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18 Monate Frist bis zur Klärung der Landrechtsfragen

Der kanadische Regierungschef Jean Chretien hat seinen Rücktritt angekündigt – aber erst in 18 Monaten im Februar 2004 soll es soweit sein. Bis dahin wird innerhalb seiner unangefochten regierenden Liberal Party ein heftiges Gerangel um seine Nachfolge erwartet. Für die Lubicon Cree im nördlichen Alberta bedeutet dieser angeündigte Rücktritt, dass die derzeit laufenden Landrechtsverhandlungen mit einer von Chretien eingesetzen Verhandlungskommission innerhalb der nächsten anderthalb Jahre zum Abschluss kommen müssen, sollen die mühselig ausgehandelten Kompromisse nicht ein weiteres Mal im Papierkorb landen.
von Dionys Zink
(veröffentlicht 3/2002)

Die Lubicon Cree im Norden der Provinz Alberta drängen seit mehr als 60 Jahren auf die Einrichtung eines Reservats innerhalb ihres mehr als 10 000 Quadratkilometer umfassenden traditionellen Jagdgebiets. Bei den Vertragsabschlüssen von 1899 wurden die Cree einfach übergangen, weil ihr Gebiet von der zu Kanu reisenden Vertragskommission nicht zu erreichen war. Die Grippeepidemie während des 1. Weltkriegs tötete 90% der ursprünglich 3000 Lubicon Cree Indianer. Ein Reservat wurde den Überlebenden und ihren Nachkommen in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts zwar versprochen, dann aber nicht eingerichtet, weil Vermessungstechniker infolge des 2. Weltkriegs nicht abkömmlich waren. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten die Lubicon Cree nach wie vor von der Jagd und der Fallenstellerei, bis infolge der Ölkrisen von 1973 und 1980 ihr niemals veräußertes Territorium ins Visier der Erdölkonzerne geriet. Seither wurden dort Hunderte von Bohrungen niedergebracht und aus mehr als 200 Förderanlagen strömt Erdöl- und Erdgas im Wert von mehr als einer Million Dollar täglich in die Pipeline-Systeme Nordamerikas. Die Lubicon Cree erhielten bisher weder ein Reservat noch erhielten sie Entschädigungen für die nach kanadischem Recht widerrechtlich entnommenen Bodenschätze.

Im Gegenteil entrichten sie bis heute einen hohen Preis: ihre traditionelle Wirtschaftsweise ist völlig zerstört, ihre Umwelt massiv geschädigt und die Zukunft ihrer Kinder besteht in einer Existenz auf dem untersten Sozialhilfe- Niveau, bisher ohne Aussicht auf Besserung. Immer wieder versuchten die Lubicon Cree aus eigener Kraft ihr Schicksal zu wenden. Doch insbesondere die steuerlich vom Ölgeschäft profitierende Provinzregierung Albertas weigerte sich an einen Ausgleich der Interessen auch nur zu denken. Erst ein Olympia-Boykott der Winterspiele in Calgary 1988, dem eine Blockade der Ölförderung im selben Jahr folgte und ein Boykott der japanisch-kanadischen Papierfirma Daishowa, die beabsichtigte das Lubicon-Gebiet abzuholzen, zwang wenigstens die Bundesregierung ernsthafte Verhandlungen aufzunehmen. Noch 1993 in der Opposition hatte der heutige Regierungschef Jean Chretien in einem Schreiben an AGIM erklärt, „dass es Zeit zu handeln sei“ und die Situation in der Lubicon-Gemeinde zu verbessern eine „oberste Priorität“ haben sollte. Seither sind neun Jahre vergangen. Ein erster Anlauf scheiterte aufgrund der Inflexibilität der Regierungsunterhändler und der drohenden Abholzung des Lubicon-Gebiets durch Daishowa, die natürlich zuerst verhindert werden musste. (Worüber hätte man dann noch verhandeln sollen, wenn der Waldbestand vernichtet gewesen wäre?)

Ein Neuanfang am Verhandlungstisch konnte erst 1998 eingeleitet werden. Seither ziehen sich die Verhandlungen zwischen der kanadischen Bundesregierung und den Lubicon Cree dahin, zum einen weil zahlreiche technische Fragen zu klären sind, die Provinzregierung Albertas mit immer neuen Störmanövern versucht die Verhandlungen von außen zu torpedieren, insbesondere aber weil die Regierungsseite in einem zeitlichen Rahmen vorgeht, der mit nur einem einzigen Verhandlungstag pro Monat Zweifel an der Ernsthaftigkeit weckt, dass die Regierung tatsächlich auch eine Vertragslösung erzielen will. Mit Jean Chretiens aktueller Rücktrittsankündigung steht zu befürchten, dass mit der Beibehaltung dieser gebremsten Vorgehensweise die bisher erreichten Verhandlungsergebnisse zur Makulatur werden.

