von Robert Stark
(veröffentlicht 3/1998)
In dieser Ausgabe wird ein Buch besprochen, das exemplarisch den eigenartigen Umgang der esoterischen Szene mit unserem ohnehin nur fragmentarischen Wissen über indianische und andere Kulturen illustriert. Ganzheitlicher Größenwahn reduziert die Ergebnisse seriöser Bemühungen in einem an persönlichen Profit orientierten Wettbewerb zur spirituellen Ramschware. Im nächsten Coyote wird dargestellt, wie schnell wir an die Grenzen der Erkenntnis möglichkeiten stoßen und Wege zu einer respektvollen, bescheideneren Annäherung vorgeschlagen werden.
Buchbesprechung: Wanderer zwischen den Welten. Ein spiritueller Katastrophenbericht
«Die Kraft der Indianer. Praktische Anleitung zum Schamanismus in der heutigen Zeit« von Kenneth Meadows. Erschienen im Heyne Verlag. Reihe Esoterisches Wissen. München 1998 (Taschenbuchlizenzausgabe der Ausgabe aus dem Hugendubel Verlag von 1993). 16,90DM
Diese Übersetzung eines englischsprachigen Werks aus dem Jahre 1991 ist jetzt als günstige Taschenbuchausgabe greifbar, die dem Leser für wenig wenig Geld eine wahrhaft preiswerte Gegenleistung zu bieten vorgibt: «Eine praktische Anleitung zu schamanischen Techniken, die zur Lösung von persönlichen Problemen, zum Ausräumen von Schwierigkeiten, zur Beseitigung von Hindernissen auf dem Wege der persönlichen Weiterentwicklung, zur Entfaltung größerer Effizienz und Kreativität und zu einem reicheren, harmonischeren und erfüllenderen Leben von jedermann überall angewandt werden können« (Seite 27). Als Wanderer zwischen den Welten erreiche man ein «sehr tiefes und echtes Verständnis von der Alltagswelt«.
Doch es wird noch mehr versprochen. Zu Beginn von Kapitel 1 klärt der Autor darüber auf, daß es um die Entdeckung von Neuland im «Inneren Raum« gehe. Dieses und den Weg dorthin preist er vollmundig an:
«Es bietet Herausforderungen, die um nichts geringer sind als die, mit denen sich die Astronauten bei ihren Weltraumflügen konfrontiert sehen, aber hier sind keine Investitionen riesiger Geldsummen nötig, es erfordert kein hartes Training, das den Körper bis an die Grenzen seiner physischen Belastbarkeit treibt, und es steht auch nicht nur einigen wenigen Auserwählten offen. Es ist allen zugänglich, und seine Erkundung bietet, was die Persönlichkeitsentfaltung und den persönlichen Nutzen angeht, reichlichen Lohn« (Seite 11). Was bleibt da noch zu wünschen übrig? Ein glücklicher Mensch, wer diesen Führer in die Hand bekommt und sich darauf freuen kann, bald seinen sorgenreichen Alltag hinter sich lassen zu können.
An dieser Stelle könnte man die Buchbesprechung eigentlich schon abbrechen. Wer dem Autor abnimmt, daß er auf rund 350 Taschenbuchseiten diese Versprechen einlösen kann, dem ist wohl kaum zu helfen. Jeder andere, halbwegs vernunftbegabte Leser wird das Buch schnell wieder aus der Hand legen, es sei denn, er findet es amüsant, die eine oder andere Stilblüte aus diesem schamanischen Irrgarten zu pflücken; oder er findet es interessant, einen Einblick in eine besondere Spielart esoterischer bzw. neureligiöser Bewegungen zu bekommen, sofern er sich mit dergleichen Phänomenen noch nicht beschäftigt hat. Ansonsten droht es schnell langweilig zu werden, denn das Buch ist nur eines unter vielen gleichartigen Machwerken und alles andere als originell.
Wenn jetzt doch noch einige Anmerkungen folgen, hat das seinen Grund darin, daß zu den vielen selbstgesteckten Zielen der Big Mountain Aktionsgruppe unter anderem auch gehört, über Zerrbilder indianischer Kulturen aufzuklären.
