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Neuer Landrechtsvertrag zwischen Kanada und Dogrib-Dene

Rae Edzo (Foto: AGIM) von Diony Zink
(veröffentlicht 3/2003)

Die vier Gemeinden der Dogrib Dene zwischen Großem Bärensee und Großem Sklavensee feierten am 25. August 2003 den Abschluss eines neuen Landrechts- und Selbstverwaltungsvertrags mit der kanadischen Bundesregierung. Jean Chretien und die Dogrib unterzeichneten den Vertrag in der größten Dogrib-Siedlung Rae-Edzo. Das Gebiet des Tli Cho Agreements umfasst insgesamt 39.000 km2 und damit einen wesentlichen Teil der Northwest Territories (NWT). Die Vereinbarungen über die Selbstverwaltung des Gebiets durch die gewählten Vertreter der Dogrib sind ein Novum in den Beziehungen zwischen Kanada und seinen indianischen Ureinwohnern.

Bereits seit 1921 bestehen vertragliche Bindungen zwischen Kanada und den etwa 3.000 Dogrib-Dene westlich der heutigen Territoriumshauptstadt Yellowknife. Damals schlossen sich auch die Dogrib den anderen Indianern des Gebiets an und unterzeichneten den Treaty 11 (Vertrag Nr.11). Nicht enthalten waren in diesem Abkommen jedoch Vereinbarungen über die Landrechte der Ureinwohner. Die Notwendigkeit für Landrechtsverhandlungen war zu dieser Zeit auch nicht gegeben. Bis in die dreißiger Jahre blieben die Dene weitgehend unter sich, es lebten keine Weißen dauerhaft innerhalb ihrer Territorien. Dies änderte sich mit dem 2. Weltkrieg, weil nicht nur die Bodenschätze (z.B. Uran) strategische Bedeutung erlangten, sondern auch, weil Nordkanada wie Alaska zu Frontgebieten in der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion wurden. Damals wurde z.B. die sogenannte DEW-Line (distant early warning) eingerichtet, eine Frühwarnungseinrichtung, welche die USA vor Angriffen über das Polarmeer hinweg schützen sollte.

Erst seit 1967 besteht eine eigenständige Territorialregierung in den NWT. Da sie eine Institution des weißen Kanadas war, lehnten die Dene 1975 die regionale Regierungsgewalt am Tropf der Bundesregierung ab.

Mit dem Bau einer Erdgas- Pipeline von Alaska durch das Mackenzie-Tal nach Süden wurde den meisten Dene bewusst, dass die USA und Kanada nicht mehr nur punktuell und zeitlich begrenzt in ihren Lebensraum eingreifen würden, sondern diesmal auf dauerhafte Erschließung des Nordens setzten.

Anfang der 80er Jahre schließlich begannen die Dene und Metis der Northwest Territories ihren langen Weg durch die Gerichte und Marathonverhandlungen. Frustriert von der Hinhalte-Politik der kanadischen Bundesregierung und den Schwierigkeiten mit ihren Nachbarn beschlossen die Dogrib 1992 ihre Verhandlungen abzutrennen und in eigener Regie mit der Bundesregierung weiterzuverhandeln. Ihnen ging es neben der Frage nach der Eigentümerschaft ihres Landes um Nutzungsrechte für Ureinwohner und Selbstverwaltungsbestimmungen.

Zwei Jahre später wurden Interimsvereinbarungen getroffen, welche den Dogrib zunächst 13.000 km2 in der Umgebung ihrer vier Siedlungen zusprachen und weitere Mitsprache in der Verwaltung der Region nördlich des Großen Sklavensees sicherten. Weitere Hürden nahm der Verhandlungsprozess 1996 und 1997. Es wurde festgelegt, dass das Ziel der Verhandlungen nicht nur ein Landrechtsabkommen sein sollte, sondern ein umfassendes Konzept zur Selbstverwaltung in Ergänzung und parallel zu den anderen Regierungsebenen auf territorialer und Bundesebene einschließen sollte.

