Columbia und die Nisga’a ein Versprechen. Wir haben eine gemeinsame Existenzform miteinander ausgehandelt, welcher unsere unterschiedlichen Lebensweisen in Einklang bringt.Dies ist ein Signal an andere Ureinwohner-Nationen in British Columbia, dass der Verhandlungsweg funktioniert.”

Auch Nisga’a Hereditary Chief Joe Gosnell stieß ins gleiche Horn: “Dieser Vertrag beweist ohne allen Zweifel, dass Verhandlungen - nicht Gerichtsprozesse, nicht Straßenblockaden, nicht die Gewalt - der effizienteste und ehrenhafteste Weg zur Lösung von Ureinwohner-Problemen ist.”

Angesichts der Dauer der Nisga’a-Bemühungen und der zahlreichen Schwachpunkte des Vertrages aus indianischer Sicht, sind Zweifel an dieser Sonntagsrede wohl angebracht.

Die Nisga’a und die Royal Proclamation von 1763link

“…sollten zu irgendeinem Zeitpunkt die zuvor bezeichneten Indianer dazu geneigt sein, das besagte Land zu veräußern, wird selbiges für Uns erworben, in Unserem Namen, bei einem öffentlichen Treffen oder einer Versammlung besagter Indianer, das zu diesem Zweck abgehalten wird.” König Georg III.


Das Gebiet der Nisga’a (andere Schreibweisen lauten auch Nisga oder Nishka) liegt im Norden der Provinz British Columbia an der Grenze zu Alaska, etwa 1.450 km nördlich von Vancouver, der größten Stadt der Provinz. Die Nisga’a bewohnen heute vier Orte im Nass Valley, einem Gebirgstal mit Ausgang zum Pazifik.

Die Nisga’a umfassen eine Gruppe von 5.500 Menschen. Sie sprechen eine Tsimshian-Sprache und gehören somit zu der großen Sprachgruppe der Penuti, die vorwiegend im Süden (Washington, Oregon, Kalifornien) vertreten ist. Die Besiedlung des Nass Valley durch die Vorfahren der Nisga’a soll vor 10.000 Jahren stattgefunden haben.

Zentrale Bedeutung hatte auch in der Kultur der Nisga’a bis zu seinem weitgehenden Niedergang zu Beginn des Jahrhunderts der Lachs. Diese für die Indianer der Nordwestküste scheinbar unerschöpfliche Nahrungsquelle ermöglichte die Entwicklung einer Überflussgesellschaft, deren Lebensqualität mit jeder vorindustriellen europäischen Gesellschaft vergleichbar war oder sie in einigen Punkten sogar übertraf. Ethnologen in Kanada zeichnen dabei das Bild einer eher feudalen Gesellschaft, vergleichbar mit der japanischen Kultur. Die traditionellen Chiefs der Nisga’a können auf Ahnenreihen zurückblicken, die weiter als die der europäischen Monarchen zurückreichen.

Die Nisga’a überlebten in historischer Zeit gleich mehrere Katastrophen. Um das Jahr 1750 kam es zu einem gewaltigen Vulkanausbruch, dessen Lavaströme mehr als 2.000 Nisga’a töteten. In die Mythologie der Nisga’a ging diese Katastrophe als Strafe für den Missbrauch des Lachses ein. Kinder hatten den wandernden Lachsen im Nass River Fackeln an den Rücken gesteckt, um sich an den leuchtenden Lachsen in der Nacht zu erfreuen. Diese respektlose Behandlung rief den Vulkanausbruch hervor. Erst ein Wesen aus der überlieferten Mythologie der Nisga’a stoppte den Vulkanausbruch.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überlebten die Nisga’a verschiedene Epidemien, wobei die Pockenepidemie von 1876-78 wohl die verheerendste gewesen sein muss. Sie entvölkerte weite Teile der Nordwestküste Kanadas vorübergehend, auch mehrere tausend Nisga’a wurden Opfer dieser Krankheit. Die eigentliche Katastrophe dieses Jahrhunderts stellte der Rückgang der Lachspopulationen der Nordwestküste dar. Schuld daran ist zum einen die Überfischung der Bestände bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, zum anderen die massiven Eingriffe in den Wasserhaushalt und die Erosion, verursacht durch Wegebau, Bergbautätigkeiten und Abholzung.

Das heute “abgeschiedene” Tal des Nass Rivers bildete einst einen wichtigen Verkehrsweg und einen Ort der Begegnung zwischen Haida, Tlingit und Tsimshian-Indianern. In der Vorstellung dieser Indianer war ein weit entfernt lebender König namens George III., der 1763 mit der sogenannten «Royal Proclamation« die Grundlage für die Beziehung zwischen den Briten und den Indianern legte, keine Märchenfigur á la «Großer weißer Vater«. Ihnen war die theoretische Tragweite der «Königlichen Erklärung« wohlbewusst.