Und was da der Heyne Verlag unter dem Schlagwort «Kraft der Indianer« verkauft, ist in Wirklichkeit eine ausgesprochen wüste Mixtur, die von der flüchtigen Bekanntschaft mit den religiösen Traditionen verschiedenster Völker aus aller Herren Länder zehrt. Tatsächlich hieß die englische Originalausgabe auch nur «Shamanistic Experience«. Aber profitorientierte Verleger setzen schon seit langem auf den Indianerboom und haben wohl auch in diesem Fall deswegen den indianischen Anteil am dargebotenen Wissensschatz besonders hervorgehoben. Immerhin war der «Hauptmentor« des Autors «Medizinhäuptling Silver Bear« (S. 7). Aber der Autor pflegt auch Kontakte zu «erfahrenen und angehenden Schamanen in England, Amerika, Europa und Skandinavien«, ferner zu ominösen Forschungs- und Ausbildungszentren, in denen schamanische Studien betrieben werden (S.7). Im Anhang werden einige Kontaktadressen zu solchen Zentren und zu «Gruppen und Stämmen« in Amerika und Europa (S. 343 f.). Der in London ansässige Autor bietet zusammen mit seiner Frau auch selbst Kurse an.
Noch internationaler wie diese Adressen sind die Quellen, aus denen der Autor sein Wissen schöpft. Es sei jedoch vorweggenommen: das Schöpfen hat im ausgesprochenen Flachwasserbereich stattgefunden.
Einen ersten, schnellen Überblick hierzu gewährt das Glossar (S. 327-336). Dort befinden sich in der Regel recht dürftige oder eigenwillige Definitionen zu Begriffen, die verschiedensten Wissensgebieten und Kulturräumen entlehnt sind:
- Aus nordeuropäischer Mythologie: Yggdrasil, Rune
- Daoistische Begriffe chinesischer Herkunft: Ying, Yang
- In den umstrittenen Büchern von Carlos Castaneda benutztes Vokabular, das zwar teils auf indianische Begriffe zurückgeht, aber hier eindeutig von Castanedas eigenwilligen Interpretationen inspiriert ist: Nagual, Tonal, Pirschen
- Begriffe aus indischen Religionen: Chakra, Karma, Nadi
- Von der ethnologischen Forschung verschiedenen Stammessprachen entlehnte Begriffe, die dort benutzt wurden um vergleichbare, kulturübergreifende Phänomene zu bezeichnen: Totem, Mana
- Naturwissenschaftliche Begriffe: Alphawellen, Thetawellen, Frequenzen
- Psychologische Begriffe wie Archetyp
- Parapsychologische Begriffe: Telepathie, Hellsichtigkeit
- Und last but not least aus indianischen Kulturen: Wakan Tanka, Büffel, Medizinrad.
Es lassen sich noch andere Oberbegriffe finden. Charakteristisch ist, das die Begriffe in für esoterische Literatur typische Weise ohne Rücksicht auf die Bedeutungen in den meist komplexen Begriffsysteme, denen sie entlehnt sind, trivialisiert und neu interpretiert wurden.
Manche Definitionen sind ausgesprochen heikel: z.B. «Unschuld: Vollständige Unparteilichkeit und Objektivität. Das Gegenteil von Meinung und Beurteilung.« Man kann nur hoffen, daß niemand nach Lektüre des Buches vorschnell glaubt, er könne nun bald den Zustand der «Unschuld« in diesem Sinne erreicht haben. Ich erspare mir, an dieser Stelle auf weitere, problematische Definitionen einzugehen, muß jedoch bekennen, daß mein derzeitiger Bewußtseinszustand beim Schreiben dieses Textes eher von Schuldgefühlen gekennzeichnet ist, bin ich doch im Begriff, mir eine Meinung zu bilden und harte Urteile zu fällen.
Beschäftigen wir uns nun mit dem eigentlichen Hauptteil des Buches: 13 Kapitel führen über zunehmend «anspruchsvollere« Stufen schamanischer Techniken und Einsichten zu den «12 heiligen Gesetzen«. In diese Kapitel sind 21 praktische Übungen eingeflochten. Diese reichen von einfachen Entspannungs- und Atemübungen über das Wahrnehmen, Spüren, Stärken und Reinigen der menschlichen Aura, Weihen der Hilfsgegenstände, Rasselritual zum Begleiten auf der schamanischen Reise bis hin zur Visionssuche, die dem eigenen Leben eine neue Ausrichtung geben soll.
Die oben angeführte Internationalität der Quellen des Glossars zieht sich auch durch den gesamten Hauptteil des Buches: Unter anderem ist die Rede, von einem älteren, universalen System schamanischer Techniken der Prähistorie (S. 70). Die Erkenntnisse «nordischer Schamanen«, u.a. der Einsatz von Runen des germanischen Futhark-Alphabets erläutert (S. 65 - 67). Von Seite 97 - 103 wird zur Arbeit mit Chakren, Energiezentren im menschlichen Körper angeleitet. Auf Seite 74 - 77 kann man wesentliches über, hawaianische Priester, die Kahuna, erfahren. Auf Seite 162 - 165 werden Aspekte der schamanischen Reisetechnik unter Bezug auf die Ergebnisse moderner Schlafforschung erklärt.
