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Ein bisschen Gutmenschentum

Image „Avatar“-Kritik Teil II

gesehen von Dionys Zink
(veröffentlicht 1/2010)

Dass das Kino eine Illusionsmaschine, das 3D-Kino ihre Steigerung ist — geschenkt! Dass schon seit dem Film „Der Mann, den sie Pferd nannten“, aber auch Kostners Wolfstänzer-Movie, ein weißer Messias im virtuellen Alleingang „The White Man’s Burden“ schultert und die Indianer retten muss — auch geschenkt. Und seit Tolkiens Montage einer Welt aus Versatzstücken aller möglichen Kulturen sei auch das zeitgeistige „Irgendwie-Ethno-Sampling“ nur erwähnt, aber nicht näher beleuchtet.

„Avatar“ aber treibt den latenten Rassismus der amerikanischen Kino-Industrie in neue Extreme, nicht nur in technischer Hinsicht.
Der Hyperrealismus des Films gerät rasch in eine merkwürdige Schieflage. Er beansprucht zunächst eigentlich ein recht gegenwärtiges Szenario: Hier die weitgehend unberührte Gesellschaft der Ureinwohner in einer phantastisch unberührten Regenwaldnatur, dort die hochtechnisierte Welt einer rohstoffhungrigen, gewaltbesetzten Zivilisation, dessen Angehörige jede Unschuld verloren zu haben scheinen. Dazwischen eine Gruppe von Ethnologen, die wie weiland in Kambodscha die Ureinwohner ausspionieren soll und ein GI, der es allen Recht machen will

In diesem Film wird dann postuliert, dass die edlen Wilden bereit seien, ihr Wissen um das Überleben in einer heillosen Welt, jederzeit mit jemandem zu teilen, der guten Willens ist, ja dass sie soweit gehen würden, ihn zu einem der ihren zu machen, wenn er sich genau so verhält, dass er eigentlich per definitionem nicht zu ihnen gehören kann.

Im Film sammeln sich angesichts der Bedrohung die verschiedenen Stämme der Ureinwohner hinter der amerikanischen Lichtgestalt zu einer Low-Tech-Streitmacht, um dem Bösen die Stirn zu bieten. Schon dieser Unsinn entspricht der euroamerikanischen Perspektive seit dem 18. Jahrhundert. Immer wieder wird in der Geschichtsschreibung die Vorstellung beschworen, die Ureinwohner müssten nur eines Sinnes sein, um eine ernsthafte Bedrohung, um ihre Kultur zu erhalten, ja um sogar eine Konkurrenz für die Eroberer und Kolonisatoren zu sein. Umgekehrt bedeutet dies natürlich, dass die Ureinwohner nicht gewinnen können, solange sie keine Einheitsfront bilden. Aus dieser These wird dann ganz schnell die Überlegung, die Indianer etc. seien irgendwie selbst schuld, wenn sie der kolonialen Aggression nicht standhalten könnten, weil sie ja heillos zerstritten seien. Daraus ergibt sich dann für die Sozialdarwinisten, die ihre Interessen rücksichtlos verfolgen wollen, die einfache „divide et impera“-Weisheit der Kolonialherren: Gelingt es, den Gegner in möglichst viele Teilgruppen zu zerlegen, stellt er keine Gefahr mehr dar und kann mittels Salamitaktik beseitigt werden.

In vermeintlicher Naiviät wird den Na’vi ein Happy-End geschenkt, das darin besteht, dass es den Ureinwohnern von Pandora gelingt, in phantastisch überdrehter Manier den Vietnamkrieg noch einmal zu gewinnen. Der politisch korrekte United States Rollstuhl-Marine, der entscheidend zum Erfolg beiträgt, entpuppt sich als charismatischer Führer, dem mittels Blauhaut-Pocahontas ein „culture crossing“ gelingt, also der vollkommene Eintritt in die Welt der Indigenen, ohne dass gefragt wird, ob dies allein nicht deren Weltbild völlig verändern müsste.

Das Ende des Films erweist sich denn auch als Triumph des Individualismus reinster amerikanischer Prägung, ohne dass gefragt wird, ob sich das überhaupt mit dem Weltbild einer Ureinwohnergesellschaft verträgt.

Natürlich muss ein Film vergröbern und zuspitzen, wenn eine gute Geschichte erzählt werden soll, aber für das oben beschriebene Paradoxon bietet auch „Avatar“ statt einer Antwort nur den üblichen Hollywood-Mist. Der Zuschauer identifiziert sich zunächst mit dem naiven Soldaten, dann mit den sympathischen Blauhäuten und merkt gar nicht, dass seine Bereitschaft zur Identifikation bereits Ausdruck seiner Inkompatibilität mit den Werten der Ureinwohner sein könnte.

So bleibt der Film auf das Problem eine Antwort schuldig, ob Zivilisationen unterschiedlichster Gestalt friedlich koexistieren können oder ob es nur die Schwarz-Weiß-Lösung gibt, die, wie jedermann weiß, in Wirklichkeit nur den Untergang indigener Kulturen bietet, solange ein Großteil der westlichen Welt auf Kosten der Ureinwohner den Reichtum unseres Planeten verbraucht. Der Zuschauer kann selbst der Misere natürlich auf denkbar einfachste Weise entkommen: Die Botschaft lautet ganz einfach, man müsse eben ein bisschen Verständnis aufbringen und ein bisschen so wie die blauhäutigen Indianer werden, dann stehe man auf der Seite der Gutmenschen, ein bisschen halt.
 
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Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Dienstag, 17. Mai 2022 12:41:02 CEST von oliver. (Version 9)