von Oliver Kluge
(veröffentlicht 4/1995. Engl. Transskript verfügbar über den Globus-Button)
Coyote: Wie sind Sie zu der Rolle gekommen?
Means: Nun, ich mußte vorsprechen und ich bekam die Rolle - so einfach war das. Aber wenn man vorspricht, ist man nicht der einzige. Es waren noch andere da, von denen ich nicht weiß, ob sie für Häuptling Powhatan vorsprachen oder für andere Rollen. Es waren auch einige Weiße im Vorzimmer. Ich weiß also nicht, gegen wen ich mich durchsetzte. Nach ein paar Monaten haben sie mich angerufen. Das eigentliche Vorsprechen war 1993, ich bekam die Rolle und dann dauerte es eineinhalb Jahre, bis die Synchronarbeit für meine Rolle beendet war. Dann brauchten sie noch vier bis fünf Monate, den Film fertigzustellen.
Coyote: Was ist Ihr Eindruck vom Film, insbesondere von der Darstellung der Indianer im Film?
Means: Er ist zweifellos und unzweideutig der beste Film, den Hollywood je über Indianer gedreht hat, seit es Hollywood gibt. Er ist einfach der beste.
Coyote: Es gibt da aber wohl einige Kritik…
Means: Kritik von - wie ich meine - gestörten Leuten. So gestört, daß sie nichts annehmen wollen, was Kinder glücklich macht. Ich verstehe diese Art von Logik nicht, etwas zu kritisieren, was Kinder glücklich macht. Dann nehmt Eure Kinder halt nicht mit!
Coyote: Das Studium von Sekundärliteratur, vor allem Bücher über die echte Pocahontas, zeigt doch viele Abweichungen von der Geschichte.
Means: Nun, lassen Sie es mich so sagen: Ich bin kein Narr. Alles, womit ich mich befasse - innerhalb und außerhalb Hollywoods - endet in Kontroverse. Okay? Wenn ich gesehen werde, wie ich mit einer weißen Frau die Straße entlang gehe, endet das in einer kontroversen Diskussion!
Ich habe also selbstverständlich über meine Rolle recherchiert, wie ich das immer mache in Hollywood. Meine Studien haben elf Geschichten über Pocahontas zu Tage gefördert. Sieben davon wurden geschrieben, nachdem sie starb - deshalb habe ich diese verworfen. Ich habe statt dessen die vier gelesen, die in ihrer Zeit entstanden sind. Zwei davon wurden von zwei verschiedenen Männern in Jamestown geschrieben, Siedlern, und sie schrieben über sie, als sie zehn bis elf Jahre alt war.
Sie schrieben über sie, weil sie a) die Tochter von Häuptling Powhatan war und b) weil sie beim Spielen mit den anderen Kindern in Jamestown nackt war, wie die anderen Indianerkinder. Die Kinder aller indigenen Völker in diesen Breiten laufen nackt herum, bis heute. Das ist also nicht ungewöhnlich.
Ich habe die zwei Berichte gelesen aus der Gründungszeit von Jamestown. Dann habe ich die zwei Berichte von John Smith gelesen, die Berichte aus seinen Chroniken, die Tagebücher, die er in Jamestown führte - und Pocahontas überhaupt nicht erwähnten.
Nachdem er zum englischen Hofe zurückgekehrt war berichtete er, daß Pocahontas ihm das Leben gerettet hätte. Er wußte nicht, daß sie im selben Jahr John Rolfe heiratete und kurz nach der Veröffentlichung seines Berichts in England erschien.
Für ihn in England war der Bericht, daß eine einfache Wilde sein Leben rettete, so etwas ähnliches wie das Bekenntnis zur Homosexualität um 1950. Nun, es hätte seine Karriere ruinieren können. Und er mußte so etwas nicht erfinden, er war doch schon ein Held. Er wurde bereits so behandelt. Das ist ein Faktor, den niemand zur Kenntnis nimmt. Für mich ist das ein Kernpunkt meiner Forschung. Deshalb glaube ich die Geschichte.
Coyote: Nach all den hunderten von Jahren ist es schwierig, alles auseinander zu halten.
Means: Jeder, der darüber schreibt, nachdem sie tot sind, zählt nicht. Ich verstehe nicht, wie jemand die Geschichte wieder auferstehen lassen kann, wenn er doch nicht dabei war!