Außerdem können Einsichten über keltische Druiden, kosmologische Modelle aus dem alten China und noch viele andere kulturelle Phänomene aus diversen Räumen und Zeiten gewonnen werden. Wollen wir nicht zuletzt die Erwähnung der Weisheiten indianischer Schamanen vergessen, allen voran seines Mentors Medizinhäuptling Silver Bear. Fassen wir zusammen: Ein wahrhaft gewaltiger Parforceritt durch den Kosmos sogenannten schamanischen Wissens aus mehreren Jahrtausenden. Ein im sprichwörtlichen Sinne umwerfendes Kompendium! Schließlich erfährt man nebenbei noch mancherlei erstaunliche Dinge, die einen schlichtweg «vom Hocker werfen«:
Zum Beispiel, daß Jesus von Nazareth ein Meisterschamane war! Er sei nämlich im Stande gewesen, die Molekularstruktur seines physischen Körpers an einen anderen Ort zu transportieren (S. 165).
Leider habe ich trotz genauer Lektüre des Buchs hierzu keine Anleitung gefunden. Doch halte ich dem Autor zu gute, daß sein schamanisches Verantwortungsbewußtsein derart machtvolle Techniken wohl nicht so ohne weiteres preisgeben wollte (vgl. hierzu S. 76). Ich halte es durchaus für sinnvoll, daß nur die wahrhaft Unschuldigen über solche Kenntnisse verfügen sollen. Womit wir dann beim esoterischen Wissen im eigentlichen Sinne des Wortes angelangt wären: Einem Wissen, das nur würdigen Adepten nach langer Prüfung durch den Meister in der Regel mündlich überliefert wird. Und wenn schon mal verklausulierte Schriftstücke existieren, sind sie weiß Gott nicht jedermann zugänglich und liegen nicht in der Wühlkiste von Buchläden mit sogenannter «esoterischer Literatur« herum.
Demgegenüber ist der Autor der Auffassung, daß der Schamanismus im «heraufziehenden neuen Zeitalter« nicht mehr die Domäne einiger weniger Auserwählter bleiben könne und allen zugänglich sein werde (z.B. S. 27). Aber den Trick von Jesus hat er trotzdem nicht verraten. Schade, vielleicht ist einfach die Zeit noch nicht reif. Was mögen wohl die Theologen verschiedener christlicher Konfessionen zur Auffassung des Autors über Jesus sagen? Wahrscheinlich verhalten sie sich eher ablehnend. Aber aus der Sicht des Autors schreiben die Religionen ihren Anhängern ohnehin nur vor was sie glauben sollen, gehören der «langen, langen Zeit des Dogmatismus, der Bigotterie, des Vorurteils und der Verfolgung« an (vgl. etwa S. 323 u. 333).
Da mag der Autor vielleicht nicht ganz Unrecht haben. Hat er aber den Nagel auf den Kopf getroffen? Jedenfalls glaubt Meadows allen Menschenh, welche die religiöse, bzw. die weltanschauliche Krise unserer Zeit tief empfinden eine attraktive Alternative zum Althergebrachten anbieten zu können: Gerade jetzt entfalte sich langsam die Blume des schamanischen Wissens in der ganzen Welt; und welche Früchte uns für die intensive Pflege dieser Pflanze verheißen werden, habe ich schon zu Beginn der Besprechung in kurzen Beispielen zitiert. An ander
tfalte sich langsam die Blume des schamanischen Wissens in der ganzen Welt; und welche Früchte uns für die intensive Pflege dieser Pflanze verheißen werden, habe ich schon zu Beginn der Besprechung in kurzen Beispielen zitiert. An anderen Stellen werden die Segnungen des Schamanismus noch ausführlicher und blumiger geschildert. Außerdem werden wir darauf hingewiesen, daß Schamanismus keine
Religion sein. Wie steht es aber mit dem «Meisterschamanen« Jesus? Gilt der nicht vielen, selbst unreligiösen Menschen als Religionsstifter? Warum bedient sich der Autor andererseits selbst immer wieder eines religiösen Vokabulars. Die neoschamanische Kunstsprache steckt wahrscheinlich erst in den Anfängen ihrer Schöpfung. Aber auch die hehren Ziele, die der Autor immer wieder als Sinn der Anwendung schamanischer Techniken auslobt, lassen auffällige Überschneidungen zu den Geboten der großen Weltreligionen erkennen.
Hier werden immer mehr Widersprüche offenbar, von denen das ganze Buch nur so wimmelt. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: obwohl der Schamanismus keine Dogmen kenne, hätten dem Autor seine Mentoren zwölf heilige Gesetze enthüllt (321-323). Kenneth Meadows versucht diese Widersprüche wenig überzeugend aufzulösen. Hierzu bedarf es eben eines tiefen Verständnisses, für dessen Erlangung die knapp 350 Textseiten doch nicht so recht auszureichen scheinen.
