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Eduardo u. Bonnie Duran: Native American Postcolonial Psychology

Postcolonial Psychology (Cover: State University of New York Press) Pflichtlektüre
besprochen von Robert Stark
(veröffentlicht 2/2001)

Empfehlung eines Dog Soldierslink

Bei seinen Lesungen pflegt der Cheyenne-Dichter Lance Henson immer wieder die Lektüre des hier besprochenen Buches ans Herz zu legen. Auch für uns ein Anlass, das Buch sorgfältig zu studieren. Nachdem die AGIM bereits einige Lesungen mit Lance Henson organisiert und zwei Bücher mit Dichtungen des Cheyenne herausgegeben hat, wird es höchste Zeit, unseren Abonennten, – darunter sicher auch einige Zuhörer, die diese Empfehlung nicht zum erstenmal vernehmen – über die Lektüre zu berichten.

Das Buch ist nur auf Englisch verfügbar, und wer sich bemüht, ein solches Exemplar zu erhalten (z.B über amazon.com), wird vielleicht vom ersten Eindruck befremdet sein. Es ist in der „SUNY Series in Transpersonal and Humanistic Psychology“ erschienen. Wir haben ein psychologisches Fachbuch vor uns, einen sogenannten „primer“ der Basiswissen eines Arbeitsgebietes vermittelt: in diesem Fall die Psychotherapie nordamerikanischer Ureinwohner; eine Aufgabe, die natürlich weder den Lesern unserer Zeitschrift noch der AGIM zusteht.

Doch obwohl das Buch zunächst einen Apell an praktizierende Psychologen darstellt, ist die Lektüre weit über diesen Kreis hinaus sinnvoll und anregend. Mehr noch, wer sich ernsthaft mit der Gegenwart nordamerikanischer Indianer auseinandersetzen will, sollte das Werk zur Pflichtlektüre zählen. Als Mitglied der „Dog Soldier Society“ der Cheyenne wusste Lance Henson ganz genau, was er seinem Publikum mit auf den Weg gegeben hat.

Psychotherapie von Indianern – eine Literaturgattunglink

Die Literatur zum Thema nordamerikanischer Indianer in Deutschland ist vielfältig. Einem Vergleich mit dem jährlichen Ausstoß an anglo-amerikanischen Titeln hält sie hingegen nicht einmal entfernt stand. Dort sind Bücher über die Psychologie und Therapie nordamerikanischer Ureinwohner bereits eine eigene, umfassende Gattung. Abgesehen von einer Übersetzung, die vor einigen Jahren im Suhrkamp-Verlag erschienen ist (Psychoanlyse eines Prairie-Indianers) hat sich der deutsche Buchmarkt diesem Genre verständlicherweise nicht angenommen.

Ganz anders die Situation in Amerika. Welch verheerende Auswirkungen Landnahme und Dominanz der weißen Bevölkerung auf die Ureinwohner Amerikas bis heute hat, muß unseren Abonnenten nicht erst erläutert werden: Alkohol- und Drogenmißbrauch, zerrüttete Familienverhältnisse, hohe Selbstmordraten und viele andere Probleme bei Reservats- und Stadtindianern sind wohlbekannte Phänomene. Verhältnisse, die zwangsläufig eine umfangreiche Fachliteratur für zuständige Therapeuten hervorbrachten. So fühlten die Autoren sich am Anfang ihres Buches genötigt zu erklären, weshalb dieser endlosen Liste eine weiteres Buch hinzugefügt werden musste.

Wege der Heilunglink

Die Ratschläge der bisherigen Fachbücher würden insgesamt an einem mehr oder weniger offensichtichen Mangel leiden. Sie hätten bei aller Bemühung die falsche Perspektive. Die Autoren versuchen die Indianer mit den Kategorien westlicher Pschologie zu verstehen und zu behandeln. Das müsse scheitern und entsprechend mager fallen die Erfolge aus.

Grafik aus Postcolonial Psychology (State University of New York Press) Anders scheint das mit den von Eduardo Duran entwickelten Methoden zu sein. Professor Morgan, der einst mit der Supervision von Eduardos Arbeit befasst war und ein Vorwort zum Buch der Durans verfasste, drückte seine Bewunderung für die Arbeit Eduardos u.a. mit folgenden Worten aus: „Erfolgreiche Supervisionsitzungen sind für beide Seiten ein Lernprozess.

Aber diese Sitzungen waren außergewöhnlich ergebnisreich und voller Geheimnisse. Eduardo, der aus Abstammung und Tradition (Pueblo und Apache) sowie aus solider psychologischer Ausbildung … schöpfen kann, hatte einen Mittelweg zur wirksamen klinischen Behandlung gefunden. Er benutzte Träume, Sandbilder, kulturell und persönlich bedingte Symbole sowie nichteingreifende Techniken in einer Form, die zugleich der Jahrtausende alten Tradition amerikanischer Ureinwohner und zeitgenössischer psychologischer Handlungsweise entsprach.

