Liebe Freund*innen und Unterstützer*innen,

in unserem monatlichen Newsletter möchten wir über jüngste Ereignisse und anstehende Termine informieren.

Atomkraft – Nein Danke!link

Heute vor 36 Jahren, am 26.04.1986, kam es zur Nuklearkatastrophe im Kernkraftwerk von Tschernobyl. Der Krieg gegen die Ukraine hat auch dieses Ereignis wieder in Erinnerung gerufen, als Russland am 25.02.2022 verkündete, den zerstörten Reaktor und das Sperrgebiet besetzt zu haben. Die Nachricht alarmierte die Öffentlichkeit in ganz Europa, denn die Absicht dieses Vorgangs war völlig unklar — Provokation, Drohung oder einfach militärische Machtdemonstration? Erst 2016 war mit internationaler Unterstützung ein neuer Sarkophag über der Ruine errichtet worden, um die radioaktive Gefahr einzudämmen. 100 Jahre, verkündete die ukrainische Regierung damals, sollte der Sarkophag halten, doch mit Raketenbeschuss rechnete niemand.

Die Explosion des Reaktors 4 von Tschernobyl war 1986 der Super-Gau, vor dem Wissenschaftler*innen und Atomkraftgegner*innen immer gewarnt hatten. Die tatsächliche Zahl der Opfer kann bis heute nur geschätzt werden. Noch immer weisen etwa manche Pilze in Bayern eine signifikante Strahlenbelastung auf — fast vier Jahrzehnte nach dem Gau. Die Katastrophe und ihre Auswirkungen verdeutlichten einmal mehr die Notwendigkeit zum Ausstieg aus der Atomkraft. Aber es hat lange gedauert, bis die Politik die Konsequenzen daraus ziehen wollte. Erst die erneute Katastrophe von Fukushima im März 2011 konnte die deutsche Bundesregierung zum Ausstieg bewegen. Die Aufräumarbeiten am beschädigten Kernkraftwerk von Fukushima sind bis heute noch nicht beendet und werden noch Jahrzehnte dauern, u.a. müssen in manchen Bereichen Roboter eingesetzt werden, da die Strahlung für Menschen zu gefährlich ist.

Ende dieses Jahres sollen mit den Atomkraftwerken Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 die letzten Reaktoren vom Netz gehen. So zumindest der Beschluss von 2012. Angesichts des Ukrainekriegs und der damit verbundenen Energieversorgungsdebatten scheinen manche Politiker*innen die Lehren aus der Vergangenheit vergessen zu haben. Nach einer ersten Kehrtwende von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schloss nun am Wochenende auch der FDP-Parteitag eine Laufzeitverlängerungen der deutschen AKWs nicht mehr aus. Dabei verdeutlicht gerade die aktuelle Situation, wie sträflich die längst erforderliche Energiewende versäumt wurde — nicht nur in Deutschland.

Die aktualisierte Auflage des “Uranatlaslink-external” vom April 2022 verdeutlicht dies anschaulich. 40 Prozent der europäischen Uranimporte stammen aus Russland und seinem Verbündeten Kasachstan. Auch die noch bis Ende des Jahres laufenden deutschen AKW werden zum Teil damit betrieben. Über seine Beteiligungen an Uranminen in Kanada, den USA und vor allem Kasachstan ist Rosatom laut den Angaben der zweitgrößte Uranproduzent der Welt.

Völlig ausgeblendet wird bei der Diskussion von den Befürworter*innen der Atomkraft der Aspekt der Urangewinnung, die vielfach auf dem Land indigener Völker, u.a. in Kanada und USA, betrieben wurde und wird. Noch immer gibt es über 1.000 aufgelassene Uranminen im Südwesten der USA, deren “Clean-up” nur schleppend vorankommt, während die Indigenen bis heute unter den Folgen des Uranabbaus und der radioaktiven Verseuchung leiden. Als “offenen Rassismus” bezeichnet Dariel Yazzie die Behandlung der Indigenen. Der 52-jährige Dineh war selbst an Krebs erkrankt, nachdem er in einem Haus aufgewachsen war, das mit radioaktivem Abraum errichtet wurde. Heute arbeitet er für die Navajo Nation Environmental Protection Agency und kümmert sich um die Beseitigung des radioaktiven Erbes. Für die Indigenen — Dineh, Pueblo etc. — brauchte es nicht erst der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, um die Gefahren der Atomkraft zu begreifen. 1979 kam es in Church Rock, New Mexico, zu einem Unfall, bei dem 1.100 Tonnen Uranabfall und 355 Millionen Liter radioaktive Flüssigkeit in den Rio Puerco flossen – bis heute die schlimmste atomare Katastrophe in den USA.