Wir wollen jedoch nicht verzagen und versuchen unser Verständnis von der tatsächlichen Tiefe der Einsichten des Autors an weniger komplizierten Beispielen zu vertiefen.
Gehen wir von einer weiteren Feststellung des Autors aus, die geeignet ist, unser Bild der prähistorischen Forschung zu korrigieren: Die Worte des Hawaianischen Sprache mögen der gesprochenen Sprache des prähistorischen Kontinents Mu am nächsten stehen. Man könnte sie auf verschiedene Grundworte und Verbindungen von Wurzelsilben und Vokale zurückführen, die eine tiefere Bedeutung aufscheinen lassen würden.
Ähnlich verhielte es sich mit den Mythen, Legenden, Volksmärchen und heiligen Schriften der verschiedensten Kulturen, die neben ihrer Bedeutung an der «Oberfläche« für das allgemeine Verständnis eine tiefere Bedeutung hätten, die denen, die sie zu entschlüsseln wüßten, ein tieferes Wissen enthüllte. Das ist nun allerdings nicht unbedingt etwas neues. Schon zahlreiche nichtschamanische Interpreten haben mitunter durchaus geistreiche Deutungen solcher Texte angeboten. Bedauerlicherweise betätigt sich unser Autor in diesem Falle nicht als Exeget und enthält uns solchermaßen die schamanische Perspektive zur Deutung der Märchen dieser Welt vor. Wenden wir uns deshalb einer seiner ureigenen Fachdisziplinen zu: Der Suche nach dem persönlichen Krafttier. Da wir als Stadtmenschen unsere Kenntnisse über wilde Tiere in der Regel auch nur aus zweiter Hand (Bücher, Filme, Videos …) beziehen würden, gibt der Autor uns zivilisationsgeschädigten Stadtmenschen diesmal Nachhilfe und erläutert etwas ausführlicher, wie denn die Begegnung mit einem bestimmten Krafttier bei einer schamanischen Reise (spirituell motivierter Ausflug in andere Realitäten) zu deuten sei. Über die Begegnung mit einem Eichhörnchen sind dabei folgende, tiefsinnige Ausführungen gemacht worden:
« … Es betont die Notwendigkeit, vorauszuplanen und einen Vorrat an Dingen anzulegen, die in Zukunft benötigt werden könnten. Das bedeutet, daß Sie auf Veränderungen und sogar widrige Zeiten vorbereitet sind und in positiver Weise darauf reagieren können. Das Eichhörnchen lehrt Sie, immer etwas in Reserve zu haben, nicht im Sinne, daß Sie horten oder geizig sind, sondern etwas für den künftigen Bedarf beiseite legen, auch wenn es unter Umständen später gar nicht benötigt werden sollte…« Der vermeintliche Tiefgang erschöpft sich also in naheliegenden Assoziationen, die sich beim Stichwort Eichhörnchen einstellen. Weshalb es hierzu schamanischer Ausbildung bedarf ist mir nicht klar. Eine mittelmäßige Phantasie ist mehr als ausreichend. Das gilt letztlich auch für alle anderen Abschnitte des Buches, in denen der Autor ausführlicher über seine schamanischen Techniken referiert.
Außerdem hätte der Autor nicht soviel Worte über Eichhörnchen verlieren müssen, die tummeln sich schließlich auch reichlich in städtischen Parks. Ganz anders verhält es sich natürlich mit Drachen. Da ist man durchaus auf die Erfahrungen des schamanischen Weltenwanderers angewiesen um die Botschaften, die uns dieses Tier übermitteln kann, richtig zu deuten.
Ansonsten sei angemerkt, daß noch alle möglichen anderen «Mysterien«, die in der esoterischen Literatur zum Standardrepertoire gehören, gestreift werden. Nahtodeserlebnisse, Reinkarnationen, Pendeln, Arbeit mit den Eigenschaften von Edelsteinen usw. Auch diese esoterischen Wissensgebiete, wie das Pendeln, denen andere Esoteriker gleich dicke Schmöker gewaltiger Ausmaße gewidmet haben, werden auffällig kurz behandelt. Anders hätte man die ungeheure Vielfalt der angesprochenen «Wissensgebiete« auch gar nicht gewährleisten können.
Beenden wir an dieser Stelle den Bericht über das grausame, spirituelle Bastelspiel. Im nächsten Coyote fahren wir damit fort zu untersuchen, welche Schlüsse über Gemütslage und Wahrnehmung des Autors uns das vermeintlich umfangreiche, kulturelle Wissen, das nicht zuletzt auf langjähriger, praktischer Erfahrung gründen soll, erlaubt.