Rae Edzo (Foto: AGIM) Nach zwei Jahrzehnten sind die Dogrib mit dem Tli-Cho-Agreement zumindest auf dem Papier am Ziel ihrer Wünsche angelangt. Bereits im Juni dieses Jahres stimmten die Dogrib in einer überwältigenden Mehrheit für die Annahme des neuen Vertragswerks. Nach der Unterschrift des Ministerpräsidenten Chretien muss es jedoch noch von den Parlamenten des NWT und Kanadas ratifiziert werden. Mit dem Abkommen behalten die Dogrib das Eigentum an 39.000 km2 zwischen dem Großen Sklavensse und dem Großen Bärensee, eine Fläche, die etwa der Größe Belgiens entspricht. Für die Überlassung anderer über einen Zeitraum von 15 Jahren und weitere jährliche Zahlungen in Millionenhöhe, etwa aus Bergbaurechten, die bereits vor Vertragsabschluss vergeben worden waren.

Neu für den Norden Kanadas ist, dass die Dogrib eine eigene gesetzgeberische Gewalt ausüben können, mit eigenen Gremien, die Steuergesetze erlassen können, Bestimmungen für Bergbau- und andere Rohstoffunternehmen festlegen und alle anderen verwaltungsrechtlichen Vorschriften definieren können. Allerdings müssen sich Dogrib-Gesetze und -verordnungen innerhalb des rechtlichen Rahmens der kanadischen Verfassung und der Gesetze der NWT bewegen. Die kanadische Bundesregierung dagegen behält die Kontrolle über strafrechtliche Angelegenheiten, die Territorialverwaltung der NWT ist weiterhin für stattliche Dienste wie das Gesundheits- und Bildungswesen zuständig.

Gleichzeitig reformieren die Dogrib ihre eigenen politischen Gremien. In Zukunft werden die vier Gemeinden nach außen nur noch von einem gemeinsamen Ausschuss und einem Häuptling vertreten. Allerdings wurde auch festgelegt, dass mindestens die Hälfte der gewählten Vertreter Angehörige der Dogrib sein müssen, eine Bestimmung die für Missmut unter den Einwohnern des Gebiets sorgte, die anderen indianischen Nationen angehören, und bei ortsansässigen weißen Kanadiern.

Mit dem Tli-Cho-Agreement erhalten die Dogrib auch Einnahmen aus der Energiegewinnung am Mackenzie River, die bisher in die Taschen der kanadischen Regierung flossen. Jedoch sind die Einnahmenverteilung aus dem Ressourcengeschäft möglicherweise eine Sollbruchstelle des Agreements, wenigstens aber stellt diese einen veritabler Zankapfel dar. Ein Vorschlag des NWT-Premiers Stephen Kakfwi lief darauf hinaus, dass die Regierungen Kanadas, des Territoriums und der Indianer diese Einnahmen zu gleichen Teilen erhalten sollten. Sofort erhob sich lautstarker Protest. Besonderen Wert legten die indianischen Unterhändler darauf, dass der neue Vertrag keine endgültige Landverzichtserklärung („surrender clause“) enthalten sollte.

In der kanadischen Geschichte waren mit diesem Winkeladvokatensatz, dessen Tragweite die meisten Indianer bei der Vertragsunterzeichnung nicht verstanden, um den Großteil ihres Landes gebracht worden. Bis in die jüngste Zeit scheiterten die „großzügigen Vertragsangebote“ der kanadischen Bundesregierung an derartigen Formulierungen. Dennoch wird das Tli Cho Agreement zum Teil scharf kritisiert, weil es zum einen unter bestimmten Bedingungen auch die Veräußerung von Vertragsland zulässt und es zum anderen endgültig unter die Rechtsund Steuerhoheit Kanadas fallen wird. Sollten die Dene eines Tages nicht mehr in der Lage sein, die vertraglich festgelegten Abgaben auf ihren Landbesitz an die kanadische Staatskasse abzuführen, könnte ihnen Land verloren gehen.