Was wichtiger war, diese besondere Mischung funktionierte. Patienten mit schweren Alkoholproblemen und tiefgreifenden Schäden durch Mißbrauch wurden gesund. Selbst solche mit chronischen Psychosen oder Persönlichkeitsstörungen reagierten. Gewalttätige und chaotische Familiensituationen verbesserten sich. Meine anhaltende Neugier als Supervisor wurde beständig genährt: Wie hat er das gemacht?“ Spätestens an dieser Stelle muß auch der an indianischer Kultur interessierte neugierig werden, sofern ihm an tiefergehenden Einsichten gelegen ist.

Das Buch und seine Geschichtelink

Dies ist nicht das erste Buch an dem Eduardo Duran (in diesem Fall gemeinsam mit Ehefrau) gearbeitet hat. Schon seine Doktorarbeit war diesem Thema gewidmet. Allerdings war er gezwungen, beständig Rücksicht auf das mangelnde Verständnis des akademischen Establishments für traditionelle Weltbilder und Heilweisen nordamerikanischer Ureinwohner zu nehmen. Dieses Buch hingegen sollte einige der dem eigenen Weltbild verhafteten Mutmaßungen abendländischer Tradition demontieren, um damit einen unvoreingenommeren Dialog zwischen der Praxis angloamerikanischer und indianischer Heilmethoden zu ermöglichen.

Teil 1 gibt in vier theoretischen Kapiteln einen Überblick zu den fundamentalen Unterschieden der Wahrnehmung der uns umgebenden Welt in westlichen und indianischen Kulturen. Es wird an einigen Beispielen gut verständlich herausgearbeitet, warum ein rein westlichen Kategorien verpflichtetes, wissenschaftliches Weltbild kaum sinnvolle Methoden zur psychischen Heilung von Menschen einer fremden Kultur hervorbringen kann.

Die Durans bedienen sich dabei keiner Allgemeinplätze und betonen immer wieder auch die Unterschiede zwischen den indianischen Kulturen selbst. Ein Vorzug der Darstellung ist Konzentration auf typische Beispiele, welche exemplarisch aber ausreichend detailliert die Auswirkungen der Interpretation indianischer Krankheitsbilder durch von westlicher Wissenschaft geprägte Denkmodelle illustrieren. Dabei ist zu spüren, dass die Autoren aus umfassender Praxis heraus urteilen. Darüberhinaus beherrschen Sie auch einen umfassenden Fundus an Fachliteratur, was die prägnante und überzeugende Kommentierung wichtiger wissenschaftlicher Facharbeiten zum jeweiligen Thema beweist.

Teil 2 besteht vor allem aus vier beispielhaft erörterten Problemkreisen der klinischen Praxis. Ein Kapitel heißt „Der Geist des Alkohols“ und als ein „real existierender Geist“ wird dieser in indianischen Weltbildern auch wirklich aufgefasst. Dabei erstaunen vor allem die Fallbeispiele, wo ganze Gemeinden das Problem in den Griff bekommen, sobald die Indianer selbst Regeln im Einklang mit dem traditionellen Wertesystem etablieren, die auch von der Stammesregierung sanktioniert werden (z.B. in einer Shuswap-Gemeine, wo innerhalb von 10 Jahren eine Abnahme der Alkoholismusrate von 95 auf 5 % gelungen sei). Unter anderem können die Autoren an historischen Beispielen zeigen, das für das Problem des Drogenmißbrauchs schon immer traditionelle Gegenmaßnahmen existierten, die bei intakten Gemeinden auch bestens funktionierten.

Eine wesentliche Einsichtlink

Kernthese der Durans ist, dass jede Behandlung psychisch bedingter Probleme von indianischen Patienten nur erfolgreich sein kann, wenn die historische Genese dieser Probleme durch die permanenten Verletzungen während der Kolonialisierung verstanden wird. Zurückgeblieben seien offene Wunden, die bis heute verheerende Wirkung in den Gemeinden und der Seele von Individuen zurückgelassen hätten. Eine Behandlung, die einzig nach den Grundsätzen westlich orientierter Psychologie ausgerichtet ist, muß neokolonialistisches Instrument fortgesetzter Unterwerfung bleiben. Voraussetzung einer erfolgreichen Behandlung ist die Beachtung traditioneller Werte und Weltbilder, eine Aufgabe, die letztlich nur von den indianischen Gemeinden selbst geleistet werden kann. Ganz im Sinne Sitting Bulls können die Indianer dabei durchaus von den Weißen übernehmen, was sich als nützlich erweist, ohne jedoch die eigene Identität verleugnen zu müssen. Die Autoren glauben daran, dass den Indianern die Kraft innewohnt, dieses Ziel zu erreichen.

Native American Postcolonial Psychology, Duran, Eduardo u. Bonnie; State University of New York Press, 1995

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Sonntag, 29. März 2020 21:23:34 CEST von oliver. (Version 1)

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