Vielfältige Grenzüberschreitungen: Jim Peppers Erbe
gehört und gelesen von Dionys Zink
Die Aufzeichnung von Musik ist eine spannende Geschichte mit großen Enttäuschungen und Momenten der Dankbarkeit, die sich in besonderen Fällen nicht nur auf die Musiker allein erstreckt, sondern auch auf die vielen Techniker, Arrangeure und Komponisten, deren Mitwirken unerlässlich aber eben nicht offensichtlich ist.
Mit Grausen erinnert man sich der anscheinend unvermeidlichen Leichenfledderei, die nach dem Tod musikalischer Genies in den 70er Jahren einsetzte. Plötzlich gab es kistenweise unbekannte Aufnahmen von James Marshall Hendrix, die vor allem aus drei verschiedenen Aufnahmen des Beatles Songs „Daytripper“ zusammengestopselt schienen.
Eine andere Kategorie stellen die sorgfältig aber posthum produzierten und bearbeiteten Aufnahmen bisher unveröffentlichten Materials dar. Im Grunde verstehen sich die Beteiligten dabei um die Beauftragten des Urhebers zur materiellen Fertigstellung einer an sich schon vollständigen Idee. So geschehen mit einzelnen Tracks vieler bekannter populärer Musiker, aktuell mit George Harrisons „Brainwashed“
Doch genug der Schubladisierung: “Witchi-Tai-To – The Music of Jim Pepper” passt ohnehin nicht in eine der gängigen Schachteln. Die Doppel-CD, die nunmehr 10 Jahre nach dem Tod des indianischen Saxophonisten Jim Pepper erschienen ist, stellt einen merkwürdigen Einzelfall dar. Sie versammelt viele von Jim Peppers Mitmusikern unter dem Namen „Jim Pepper Remembrance Band“ , darunter den Gitarristen Bill Bickford und den Bassisten Ed Schuller sowie seinen Bruder George, bezieht aber auch Floy Pepper, seine Mutter, und andere Indianer ein. Man konnte Pete „Wyoming“ Bender gewinnen, der früher als Folksänger aktiv war und die schwierige Aufgabe überzeugender Gesangspartien übernahm.
Das übliche Muster einer Tribute-CD greift ebenfalls nicht, handelt es sich doch zum Teil um Aufnahmen, die auf Material Jim Peppers selbst zurückgreifen. Im jeweils letzten Track der beiden CDs ist seine Stimme zu hören, in bisher unveröffentlichten Aufnahmen („A Pepper Poem“ und „Legacy of the Flying Eagle“). Wer bisher noch nichts von Jim Pepper gehört hat, wird überrascht sein, wie gut sich die musikalischen Traditionen der nordamerikansichen Ureinwohner mit den Klängen des modernen Jazz’ verbinden lassen.
Jim Pepper selbst hat nur wenige seiner Kompositionen schriftlich aufgezeichnet. Diese Aufgabe fiel seinem langjährigen Bassisten Ed Schuller zu. Er ist es auch, der alles daran setzte, Jim Peppers Vorstellung von einem symphonischen Arrangement seiner Arbeiten Wirklichkeit werden zu lassen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten und die nötige Sorgfalt werden im umfangreichen Booklet deutlich: „Es dauerte Jahre der Seelenschau und Meditation, um sich auszudenken, wie man eine Jim Pepper Platte ohne den Menschen selbst machen könnte.“
Ed Schuller konnte seinen eigenen Vater Gunther Schuller als Arrangeur und Dirigenten für das Projekt zu gewinnen, das mit der Kooperation des WDR Radio Orchesters verwirklicht wurde. Und so gelang es dem Projekt eine weitere klangliche Dimension hinzuzufügen, das damit endgültig zum grenzüberschreitenden Unternehmen wurde, das Generationen, Zeiten, Traditionen und Stile, ja selbst Kontinente hörbar macht und zugleich zeigt, wie „Gleichwertiges, aber Verschiedenes“ zu einer phantastischen Koexistenz entwickelt werden kann. Das Kunststück den Eindruck einer Weltmusik der Beliebigkeit zu vermeiden ist überzeugend vollendet worden.
„Witchi-Tai-To“ ist der Versuch einer Grenzüberschreitung auch in anderer Hinsicht: Ein freundschaftlicher, offener Brief an Mr. James Pepper (c/o The Great Spirit, Happy Hunting Grounds) imaginiert den Musiker als Beteiligten an diesem Projekt und am Zeitgeschehen. Dieser stellenweise sehr persönlich anmutende Versuch verrät dem Leser vielleicht mehr als alles andere: da hat sich jemand oder mehrere jemande mit allem eingesetzt, was an Kreativität, Emotionalität und professionellen Möglichkeiten zur Verfügung stand. In einer Zeit, die sich zunehmend von blindem Konsumismus und angeblich coolem Zynismus leiten lässt, sind Unternehmungen wie diese Doppel-CD „pièces de résistance“, mit denen sich hoffentlich viele Coyote-Leser identifizieren können.
“Witchi-Tai-To – The Music of Jim Pepper” ist bei tutu records in Starnberg erschienen. Die sorgfältige Ausstattung im Digipack wurde von Sandy „Mojobone“ Fischer gestaltet. Eine begrenzte Anzahl der Doppel-CD und auch „Remembrance“, die Live Aufnahme vom Internationalen Jazzfestival Münster eingespielt von Jim Pepper & Eagle Wing, können über AGIM bezogen werden.