Wir müssen uns daher allen Bestrebungen zu einer Renaissance der Atomkraft (wie leider auch von der EU mit der Taxonomie betrieben) entschieden entgegenstellen.

waawiindamaw. promise — Indigene Kunst und koloniale Verträge in Kanadalink

Die neue Sonderausstellung im Züricher NONAM (Nordamerika Native Museum) widmet sich der Auseinandersetzung mit den kolonialen Verträgen in Kanada und hat dafür drei Anishinabe-Künstler zur Zusammenarbeit gewonnen, welche nicht nur ihre Arbeiten ausstellen, sondern auch im Rahmenprogramm präsent sind: Barry Ace, Michael Belmore und Frank Shebageget.

Zur Eröffnung der Ausstellung war auch die Filmemacherin, Künstlerin, Sängerin und Aktivistin Alanis Obomsawin anwesend, welche ihren Film “Trick or Treaty” präsentierte. Eine ausführliche Besprechung folgt im Coyote Nr. 129.

Wie Obomsawins Film verdeutlichen auch die Arbeiten der Künstler die Problematik des Begriffs der Verträge, bei denen sich die Interpretationen von Seiten der Kolonialmacht und der Indigenen keineswegs in ein einfaches Deckungsverhältnis bringen ließen bzw. lassen. “Waawiindamaw” bedeutet in der Sprache der Anishinaabe First Nations “Versprechen”, doch wie wenig diese Versprechen zählten, mussten die Indigenen leidvoll erfahren, wenn es um Land und Rohstoffe ging.

Die Indigenen müssen bis heute ihre Vertragsrechte einklagen und einfordern, u.a. bei den Vereinten Nationen. Am 30. April veranstaltet das NONAM daher einen „Treaty Day“, bei dem auch unsere Kollegin von Incomindios, Helena Nyberg, einen Vortrag über “Indigene Nationen an der UNO — der lange Weg zu den eigenen Rechten” halten wird.

Die Ausstellung ist noch bis 18. September 2022 zu sehen. Das umfangreiche Rahmenprogramm findet sich als PDF unter: https://www.stadt-zuerich.ch/kultur/de/index/institutionen/nonam_indianer_inuit_kulturen/ausstellungen.htmllink-external.

UN Permanent Forum on Indigenous Issueslink

Am 25.04.2022 wurde die 21. Sitzung des UN Permanent Forum on Indigenous Issues in New York eröffnet. Das diesjährige Thema, “Indigenous peoples, business, autonomy and the human rights principles of due diligence including free, prior and informed consent”, behandelt ebenfalls die Rechte der Indigenen an ihrem Land und ihren Ressourcen. Die Sitzung findet dieses Jahr in Folge der Pandemie nur in hybrider Form statt, so dass deutlich weniger Teilnehmer*innen vertreten sind als in den Jahren vor der Pandemie. Die Sitzungen sind jedoch im Livestreamlink-external zu verfolgen.

Neben dem in Genf im Menschenrechtsbereich angesiedelten Expert Mechanism on the Rights of Indigenous Peoples und dem Sonderberichterstatter über die Rechte der Indigenen Völker ist das Permanent Forum das dritte UN-Gremium, das sich ausschließlich den Rechten der indigenen Völker widmet. Das UNPFII wurde im Jahr 2000 unter dem Dach des Wirtschafts- und Sozialrats gegründet und tagt einmal jährlich für eine zweiwöchige Sitzungsperiode in New York. Das Gremium setzt sich aus 16 Mitgliedern zusammen, die jeweils zur Hälfte von den Indigenen und von den Mitgliedsstaaten gewählt werden. Zu den von Indigenen gewählten Mitgliedern zählt auch Geoffrey Roth (Standing Rock Sioux), der zuvor u.a. als Direktor des National Council of Urban Indian Health und unter Obama im Gesundheitsministerium arbeitete. Er ist der einzige indigene Vertreter aus Nordamerika in dem Gremium. Zum Vorsitzenden wurde Dario Jose Mejia Montalvo (Zenu) aus Kolumbien gewählt. Allerdings finden sich auch zwei “Experten” im Forum, die von der russischen bzw. chinesischen Regierung entsandt wurden.