Coyote: Der Film porträtiert die Gier des Kapitän Ratcliffe, der das Land ausbeutet. Als er anlandet, sind die Indianer nicht bereit, mit den Europäern zu teilen. Die Liebe von John Smith und Pocahontas verhindert einen Krieg und sorgt dafür, daß die Indianer teilen wollen. Finden Sie das nicht problematisch? Es geht um das 17. Jahrhundert, den Beginn der Besiedelung, und später um die Frontier.
Means: Der schöne Teil der Geschichte ist, wie ich zu sagen pflege, daß sie revolutionär ist, da mein Volk Gerechtigkeit erst erfahren kann, wenn die Amerikaner ihren historischen Betrug erkennen, weshalb sie wirklich nach Westen segelten und was sie taten, als sie dort ankamen.
Von diesem Betrug erfährt man nämlich außer in obskuren Hochschulvorlesungen nichts, der Betrug an meinem Volk wird nicht zur Sprache gebracht. Disney ist der erste, der das macht. Er zeigt, wie die Europäer wirklich waren und warum sie kamen. Sie kamen, Indianer zu töten und das Land auszubeuten. Es ist sehr, sehr klar, daß dies der einzige Grund für ihr Kommen war.
Coyote: Aber im Film sieht man, daß die Ausbeutung gestoppt wird, und das Morden!
Means: Das schönste ist - von der Vater/Tochter-Beziehung abgesehen -, daß der Film den Kindern der Welt mein Volk durch die Frau vorstellt. Überall im Westen sind wir matrilinear organisierte Gesellschaften. Das weiß niemand. Unsere Frauen entscheiden, sie sind das Rückgrat unseres Zuhauses und unserer Gemeinden und daher unserer Nationen. Wir folgen der Frau.
Nun, da die Menschen der Welt einen Eindruck bekommen, was es ist, Indianer zu sein, zeigen sie, daß sie Pocahontas Charakterstärke hat, und deshalb an die eigenen Entscheidungen glaubt. So sehr, daß sie den Rat ihrer besten Freundin und ihres Vaters nicht beachtet - und Recht behält.
Derweil wird ihr Vater als dreidimensionales menschliches Wesen dargestellt, der die Empfindungen dieser Zeit zeigt: Wut, Zorn, Weisheit, Stärke, Diplomatie, aber auch Sanftheit, Zärtlichkeit und Liebe, und daß er die menschliche Fähigkeit hat, seine Meinung zu ändern, nachdem er seiner Tochter zuhört.
Kinder haben einen wichtigen Platz in unserer Welt. Wir sagen ihnen nie »Stör’ jetzt nicht«. Das tun wir nie. Wenn sie reden, hören die Erwachsenen auf, was immer sie gerade tun. Wir hören einem Kind zu. Sie werden wichtig. Sie verstehen und wachsen auf mit dem Wissen, daß es wichtig ist, was immer sie sagen oder tun, also sollte es überlegt sein. Und so kann er Powhatan seine Meinung ändern, und den Frieden an Stelle des Krieges wählen. Das ist die Wahrheit über die Frontier, die Sie ansprachen. Erst etwas weniger als ein Jahrhundert ist es her, daß die Vereinigten Staaten immer noch keine militärische Überlegenheit hatten. Wir Indianer waren militärisch immer überlegen. So wurde an der Frontier immer die Balance des Lebens der Europäer gehalten, bis vor hundert Jahren.
Coyote: Im wirklichen Leben gab es kein Happy End im Disney-Sinne, nachdem sie einige Jahre später John Rolfe heiratete.
Means: Stimmt. Nun, das hängt davon ab, wie man es betrachtet. Mein zehn Jahre alter Sohn war richtig glücklich, daß sie ihn [John Smith] nicht geheiratet hat. Er war in der Premiere, und während sie rannte, hat er - in der Premiere - laut geschrien »Nein! Geh’ nicht! Geh’ nicht!«. Oh Mann, hunderttausend Leute waren da und er schreit »Geh’ nicht!«. Das war toll. Er identifizierte sich mit Kocoum, und er war ärgerlich über Pocahontas. Er gab ihr die Schuld, daß er getötet wurde. Er identifizierte sich mit ihm.
Coyote: Lassen Sie uns über etwas anderes reden. Lassen Sie uns über AIM reden.
Means: Gut.
Coyote: Was machen Sie gerade für AIM?
Means: Oh, ich bin der leitende Direktor des American Indian Movement von Colorado. Und das bin ich seit 1990.
