Martin Scorses neuester Film “Flowers of the Killer Moon” war in aller Munde und sorgte für Schlagzeilen in Hollywood — und in Indian Country. Sieben Oscar-Nominierungen weckten Hoffnungen, u.a. für die Hauptdarstellerin und für den besten Originalsong (Scott George). Lily Gladstone galt als der neue Shootingstar der Leinwand und wurde als Anwärterin für den begehrten Oscar bei der Verleihung im März 2024 gehandelt. Anfang Januar konnte Gladstone (Blackfeet) bereits einen Triumph feiern, denn als erste Indigene wurde sie mit einem Golden Globe als beste Hauptdarstellerin für ihr Rolle als Mollie ausgezeichnet. Glückwunsch! Doch beim Oscar ging die Blackfeet leider leer aus – auch wenn Oscar-Gewinnerin Emma Stone die begehrte Trophäe in ihrer Dankesrede mit allen Mitbewerberinnen teilte. Lily Gladstone hätte verdient, als erste Indigene mit einen Oscar ausgezeichnet zu werden. Doch wir müssen wohl noch warten.

Lily Gladstone (Foto: Leoman123)
Der Gewinner des Abends war “Oppenheimer” mit 13 Oscars, was nicht wirklich nachvollziehbar ist, denn der längliche Film über einen der Väter der Atombombe blendet einen wesentlichen Aspekt völlig aus — die Auswirkungen des atomaren Wettrennens auf die indigenen Völker, auf deren Land das Uran für die Bombe gewonnen wurde und auf deren Land die Tests durchgeführt wurden.

Auch der nominierte “Killers of the Flower Moon” mit Robert de Niro und Leonardo DiCaprio in den männlichen Hauptrollen, hätte bei einer Länge von dreieinhalb Stunden gerne eine Stunde kürzer sein können, während das gleichnamige Buch von David Grann mit seinen 377 Seiten im englischen Original keine einzige Seite zu lang ist, denn der True Crime Thriller fesselt bis zum letzten Absatz — nicht durch Action, sondern durch seinen erstaunlichen Faktenreichtum, der auch noch mitreißend geschrieben ist.

Vor allem aber hat das Buch einen anderen Schwerpunkt als der Film, denn hier steht Mollie — Opfer und Überlebende — im Zentrum. Der Film dagegen kreist um die männlichen Superstars, einem dämonischen Bösewicht und seinem tumben Erfüllungsgehilfen. Natürlich ist Robert de Niro gewohnt brillant als dämonischer Strippenzieher, aber hier wurde eine echte Chance vergeben, Lila Gladstone tatsächlich zum Star des Films zu machen, was umso bedauerlicher ist, da es sich um eine reale Geschichte handelt, die über ein Jahrhundert völlig verdrängt und vergessen wurde.

“Am 24. Mai 1921 begann sich Mollie Burkhart, eine Einwohnerin der im Osage-Reservat gelegenen Stadt Gray Horse, Sorgen zu machen, dass einer ihrer Schwestern, Anna Brown, etwas passiert sein könnte.” Damit eröffnet Grann seine Geschichte.

Der Mai ist in den Überlieferungen der Osage die Zeit des Blumen mordenden Mondes, wenn die zarten Frühlingsblumen von mächtigeren Pflanzen zerstört werden. Die Osage waren die zarten Pflänzchen, die hinweggefegt werden sollten.

Damit beginnt David Granns Buch, das sich in drei Abschnitte teilt: Die erste Chronik (Die gezeichnete Frau) erzählt Mollies Geschichte mit dem historischen Hintergrund und den Morden an den Osage. Die zweite Chronik (Der Mann der Beweise) schildert die mühsame Aufklärung durch Tom White und die letzte Chronik (Der Reporter) erläutert die Beweggründe und die Recherchen des Autors, die aus der Ich-Perspektive erzählt werden.

Das Buch ist bereits 2017 erschienen und war zwar für den National Book Award nominiert, blieb jedoch weitegehend von der breiten Öffentlichkeit unbeachtet. Zu ungeheuerlich sind die wahren Ereignisse — eine Reihe gezielter Morde an Osage-Indianer aus purer Habgier gepaart mit Rassismus inmitten einer gleichgültigen Gesellschaft.

Vertreibung und Ölreichtumlink

Grann beginnt in seinem Buch mit der Vorgeschichte der Morde (was im Film leider fehlt). Er verweist u.a. auf die Vertreibung der Osage, die Ausrottung der Büffel, und den “Dawes Act” (1887), welche wesentlich zur Situation der Osage beitrugen.