Ein weiteres Thema auf der diesjährigen Agenda ist die “Internationale Dekade der Indigenen Sprachen” (2022 – 2032), welche die mit dem Internationalen Jahr der Indigenen Sprachen (2019) begonnenen Initiativen zum Erhalt und der Förderung der indigenen Sprachen fortsetzen soll (https://en.unesco.org/idil2022-2032/globalactionplanlink-external). Ein Kostprobe der Lebendigkeit der indigenen Sprachen bot der Eröffnungsredner der Sitzung, Katsenhaienton Lazare (Bear Clan, Mohawk), welcher die traditionelle Willkommenszeremonie (25 Minuten in seiner Muttersprache) übernahm. In seiner Rede beschwor er das Erbe der Vorfahren, die Beziehung der Indigenen zur Natur und deren Erhalt und die besondere Bedeutung der Sprachen für das Überleben der indigenen Kulturen.

Der frischgewählte Vorsitzende des Forums verwies jedoch deutlich darauf, dass zwar indigene Rechte in Verträgen, der ILO Konvention 169 und vor allem in der UN-Deklaration der Rechte der Indigenen Völker verankert sind, aber die Ausbeutung indigenen Landes ungehindert fortgesetzt wird — und auch die Repression der indigenen Land Defenders. Er forderte daher die Staaten auf, sich an internationales und nationales Recht zum Schutz der indigenen Völker zu halten.

Indigene bei der 59. Biennale in Venediglink

Unter dem Titel “The Milk of Dreams” eröffnete am 23.04.2022 die 59. Biennale in Venedig — eine der wichtigsten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die noch bis 27. November zu sehen ist. Erstmals erhalten Indigene einen eigenen Pavillon, denn der bisherige “Nordic Pavillon”, der von den Ländern Norwegen, Finnland und Schweden gemeinsam ausgerichtet wird, wurde dieses Jahr in den “Sámi Pavillon” umbenannt. Damit soll den Sámi, deren traditionelles Territorium sich über alle drei Länder erstreckt, besondere Anerkennung zuteilwerden. „We Are Still Alive“ heißt denn auch das Werk des Sámi-Künstlers Anders Sunna aus Schweden. Zu häufig seien in der Vergangenheit Indigene aus einer fremden Perspektive betrachtet worden, so Liisa-Ravna Finbog, die Kuratorin des Sámi-Pavillons. “Es geht jetzt weniger darum, die Biennale zu dekolonisieren, sondern vielmehr zu indigenisieren, d.h. wir stellen unsere Geschichten in den Vordergrund und das in den Mittelpunkt, was unsere Gemeinschaften zu indigenen Gemeinschaften macht und teilen dies mit der Welt”, so Finbog, selbst eine Sámi aus Norwegen.

Schon vor der offiziellen Eröffnung der Biennale kamen Indigene als Teil des Rahmenpogramms in die Lagunenstadt, um vom 22.-25.04. an einem viertägigen “Aabaakwad Gathering” teilzunehmen. In der Sprache der Anishinabe bedeutet “wenn sich die Atmosphäre nach einem Sturm reinigt”. Aabaakwad Gathering ist ein jährliche Kunstveranstaltung, die abwechselnd in Toronto und internationalen Veranstaltungsorten stattfindet und bei der sich Künstler*innen, Kurator*innen und Kunstkritiker*innen austauschen. Die Gründerin dieser Treffen, Wanda Nanibush, ist Kuratorin der Art Gallery in Ontario und internationale Beraterin für den Sámi-Pavillon. Zu den Teilnehmer*innen zählten u.a. die Performance-Künstlerin Rebecca Belmore (Anishinabe, Ontario), der Dichter, Autor und Dozent für kreatives Schreiben Bill-Ray Belcourt (Cree, Alberta), die Dichterin und Performance-Künstlerin Janet Rogers sowie die Filmemacherin, Autorin und Aktivistin Darlene Naponse (Anishinabe, Onatrio) und Gerald Vizenor (Anishinabe, Minnesota), Professor Emeritus, Autor unzähliger fiktionaler und nicht-fiktionaler Werke und Schöpfer des schönen Begriffs “Survivance”.