Die Nisga’a übernahmen bereitwillig die Technologie der Weißen. War ihre Kultur bereits vor der Ankunft der Europäer an der Nordwestküste stark differenziert, so stellte die Anpassung und Übernahme weißer Einrichtungen an ihre Verhältnisse für die Nisga’a kein Problem dar.

Die kanadischen Landvermesser, die den Nisga’a Reservationen abstecken wollten, wurden gewaltsam vertrieben. Mit den ersten weißen Siedlern verstanden sich die Nisga’a gut. Sie erhoben regelmäßige Pachtgebühren auf die Nutzung ihres Landes, die auch prompt bezahlt wurden. Eine der ersten Zeitungen des nördlichen British Columbia unter dem Titel “Hagaga” wurde von den Nisga’a publiziert. Bereits ab Beginn des Jahrhunderts war die Lachs-Fangflotte der Nisga’a voll motorisiert.

Die Aufgeschlossenheit der Nisga’a gegenüber der weißen Zivilisation ging jedoch nie soweit, dass sie die schrittweise Besiedlung und Enteignung ihres Landes unwidersprochen hingenommen hätten. Deshalb sandten die Nisga’a 1887 eine Delegation in die Provinzhauptstadt Victoria, da die Zunahme weißer Siedler und die Nutzung der fischreichen Gewässer des Nisga’a-Landes eine Bedrohung für Wirtschaft, Kultur und Sozialgefüge der Nisga’a zu werden begannen.

Ungewöhnlich war für die Europäer nur, dass diese Indianer 1913 unterstützt von Anwälten auch noch in London aufkreuzten und auf die Gültigkeit der Royal Proclamation von 1763 pochten. Die verunsicherten Briten schickten die Indianer nach Kanada zurück und beschieden ihnen, sich an die dort zuständigen Stellen zu wenden. Vierzehn Jahre benötigte das kanadische Parlament, um 1927 festzustellen, dass der Anspruch der Nisga’a eine «besorgniserregende Entwicklung« darstelle. In aller Eile wurde ein Gesetz erlassen, dass es weißen Unterstützern der Nisga’a untersagte, Geld für das Anliegen der Indianer zu sammeln. Als dieses Gesetz 1951 für ungültig erklärt wurde, machten sich die Nisga’a erneut daran ihre Landrechte einzufordern und erreichten schließlich 1973 eine Entscheidung des Supreme Courts, des höchsten kanadischen Gerichts, die unentschieden ausfiel. Drei der sechs zuständigen Richter votierten für die Nisga’a. In der Folge nahm die kanadische Bundesregierung die Landrechtsverhandlungen mit den Nisga’a wieder auf. Die Verhandlungen zogen sich bis in die neunziger Jahre hin. Der Durchbruch wurde mit einer Grundsatzvereinbarung (Agreement in Principle) im Februar 1996 erreicht, nachdem sich Ende der achtziger Jahre schließlich auch die Provinz

Nisga’a-Totempfahl im Stanley-Park Vancouverlink

Ursprünglich waren die Wappenpfähle der Nordwestküsten-Indianer nicht mit leuchtenden Farben bemalt. Der Nisga’a-Pfahl im Stanley-Park in Vancouver stellt also zumindest farblich eine traditionelle Skulptur dar. Anders als die zahlreichen anderen Wappenpfähle im Stanley-Park ist er tatsächlich eine Originalarbeit und keine veränderte Replik eines anderen Pfahles.

Er erzählt die Geschichte von fünf Brüdern, hier durch kleine Gesichter an der Seite dargestellt. (zwei sind im Halbprofil an der linken Seite sichtbar, drei weitere kann man rechts im Profil gerade noch erkennen). Die Brüder gingen gemeinsam auf Biberjagd. Der Jüngste entdeckte zwei dieser Tiere, die als stehende Figuren an der Basis des Pfahles dargestellt sind. Die fünf Brüder folgten den Bibern bis zu ihrer Behausung. Sie öffneten die Biberburg, um hineinzublicken. Dort sahen sie, wie die Bewohner ihre Haut abstreiften und sich in Menschen verwandelten.

Unverrichteter Dinge kehrten die Brüder zu ihrem Dorf zurück. Dort baten sie den Häuptling des Dorfes die Biber in Zukunft von der Jagd zu verschonen. Dann sangen die Brüder ein Lied, um den See der Biber zufrieren zu lassen und sie so vor Verfolgung zu schützen. Die Biber mit ihren breiten Schwänzen bedecken den mittleren Teil des Pfahles.

An der Spitze befindet sich ein Adlermann als Repräsentant des Wappeninhabers, der einen Raben in seinen Händen hält. Diese Gruppe symbolisiert die Familie der Schnitzer (Norman Tait in Zusammenarbeit mit seinen Söhnen Robert und Isaac), deren Wappentier der Biber ist. Die große Figur unterhalb umfasst einen Frosch links und einen Adler rechts, welche die beiden Söhne Norman Taits darstellen.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Montag, 20. September 2021 10:41:54 CEST von oliver. (Version 5)

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