1872 wurden die Osage von ihrer Heimat in Kansas vertrieben und mussten sich im “Indian Territory” niederlassen, dem späteren Bundesstaat Oklahoma. 1897 wurde auf ihrem Gebiet Öl entdeckt. Der “Osage Allotment Act” von 1906 wies jedem Osage ein Gebiet von 266 ha zu, samt der Rechte am Boden und den Bodenschätzen. Danach hatten sie und ihre gesetzlichen Erben, ob Osage oder nicht, auf der Grundlage der ihnen zugeteilten Ländereien ein Anrecht auf Lizenzgebühren für die Ölförderung.

Als die Gier nach Öl immer größer wurde und die Fördertürme vor schwarzem Gold sprudelten, wurden die Osage plötzlich unermesslich reich. Lügengeschichten über den verschwenderischen Lebensstil der Osage verbreiteten sich in Windeseile und schufen den Nährboden für Neid und Begehrlichkeiten.

Die Osage waren nicht blöd, sie begriffen schnell, welche Gefahr der neue Reichtum mit sich bringen würde. Bei einer Kongressanhörung erklärte Osage-Häuptling Bacon Rind, die Weißen hätten “uns hierher in die Einöde gedrängt, in den unwirtlichsten Teil der Vereinigten Staaten, weil sie dachten, wir werden diese Indianer dorthin treiben, wo es nur einen Haufen Steine gibt und sie in dieser Erde versauern lassen. Nun, da sich der Haufen Steine als millionenschwer erwiesen hat, will plötzlich jeder hierherkommen und etwas von diesem Geld haben.”

Reiche Indianer waren nicht das Ziel der Vertreibung und Unterwerfung gewesen — und der Kongress handelte. 1921 erließ er ein Gesetz, das die Ausgaben bzw. die Handlungsfähigkeit der Osage einschränkte. Sie mussten nun nachweisen, dass sie in der Lage wären, ihre Geschäfte selbst verantwortungsvoll zu handhaben. In der Praxis bedeutete dies, dass die Osage entmündigt wurden und ihnen von den Gerichten ein Vormund zur Seite gestellt wurde, der den Indigenen lediglich auf Bitten ein Taschengeld zur Verfügung stellte. Als Vormund wurden meist weiße Geschäftsleute oder Anwälte beauftragt — der Korruption waren keine Grenzen gesetzt.

Nach Vertreibung, Unterdrückung und Entmündigung hatten die Osage keine Kraft mehr, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. Es herrschten zunächst Erschöpfung, dann Fatalismus und schließlich pure Angst.

Osage-Mordelink

Auch die Familiengeschichte von Mollie wird im Buch von Grann dargelegt. Ihre Eltern, Lizzie und Ne-kah-e-sey, heirateten 1874. Mollie (Wah-kon-tah-he-um-pah) selbst wurde 1886 geboren, sie hatte drei Schwestern: Anna, Rita und Minnie. Mit sieben Jahren musste sie in die katholische St. Louis School, andernfalls hätten die Eltern kein Geld mehr bekommen. Wie viele andere Osage heiratete Mollie 1917 den weißen Ernest Burkhart, den Neffen des berüchtigten „Königs der Osage Hills“, den Viehbaron William Hale. Ernest wurde zu ihrem Vormund. Hale entwickelte einen teuflischen Plan, um an das Geld von Mollies Familie zu kommen, und Ernest Burkhart war der willfährige Helfer (den übrigens Leonardo DiCaprio auch so spielt).

Kurz nach der Hochzeit begannen die Morde. 1918 starb ihre Schwester Minnie an einer mysteriösen Schwindsucht. Ihr Witwer, Bill Smith (ebenfalls ein Weißer), heiratete daraufhin seine Schwägerin Rita, um an das Geld zu kommen. Anna starb im Mai 1921 — angeblich hatte sie zu viel getrunken und war erfroren. Später stellte sich heraus, dass sie erschossen worden war. Einen Monat später wurde auch Mollies Mutter Lizzie vergiftet. 1922 wurde Ritas Haus in die Luft gesprengt, wobei auch Bill Smith starb, was einen Mitwisser im Komplott weniger bedeutete. Mollie war nun die letzte Überlebende und Alleinerbin. Auch sie sollte vergiftet werden.