Aber natürlich waren auch bei den vergangenen Biennalen indigene Künstler in Venedig präsent, so etwa Edgar Heap of Birds oder der jüngst verstorbene Jimmi Durham. Eine späte Anerkennung erfährt auf der 59. Biennale auch der Künstler Jaider Esbell (Macuxi, Brasilien), der sich letztes Jahr das Leben nahm. Der Zerrissenheit zwischen den traditionellen Wurzeln und dem plötzlichen Ruhm auf dem Kunstmarkt, u.a. kauften das Centre Pompidou und die Fondation Cartier seine Werke, war er nicht gewachsen. Nun wird er mit der Ausstellung von 13 seiner Arbeiten in der Arsenale gewürdigt.

“World Press Photo Award 2022”link

Die kanadische Photojournalistin Amber Bracken wurde mit dem Hauptpreis des diesjährigen “World Press Photo Award 2022” ausgezeichnet. Seit 1955 vergibt die World Press Photo Foundation mit Sitz in Amsterdam den angesehenen Preis, der mit $5.000 dotiert ist. Insgesamt standen 65.000 Bilder von mehr als 4.000 Photograf*innen aus 130 Ländern zur Auswahl.

Das Bild mit dem Titel “Kamloops Residential School” wurde 2021 aufgenommen, nachdem die Überreste von 215 indigenen Kindern entdeckt wurden, welche in der dortigen Internatsschule ums Leben kamen. Die Entdeckung der Gräber, der rasch weitere im ganzen Land folgten, erinnert an das Schicksal der rund 150.000 indigenen Kindern, welche seit Ende des 19. Jahrhunderts bis 1996 das Umerziehungssystem der Internate durchlaufen mussten. Aufgrund des Ausmaßes an Gewalt und Todessopfern sprach die Truth and Reconciliation Commission 2015 von einem Völkermord an den Indigenen. In Erinnerung an die Opfer wurde der “Orange Day” ins Leben gerufen, bei dem mit orangen T-Shirts der Opfer gedacht wird. Auf Brackens Photo wehen diese T-Shirts an Holzkreuzen vor der Kamloops Reisdential School. Ihr Photo kann dazu beitragen, die Öffentlichkeit auf dieses dunkle Kapitel in der Geschichte Kanadas – und der USA – aufmerksam zu machen.

Die aus Alberta stammende Photographin widmet sich seit langem den Lebensbedingungen und dem Kampf der Indigenen um ihre Rechte. Erst im November wurde die 38-Jährige verhaftet, als sie am Widerstandscamp der Wet’suwet’en, welche ihr Land in British Columbia gegen die Coastal GasLink verteidigen, den Sturm der RCMP auf das Camp dokumentierte. Bracken hat Erfahrung mit Widerstandscamps und den Übergriffen der “Sicherheitskräfte”. So wurde sie bereits 2017 mit dem „World Press Photo Award“ für ihr Photo des Oceti Sakowin Camps im Widerstand gegen die Dakota Access Pipeline (DAPL) in der Kategorie Gegenwartsthemen ausgezeichnet. Brackens Veröffentlichungen sind regelmäßig auch in der New York Times, dem Guardian oder National Geographic zu sehen.

Die Ausstellung des diesjährigen “World Press Photo Award”, die tatsächlich nicht nur Photos umfasst, sondern auch Videoarbeiten, wird auf Tour durch europäische Städte gehen, u.a. im Mai nach Zürich und Berlin, sowie im November nach Wien. Die genauen Daten finden sich auf: https://www.worldpressphoto.org/calendarlink-external

In Solidarität mit dem Selbstbestimmungsrecht der indigenen Völker!

Herzliche Grüße

Monika Seiller
Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V.
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Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V. (AGIM) ist ein gemeinnütziger Verein (gegr. 1986) zur Unterstützung der Rechte der indigenen Völker Nordamerikas und Herausgeberin des Magazins COYOTE.

AGIM e.V. (Action Group for Indigenous and Human Rights, est. 1986) is a non-profit human rights organization dedicated to supporting the right to self-determination of Indigenous peoples in North America. We publish a quarterly magazine COYOTE.

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