Im Norden Kanadas werden derzeit noch weitere Vertragswerke ausgehandelt: Die Gwich’In und Deh Cho Dene, aber auch die Inuvialuit des Mackenzie Deltas, Ureinwohner-Nationen mit reichen Energierohstoffvorkommen werden das Tli Cho Agreement und vor allem seine Umsetzung sehr sorgfältig studieren, ehe sie zu einer Einigung mit Kanada bereit sein werden.

Deshalb scheint es etwas optimistisch, wenn Politiker in den NWT davon ausgehen, dass innerhalb der nächsten Jahre der gesamte Norden Kanadas unter indianische Selbstverwaltung gestellt wird.

Wie die Dogrib Dene zu ihrem Namen kamen
Die Dogrib-Ältesten erzählen, wie ihr Volk zu seinem Namen kam.

Eine junge unverheiratete Frau der Yellowknife- Dene lebte mit ihren beiden Brüdern zusammen. Eines Tages erschien ein ansehnlicher Fremder bei ihrer Wohnstätte. Die Brüder sprachen zu ihrer Schwester: „Dieser ansehnliche junge Mann ist deinetwegen hier aufgetaucht, du wirst ihn heiraten müssen.“

In der Hochzeitsnacht erwachte die junge Frau von dem Geräusch eines Hundes, der an einem Knochen nagte. Ihr Ehemann lag nicht mehr neben ihr. Sie sprang auf, zündete ein Feuer an und durchsuchte das Zelt. Einen Hund konnte sie aber nicht entdecken, also legte sie sich wieder zum Schlafen nieder. Doch ein weiteres Mal wurde sie geweckt, wieder vom Nagen eines Hundes an einem Knochen.

Die Frau rief einen ihrer Brüder um Hilfe an, der ein Beil in die Richtung warf, aus der das Geräusch kam. Es gab einen lauten Schrei, dann war Ruhe. Rasch fachten die Frau und ihre Brüder wieder das Feuer an und fanden einen großen schwarzen Hund tot am Boden liegend. Der Ehemann jedoch kehrte nicht zurück.

Die Brüder verstießen ihre Schwester, weil sie mit einem Wesen geschlafen hatte, das zugleich Hund und Mensch gewesen war. Nach einiger Zeit brachte die Frau sechs Hundewelpen zur Welt. Sie liebte diese Welpen, schämte sich ihretwegen aber auch und hielt sie deswegen in einem Sack versteckt.

Als sie eines Tages zu ihrem Lager zurückkam, bemerkte sie die Fußspuren von Kindern in der Asche der Feuerstelle. Sie glaubte, dass es die Fußspuren ihrer Kinder sein müssten, von denen sie annahm, dass sie sich beim Verlassen des Sacks verwandelt hätten.

Am nächsten Tag versteckte sie sich hinter einem Busch nahe ihrem Zelt, statt ihre Fallen und Schlingen zu überprüfen, wie sie es sonst machte.

Nachdem sie das Zelt verlassen hatte, sprangen die sechs Welpen aus dem Sack und verwandelten sich in drei Mädchen und drei Jungen.

Die Frau rannte zu ihnen hin, doch bevor sie alle erwischen konnte, sprangen zwei Mädchen und ein Junge zurück in den Sack.

Die übrigen drei Kinder wuchsen groß und kräftig heran. Die Nachkommen der zwei Söhne und der Tochter waren sehr zahlreich. Wir stammen von ihnen ab und deswegen nennen wir uns das Dogrib- Volk.

Übersetzung: Peter Strubl

In dieser ätiologischen Erzählung (ein Text, der einen Sachverhalt mythologisch erklärt), wird besonders deutlich, welche zentrale Bedeutung Hunde für das Leben der Dene vor der Begegnung mit den Europäern hatten. Die Hunde waren für den Schlitten-Transport, als Tragtiere und Jagdgefährten unentbehrlich. In Gruppen boten Hunde Schutz vor Angriffen wilder Tiere, und im Notfall waren sie natürlich eine Nahrungsmittelreserve.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Montag, 10. Februar 2020 13:28:13 CET von oliver. (Version 2)