Neben den Mitgliedern von Mollies Familie wurden weitere Osage ermordet und Mitwisser aus dem Weg geräumt. Kein Deal war zu dreckig, wenn es ums Geld ging. So ließ William Hale den Osage Henry Roan ermorden, nachdem er diesen überzeugt hatte, ihn als Erben der Lebensversicherung in Höhe von 25.000 Dollar einzusetzen. Der heutige Principal Chief Geoffrey Standing Bear geht davon aus, dass in den 1920er Jahren bis zu 150 Osage Opfer der Mord- und Geldgier wurden.

Verurteilung von Hale und Burkhartlink

1923 hatten sich die Osage an Washington gewandt und um Hilfe gebeten. 1924 sprach eine Studie der Indian Rights Association von einer „Orgie an Betrug und Ausbeutung“. Selbst die Regierung musste 1925 einräumen, dass die Osage durch das Vormundschaftssystem um rund acht Millionen Dollar betrogen wurden — nach heutiger Rechnung 140 Millionen Dollar. Und das Morden ging weiter. Bei den Osage herrschte blanke Angst. Bis 1924 gab es mindestens 25 Todesfälle, für deren Untersuchung die Osage sogar selbst zahlen mussten.

Am 15. Januar 1926 erließ die Society of Oklahoma Indians eine Resolution:

“Mitglieder des Stammes der Osage wurden ihrer Landrechte wegen hinterhältig ermordet… Die Verantwortlichen verdienen für diese mutmaßlichen Verbrechen, rücksichtslos strafverfolgt und im Falle einer Verurteilung mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft zu werden…” Man unterstützte daher die Bemühungen der Strafbehörden zur Aufklärung der Fälle.

Schließlich wurde das FBI mit der Untersuchung der Morde beauftragt — mit Erfolg. 1926 wurden Hale und Burkhart verhaftet. Ernest Burkhart wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt, nachdem er ein Geständnis abgelegt hatte, nachdem seine 4-jährige Tochter „plötzlich“ gestorben war. Durch Burkharts Aussagen konnte auch Hale verurteilt und der Morde schuldig gesprochen werden.

Erst 1932 wurde Mollies Vormundschaft aufgehoben, sie starb 1937. Hale wurde nach 20 Jahren Haft in Leavenworth entlassen, und Burkhart kam 1966 aus dem Gefängnis, nachdem ihn der Gouverneur begnadigt (!) hatte. Er kehrte nach Oklahoma zurück und starb 1986.

Die genaue Zahl der Ermordeten wird sich nie mehr ermitteln lassen. Die Osage-Morde wurden schnell aus dem amerikanischen Gedächtnis verdrängt. Selbst im Film “FBI-Story” (1959) mit James Stewart kamen sie nicht einmal vor.

Als die Ölquellen versiegten und auch die Weltwirtschaftskrise ihr Vermögen verschlang, gehört die Story von den reichen Osage der Vergangenheit an. Für veruntreute Gelder erhielten die Osage 2012 eine Entschädigungssummer von 380 Millionen Dollar, doch das Trauma der Osage-Morde blieb.

Kooperation mit den Osagelink

Als der Film im September 2023 Premiere feierte, musste das Großereignis auf die zwei Top-Stars verzichten. Wegen des Streiks der Hollywood-Schauspielergewerkschaft konnten weder Robert De Niro noch Leonardo DiCaprio über den roten Teppich schlendern. Dafür waren Vertreter der Osage-Nation gekommen, um den Film zu feiern, der das Unrecht an ihrem Volk anprangert. Osage Principal Chief Geoffrey Standing Bear lobte nicht nur den Film selbst, sondern vor allem die Zusammenarbeit während der Produktion. “Wir sind überall in diesem Film”, begeisterte sich Standing Bear, denn es sei nicht einfach ein Film über Indianer, sondern “Killers of the Flower Moon” habe neue Standards für die Kooperation mit Indigenen in der Filmbranche geschaffen.

Als die Osage 2019 von den Filmplänen erfuhren, wandten sie sich an Scorsese, um althergebrachte stereotype Darstellungen von Indigenen zu vermeiden. Tatsächlich trafen sich der Regisseur und sein Team mit den Osage, um eine Zusammenarbeit zu besprechen, die dazu führte, dass Osage an der Entwicklung des Films beteiligt waren. Die Dreharbeiten fanden auf dem Land der Osage statt und viele Rollen wurden mit Indigenen besetzt.
Tatsächlich vermeidet der Film die Klischees früherer Hollywooddarstellungen — auch wenn diese schon länger ins Wanken geraten sind. Einen Anthony Quinn oder “Captain Kirk” mit Stirnband und Perücke könnte kein Film dem heutigen Publikum als Indianer mehr anbieten. Die Zeiten sind längst vorbei, was jedoch nicht heißt, dass Filme über Indigene auch deren Perspektive reflektieren. Bis zu einem wirklich indigenen Blockbuster ist es ein weiter Weg.