Dabei handelt es sich lediglich um einen Teil dessen, was die Lubicon Cree fordern, nämlich die Einrichtung eines Reservats mit einer gemeindlichen Infrastruktur (Häuser, Versorgung, Entsorgung). Noch gar nicht diskutiert wurde die Frage der Entschädigung für widerrechtlich entnommene Bodenschätze oder ein bereits früher ausgehandeltes Wald- und Wildschutzabkommen für das abzutretende Lubicon-Gebiet um das zukünftige Reservat herum. Die Lösung dieser weiteren Fragen ist einer trilateralen Verhandlungsrunde unter Einbeziehung der Provinz Alberta vorbehalten, die - ginge es denn gerecht zu – auch den Löwenanteil der Entschädigungszahlungen zu leisten hätte. Immerhin dürfte allein der Steuergewinn der Provinz aus dem Erdölgeschäft deutlich über 10 Milliarden kanadische Dollar betragen.

Weil das Nahziel eines eigenen Reservats nunmehr gefährdet scheint, rufen die Lubicon-Unterstützer in Kanada (Friends of the Lubicon) zu einer Briefaktion auf, die auch in Europa unterstützt werden soll (siehe Briefvorschlag auf der nächsten Seite) . Dabei geht es darum, die kanadische Bundesregierung und ihren Chef an ihre Versprechen zu Beginn ihrer Amtszeit zu erinnern.

Die kanadische Unterstützerorganisation Friends of the Lubicon (FoL) ruft zu einer Briefkampagne auf, die sich auf einen Brief des heutigen Kanadischen Ministerpräsidenten Jean Chretien an FoL vom Mai 1993 beruft. AGIM und auch andere europäische Unterstützungsorganisationen erhielten damals einen ähnlich lautenden Brief Chretiens, der damals noch der Chef der Opposition im Parlament von Ottawa war.

Wir bitten um Erinnerungsbriefe an Jean Chretien und drucken zu diesem Zweck eine deutsche Fassung als Formulierungsvorschlag ab. Briefe machen in der eigenen Muttersprache, durchaus auch handschriftlich und natürlich in den kanadischen Amtssprachen Sinn. Wir bitten um eine Kopie des Briefes an unsere Büroadresse (siehe Impressum).

Rt. Hon. Jean Chretien
Prime Minister of Canada
Parliament Hill
Ottawa, ON K1A 0A6
Kanada

Sehr geehrter Herr Chretien,

bei der Lösung großer Aufgaben kann die Zeit quälend langsam oder auch sehr schnell vergehen: langsam für diejenigen, die sich verzweifelt um eine Besserung ihrer gegenwärtigen Lebensumstände bemühen, schnell andererseits für diejenigen, die sich der Tatsache bewusst sind, dass sie nur über begrenzte zeitliche Spielräume verfügen, diese Besserung auf politischem Feld voranzubringen.

Für die Lubicon Lake Indian Nation hat es sehr lange gedauert bis sich eine Veränderung einstellen wollte. Es ist nun mehr als 60 Jahre her, dass ihnen seitens der kanadischen Regierung erstmalig eine Reservation in Aussicht gestellt wurde, und noch immer gibt es weder dieses Reservat noch angemessene Wohnunterkünfte noch fließendes Wasser noch eine Zukunftsperspektive für die Lubicon-Gemeinde.

Für Ihre Regierung scheint die Zeit jedoch schnell vergangen zu sein. Es muss für Sie kaum vorstellbar sein, dass neun Jahre vergangen sind, seitdem Sie in einem Brief an AGIM (damals noch unter dem Namen Big Mountain Aktionsgruppe – BMAG) versprachen, für „rasches Handeln“ in Bezug auf eine Klärung der Lubicon-Landrechtsfragen zu sorgen.

Damals erklärten Sie, dass „die Zeit dränge“, es „Zeit zum Handeln sei“ und dass Sie den Anspruch der Lubicon Cree als eine „vorrangige Angelegenheit“ ansehen würden.

Noch schwerer mag es vorstellbar sein, dass Sie nur noch wenig Zeit haben werden, Ihr Versprechen einer vertraglichen Lösung der Lubicon-Landrechtsfragen zu bewerkstelligen, da Sie ja kürzlich Ihren Rücktritt vom Amt des kanadischen Ministerpräsidenten zum Februar 2004 angekündigt haben.

Wir sind der Auffassung, dass eine faire Vertragslösung bis dahin sehr wohl möglich ist, wenn sich Bundesund Provinzregierung entsprechend bemühen. Gesetzt den Fall, Sie würden sich persönlich um eine zügige Vorgehensweise bemühen, sind wir überzeugt, dass ein Vertrag sogar deutlich früher zustande kommen könnte. Die noch offenen Verhandlungsgegenstände sind klar definiert und auch ihre technischen Bedingungen sind bereits geklärt. Was jedoch offenkundig noch fehlt, ist der politische Wille, die Verhandlungen zum Abschluss zu bringen. Wir glauben, dass Ihre persönliche Mitwirkung, ihre politische Richtlinienkompetenz und Ihre Entschlusskraft diesen erfolgreichen Abschluss ermöglichen kann.

Bisher ist es keinem kanadischen Ministerpräsidenten gelungen, das Versprechen einer Zukunft für die Lubicon Cree auch einzulösen, trotz der Hoffnungen und Bemühungen aller, die von den am Lubicon Lake bestehenden Problemen Kenntnis haben.

Wir hoffen, dass Sie der Ministerpräsident sein werden, der seine Versprechen halten und seine Amtszeit mit einem erfolgreichen Vertragsabschluss beenden wird.

Mit freundlichen Grüßen

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Dienstag, 4. Februar 2020 12:56:31 CET von oliver. (Version 3)

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