Wir befassen uns nur mit lokalen Problemen, die mit Colorado zu tun haben, und wenn ich zum Beispiel mit Dingen beispielsweise in Arizona und South Dakota zu tun habe, hat mir das American Indian Movement in Colorado den Rücken gestärkt. Aber ich bleibe mehr oder weniger in der Nähe von Zuhause.
Ich habe aber auch in den Auseinandersetzungen nicht nur in Kanada, sondern auch im Staate Washington geholfen. Vor einem Jahr wurde ich im September sogar verhaftet. Vor vierzehn Monaten wurde ich beim Kampf um die Fischereirechte der Lummi verhaftet.
Ich habe zuhause auch gegen eine Firma demonstriert, die unser Elend ausgenutzt hat, und daraus Kapital geschlagen hat. Wir haben diese Firma aus South Dakota herausgejagt.
Coyote: Wie hat diese Firma daraus Kapital geschlagen?
Means: Sie machten Marketing und riefen jeden in den Vereinigten Staaten an, den sie kriegen konnten, und bettelten um Geld. Dieses Geld sollte angeblich die Armut der Indianer lindern helfen. Aber wir fanden heraus, daß sie 93% davon für sich behielten. Es ging ihnen also sehr gut. Nun, mit sowas habe ich mich in letzter Zeit beschäftigt. Nun, es macht keine nationalen oder internationalen Schlagzeilen, aber der Kampf geht weiter.
Coyote: AIM hat lange Zeit die Idee des Panindianismus propagiert.
Means: Nein, wir waren nie für Panindianismus. Panindianismus würde bedeuten, daß wir keinen Respekt hätten. Wir sind für die Rechte der Indianer, und das sehr selektiv. Wir sind dort aktiv geworden, wo die Rechte der Leute verletzt wurden. Ob das ein Einzelner, eine Familie, ein Dorf oder eine Nation war, wir kümmerten uns darum.
Ich kann nicht ändern, was andere Indianer darüber erzählen, sind können doppelzüngig reden. Wir waren für eine Stimme in der internationalen Gemeinschaft, aber das heißt noch nicht, daß wir für Panindianismus wären, es geht uns nur um eine Stimme.
Generell, was in der internationalen Gemeinschaft abgeht, sind juristische Grabenkämpfe, aber das war nach der Öffnung von AIM. Nachdem wir uns der internationalen Gemeinschaft geöffnet hatten, gingen wir zurück zu unseren Gemeinden. Und dann übernahmen die Anzüge (Suits) die Sache, die Rechtsanwälte. Als wir 1977 nach Genf gingen und mit den Vereinten Nationen arbeiteten, taten wir von AIM dies mit den Traditionellen, den Alten, die nicht einmal Englisch sprachen.
Als wir das aufgetan haben, kamen die Anzüge und fanden heraus, daß dies prima für Sandkastenspiele wäre, und daß sie hier vorgeben könnten wichtig zu sein. Und so zogen wir uns zurück und die Anzüge versauten die ganze Sache. Ich denke also, daß wir die Sache wieder an uns reißen müssen und den Saustall aufräumen müssen.
Coyote: Was wäre das Instrument, das helfen könnte, da ja weder eine Weltregierung noch eine nationale Regierung besondere Hilfen darstellen.
Means: In der internationalen Gemeinschaft habe ich nie gesehen, daß die Vereinten Nationen irgend jemandem geholfen hätten. Wir haben in der internationalen Gemeinschaft immer versucht Allianzen zu schmieden, mit Gruppen wie der Ihren, und mit Ländern wie Nereres Tansania. Aber immer auf persönlicher Basis, wir mußten nie zu den Vereinten Nationen wegen der Konferenzen. Aber NGOs [nicht-Regierungs-Organisationen], wie jeder in der internationalen Gemeinschaft, wird - solange sie wollen - die Vereinten Nationen dazu benutzen, indigene Völker der ganzen Welt zusammen zu bringen, was ein Plus ist.
Als AIM begann, waren wir die einzige indigene NGO der Welt. Jetzt gibt es Dutzende, und das hat gute und schlechte Seiten. Die internationale Gemeinschaft muß adressiert werden, und wir sind Teil davon - mal abgesehen davon, daß einige Leute uns ausverkaufen wollen. Kolonialismus kann eine mächtige Waffe gegen das eigene Volk sein.
Wir bedanken uns bei Buena Vista für die freundliche Unterstützung.
Querverweis: Filmkritik von Pocahontas.