Christopher Cote, der als Sprach- und Kulturberater bei den Dreharbeiten mitwirkte, erklärte, ihm wäre es natürlich lieber gewesen, der Film hätte die Geschichte aus Mollies Perspektive erzählt, aber realistisch betrachtet, sei man eben noch nicht so weit, dass man einem Osage-Filmemacher einfach mal 200 Million Dollar Produktionsgeld in die Hand drücken würde. Aber dennoch sei ein weiterer wichtiger Schritt erreicht, und natürlich ist die Auszeichnung und Anerkennung für Lila Gladstone dabei äußerst hilfreich.

Die rassistischen Darstellungen in den Western der1940er und 1950er Jahre waren ein Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft, die Indigene damals tatsächlich weitgehend als Verlierer der “Manifest Destiny” und minderwertige Relikte der Vergangenheit (wenn nicht gar noch als Feinde) betrachtete. Doch die amerikanische (und kanadische) Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. Bei allem Rassismus, der immer noch vorhanden ist, musste die Mehrheitsgesellschaft erkennen, dass die Indigenen immer noch da sind. Sie haben Völkermord, Vertreibung und Zwangsassimilierung überlebt und werden bestehen.

Indigene auf der Leinwand und im Streamlink

Ihr neues Selbstbewusstsein hat in den letzten Jahren auch zahlreiche Filme hervorgebracht — von Indigenen und mit Indigenen. Nicht nur Gladstone steht im Rampenlicht. Die Meldungen zu Indigenen in der Filmbranche überschlagen sich geradezu. Dieses Jahr soll eine Filmversion des “Star Wars”-Klassikers (1977) in der Sprache der Ojibwe veröffentlicht werden — bereits 2014 gab es eine Version in der Dineh-Fassung.

Die Marvel Studios — bekannt für ihre Superhelden-Blockbusters — präsentieren die Action-Serie „Echo“ auf den Streaming-Diensten Hulu und Disney. Im Zentrum steht die Figur der Maya, eine Choctaw, die taub ist und eine Beinprothese trägt — so wie die Schauspielerin Alaqua Cox selbst. Eine behinderte Indigene als “Super Hero” ist tatsächlich Neuland, das die Direktorin Sydney Freeland (“Drunktown’s Finest”) beschreitet. Mit von der Partie sind u.a. Tantoo Cardinal, Graham Greene und Zahn McClarnon. Auch mit Vincent D’Onofrio stand Cox (Menominee) schon vor der Kamera in der Marvel-Produktion “Hawkeye”.

Der erfolgreiche Maori-Regisseur Taika Waiti (“Jojo Rabbit”) produzierte für Netflix zudem die Coming-of-Age-Geschichte “Frybread Face and Me”, in der ein Dineh das vertraute San Diego verlassen muss, um den Sommer bei der Verwandtschaft auf der Reservation zu verbringen. Regisseur Billy Luther (Navajo/Hopi/Laguna Pueblo) legte dabei besonderen Wert auf eine indigene Besetzung, u.a. Keir Tallman, MorningStar Angeline und Jeremiah Bitsui.
Mit der Superheldin Kahori präsent Marvel zudem eine Mohawk-Protagonistin in der Animationsserie “What if?”. Die Figur der Kahori wurde in Zusammenarbeit mit den Haudenosaunee erarbeitet und stößt auf breite Begeisterung bei den Indigenen.

Nicht zu vergessen: “Reservation Dogs”, die gefeierte und mehrfach ausgezeichnete Serie über vier Jugendliche in einem fiktiven Reservat (gedreht auf dem Reservat der Muscogee Nation), deren 3. Folge 2023 abgeschlossen wurde, war ein echter Durchbruch, der weit über “Indian Country” Erfolge feierte.

Die Indigenen scheinen — nach all dem “Red Facing” – in den Startlöchern zu stehen, um die Filmbranche zu erobern, auch wenn die meisten Produktionen auf Streamingdienste beschränkt bleiben. Insofern war wohl die Großproduktion von „Killers of the Flower Moon“ mit der Besetzung der Hauptrollen durch Leonardo DiCaprio und Robert de Niro noch immer ein Zugeständnis an den Mainstream. Aber die Zeiten ändern sich auch in Hollywood.

Indigene Reaktionenlink

Nicht alle Indigenen reagierten so euphorisch wie die Osage. Manche erinnerten daran, dass auch Blockbuster wie “Black Panther” den täglichen Rassismus gegen Schwarze nicht beseitigten und noch immer “Black Lives Matter” auf den Straßen Amerikas gefordert werden muss.

Manche Indigene äußerten das Problem einer Re-Traumatisierung, auch wenn es wichtig sei, die grausamen Morde und die Geschichte an die breite Öffentlichkeit zu bringen.

Elizabeth Rule (Chickasaw), Professorin an der American University in Washington und Autorin des Buches “Indigenous DC”, kritisiert vor allem, dass im Gegensatz zum Buch die Rolle Mollies an Komplexität eingebüßt hat und stärker in den Hintergrund tritt. “Der Film gibt uns einen Einblick in die Erfahrungen einer Familie, aber die Geschichte der Gewalt ist eine gemeinsame Geschichte von Hunderten von Stämmen in den USA, und sie begann oder endete auch nicht in den 1920er Jahren. Diese Gewalt begann bereits mit der Kolonisierung dieses Landes und dauert bis heute an.”

Robert Warrior (Osage), Professor für amerikanische Literatur und Kultur an der Universität von Kansas, vertritt die Auffassung, dass “Killers of the Flower Moon” zu wenig darauf eingeht, wie die Politik der Bundesregierung die Enteignung der Ureinwohner vorantrieb, indem sie die Osage beispielsweise dazu zwang, ihr Reservat in einzelne „Allotments“ aufzuteilen. Dabei war der dem System zugrunde liegende “Dawes Act” (1887) speziell darauf ausgerichtet, die gemeinsame Landbasis der Indigenen zu zerschlagen und sie so in ihrer wirtschaftlichen Autonomie, aber auch hinsichtlich ihrer Traditionen und Kultur zu entmachten.

Auch Dennis McAuliffe (Osage), Autor des Buches “The Death of Sybil Bolton: Oil, Greed and Murder on the Osage Reservation”, das bereits 1994 erschien, kritisiert, dass der Film zu wenig auf die geschichtlichen und politischen Hintergründe eingeht, die zu dem System von Vormundschaft und Entmündigung der Indigenen führten.
Darauf verweisen insbesondere die Nachfahren der Opfer — für Jay Kilbie Reed ist der Film Teil seiner persönlichen Familiengeschichte. Sein Urgroßonkel wurde erst mit 44 Jahren für “mündig” erklärt, um selbst über sein Leben zu entscheiden. Die meisten Amerikaner hätten von dieser Geschichte keine Ahnung, denn natürlich wird sowas nicht in Schulbüchern gelehrt.

Geschichtslektion in Granns Buchlink

Auch die Autorin dieser Zeilen vermisst im Film vor allem den historischen Kontext. Das Buch von David Grann unternimmt genau diesen Versuch, die Morde an den Osage nicht nur in einen historischen Kontext zu stellen, sondern zugleich ein Zeitporträt der amerikanischen Gesellschaft zu skizzieren.

Vor allem im zweiten Teil des Buches fühlt sich die Leserin zurückversetzt in einen Western der 1940er Jahre. Das Land — also der tatsächlich “Wide Westen” — wird von wenigen Viehbaronen oder Großgrundbesitzern beherrscht. „Zivilisation“ ist selbst mit der Eisenbahn noch nicht abgekommen. Die „Unzivilisierten“ sind jedoch nicht die Indigenen, sondern die Abenteuer, Siedler und sonstigen Amerikaner, die immer noch an das Faustrecht und das Recht des Stärkeren glauben. Der Glaube an Gesetze oder das Vertrauen in ein verlässliches System von Verwaltung, Justiz oder Polizei hat sich noch nicht entwickelt. Gier und Korruption sind an der Tagesordnung — und das auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

“Der Mann der Beweise”, wie der zweite Teil überschrieben ist, will dies ändern. Grann beschreibt die chaotischen Zustände, die damals bei Polizei und Justiz in Oklahoma herrschten. Kriminalstatistiken waren noch unbekannt und die kriminalistischen Methoden steckten in den Kinderschuhen. Zwielichte Privatdetektive übernahmen die Arbeit der unfähigen oder unwilligen Sheriffs. Auch waren Polizei und Rechtsinstitutionen von Korruption durchsetzt.
Tom White war der Mann der Stunde, der dieses System ändern wollte. Der ehemalige Texas Ranger begann seine Arbeit beim Bureau of Investigation 1925, das 1935 in FBI umbenannt wurde. Unter der 40-jährigen Leitung von J. Edgar Hoover wurde das Federal Bureau of Investigation zu einem mächtigen Apparat. Im Biopic “J. Edgar” (2011) spielte übrigens Leonardo DiCaprio den FBI-Chef. In seinen Aufzeichnungen zeigte White, der seine Geschichte 1928 in Zusammenarbeit mit dem Autor Fred Grove niederschrieb, allerdings ein sehr kritisches Bild von Hoover, der bald für seinen paranoiden Überwachungswahn bekannt wurde. Zudem kritisierte White den Corpsgeist des FBI und beklagte, dass in den anfänglichen Untersuchungen zu den Morden an den Osage Zeugenaussagen und Beweismittel verschwanden.

Verdrängte Morde: MMIWlink

Bei der breiten Berichterstattung zu “Killers of the Flower Moon” muss verwundern, dass keiner der Kritiker oder der Rezensentinnen auf ein drängendes Problem der Gegenwart verwiesen hat: die Tausenden an ermordeten und verschwundenen indigenen Frauen.

Mollies Schwester Anna wird tot in einem Graben gefunden — zunächst werden “natürliche” Ursachen vermutet, erst eine spätere Untersuchung ergibt, dass sie ermordet wurde. Dies erinnert sofort an all die Fälle, die noch heute so schnell von RCMP in Kanada oder FBI in den USA als “unsuspicious”, also unverdächtig abgelegt werden. In manchen Fällen wurde selbst bei Leichen, denen Gliedmaßen fehlten, ein Fremdverschulden ausgeschlossen! Im Augenblick versuchen Indigene in Winnipeg die Polizei dazu zu bewegen, einen Graben am Stadtrand zu untersuchen, wo mehrere Frauenleichen vermutet werden. Das allgemeine Desinteresse, das den Morden an den Frauen der Osage in den 1920ern entgegengebracht wurde, hat auch heute seine Entsprechung, wenn indigene Mädchen oder Frauen vermisst werden. Auch hier gibt es immer wieder Schlampereien, werden Zeugenaussagen nicht dokumentiert oder verschwinden Beweise.

Die Mordserie an den Osage liegt jetzt ein Jahrhundert zurück, und doch fiel wohl keinem der Kommentatoren die Parallele auf, dass es vor allem Frauen waren, die damals ermordet wurden. Während Granns Buch mit Mollie beginnt, wird dieser Aspekt im Film kaum thematisiert — die Verletzlichkeit der indigenen Frauen. Sie wurden weißen Vormunden ausgeliefert, oft wegen ihres Geldes geheiratet und wegen ihres Geldes ermordet. Und das Ganze hat System. Grann beschreibt das Chaos und die Unzulänglichkeiten im damaligen Polizei- und Justizsystem, doch es gibt sie auch heute noch, wenn es um die Aufklärung von Morden an indigenen Frauen geht.

Obwohl das Thema erstmals 2004 in Kanada an die breitere Öffentlichkeit gelangte, reichen die Fälle Jahrzehnte zurück und das Morden geht weiter — auch in den USA. Dabei wird um Kompetenzen zwischen Tribe, Bundesstaat und Bundesebene gefeilscht und werden wertvolle Zeit und Ressourcen verschwendet. Erst 2020 wurde u.a. der “Not Invisible Act” verabschiedet, der die Kooperation zwischen den verschiedenen Behörden verbessern soll. Doch weder die USA noch Kanada sind bislang in der Lage oder willens, ihre Statistiken auf aktuellen Stand zu bringen noch entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Vielleicht hatte man dem Abspann von “Killers of the Flower Moon” einen passenden Hinweis auf diese Morde anfügen sollen.

Copyright: Monika Seiller
Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin Coyote, herausgegeben von der Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechtelink-external

Killers of the Flower Moon
USA, 2023

Regie: Martin Scorsese
Darsteller:

  • Leonardo DiCaprio
  • Robert De Niro
  • Lily Gladstone


Trailer bei IMDblink-external.

Killers of the Flower Moon ist — neben den Kinos — zur Zeit nicht auf Netflix verfügbar, jedoch u.a., gegen Gebühr, bei Apple TVlink-external, Amazon Primelink-external und (ebenfalls gegen Gebühr) bei Youtubelink-external.