Liebe Freund*innen,
nachfolgend berichten wir über jüngste Entwicklungen und Termine.
ILO 169 in Kraft getreten
Es war ein langer Kampf — doch an diesem Donnerstag, den 23.06.2022, trat die einzige verbindliche Konvention zum Schutz indigener Völker in Deutschland in Kraft, nachdem der Deutsche Bundestag im April 2021 mit großer Mehrheit den Beitritt zur ILO-Konvention 169 beschlossen hatte. Die Konvention über indigene und in Stämmen lebende Völker von 1989 (Nr. 169) der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO) basiert auf der “Anerkennung der Bestrebungen indigener und in Stämmen lebender Völker, Kontrolle über ihre eigenen Institutionen, Lebensweisen und Entwicklung auszuüben und ihre Identitäten, Sprachen und Religionen in den Ländern, in denen sie leben, zu erhalten und zu entwickeln”. Eine Konvention zum Schutz der Rechte von weltweit rund 475 Millionen Menschen hört sich gut an, doch trotz der Ratifizierung bleiben viele Hindernisse für die Verwirklichung ihrer Rechte, auch durch deutsche Unternehmen. Dies zeigt auch die Pressemitteilung des Koordinationskreises ILO 169 (www.ilo169.de), der sich seit Jahren für die Durchsetzung der Konvention engagiert hat. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Ressourcen von indigenem Land. So verhandelt die Bundesregierung mit Kolumbien über verstärkte Kohleimporte aus der Mine El Cerrejón, welche die Rechte der Wayuú verletzt.
CETA-Ratifizierung von Ampelkoalition beschlossen
Die Widersprüchlichkeit der Regierungspolitik hinsichtlich indigener Rechte zeigt sich, wenn am selben Tag die ILO-Konvention 169 in Kraft tritt und gleichzeitig ein von Indigenen bekämpftes Freihandelsabkommen vorangetrieben wird. Trotz der früheren Kritik der Grünen am Freihandelsabkommen CETA zwischen EU und Kanada hat die Bundesregierung am 23.06.2022 beschlossen, die Ratifizierung des Vertrags noch vor der Sommerpause durchs Kabinett zu bringen. Das “Comprehensive Economic and Trade Agreement” (CETA) wurde seit 2009 unter strenger Geheimhaltung verhandelt. 2014 war der 1.500seitige Vertragstext fertig, im November 2016 unterzeichneten die EU-Kommission, die EU-Staaten und Kanada das Abkommen, das seit 2017 eine vorläufige Anwendung fand, aber noch der Ratifizierung bedurfte.
Während Wirtschaftslobbyisten erheblichen Einfluss auf den Vertragstext erhielten, blieben Öffentlichkeit und Parlamente von den Verhandlungen weitgehend ausgeschlossen — und die Indigenen und ihre Landrechte wurden völlig ignoriert. CETA untergräbt bestehende Umweltstandards und schränkt zukünftige Umweltgesetzgebung erheblich ein, z.B. hinsichtlich des Imports des klimaschädlichen Rohöls aus kanadischen Teersanden in die EU oder auch des Frackings. Hauptkritikpunkt sind die Schiedsverfahren zum “Investitionsschutz”, mit dem Konzerne ihre Wirtschaftsinteressen gegen Menschen-, Arbeits- und Umweltrecht einklagen können. Entscheidend sind dann die Bestimmungen des Handelsabkommens und nicht die deutschen oder europäischen Gesetze. Angesichts der durch den Ukrainekrieg hervorgerufenen jüngsten Entwicklungen zeigen sich nun auch die Grünen offen für weitere Freihandelsabkommen.
“National Indigenous Peoples Day” in Kanada
Vor zwei Tagen, am 21.06.2022 feierte Kanada den Nationalen Tag der Indigenen Völker, der 1996 als “National Aboriginal Day” ins Leben gerufen wurde und den Höhepunkt des “National Indigenous History Month” darstellt, welcher die “einzigartige Geschichte und Kulturen der indigenen Völker anerkennen und ihren Beitrag zur Vielfalt Kanadas würdigen” soll. Allerdings geht die Anerkennung der First Nations, Inuit und Metis nicht so weit, den Tag zu einem nationalen Feiertag zu erheben.
Seiner Vorliebe für gefühlige Beschwörungen folgend betonte Kanadas Premierminister Justin Trudeau, dass der Indigenentag mit dem Tag der Sommersonnwende zusammenfalle, zu dem traditionell Familien und Gemeinschaften zusammenkommen, um zu feiern. Natürlich vergaß Trudeau nicht zu erwähnen, was es zu feiern gilt — die “großen Fortschritte, die wir im vergangenen Jahr erzielt haben, um gemeinsam mit den Indigenen eine bessere Zukunft zu sichern”. Außerdem markiere das Datum die Umsetzung der UN-Deklaration der Rechte der Indigenen Völker in kanadisches Recht, welche 2021 beschlossen wurde. Der längste Tag des Jahres symbolisiere das Licht, ein “Licht der Hoffnung für die gemeinsame Zukunft”.
Doch die Schatten der Vergangenheit wiegen schwer — die Gräberfunde auf den Geländen der ehemaligen Residential Schools im Mai vergangenen Jahres sind dafür ein deutliches Zeichen. Und diese Schatten reichen bis in die Gegenwart. Bis heute hat die kanadische Regierung lediglich elf eher symbolische Empfehlungen der 94 “Calls to Action” umgesetzt, welche die Truth and Reconciliation Commission zur Aufarbeitung der Internatsschulen, denen geschätzt 6.000 indigene Kinder zum Opfer fielen, 2015 in ihrem Bericht vorlegte, d.h. 83 Forderungen wurden bislang nicht erfüllt. Natürlich erwähnte Trudeau auch mit keinem Wort, dass zum Stand April 2022 fast die Hälfte aller Frauen in kanadischen Gefängnissen indigener Herkunft sind, obwohl Indigene nur 5% der Bevölkerung bilden. Und natürlich schwieg sich Trudeau zu den Konflikten um Pipelines wie die Coastal GasLink oder die staatliche Trans Mountain Pipeline aus.
Endgültiges Aus für die Keystone XL Pipeline
Seit 2009, als das kanadische Unternehmen TransCanada (heute TC Energy) die Erweiterung der Keystone Pipeline ankündigte, leisteten Indigene und Umweltschützer*innen erbitterten Widerstand gegen die Pipelinepläne. Nach jahrelangem Hin und Her erklärte US-Präsident Biden 2021 das Aus für die Pipeline, die sein Vorgänger Trump noch um jeden Preis durchsetzen wollte. Nun hat der Betreiber TC Energy (der auch die Coastal GasLink Pipeline gegen den Willen der Indigenen, u.a. der Wet’suwet’en durchsetzen will), am 17.06.2022 auch offiziell das Ende des Projekts eingeräumt.
Joye Braun, Pipeline-Campaignerin des Indigenous Environmental Network, begrüßte die Entscheidung als einen Sieg des indigenen Widerstands, rief jedoch zugleich zur Wachsamkeit auf, denn TC Energy hat zeitgleich ein neues Projekt angekündigt — die GTM Express Gaspipeline, welche Frackinggas von British Columbia in die USA bis Kalifornien transportieren soll. Angesichts der hiesigen Debatten um “Energiesicherheit” sollten wir in der Tat wachsam sein, wenn mit der Abkehr von russischen Gaslieferungen nun von Flüssiggasexporten aus Nordamerika in die EU die Rede ist.
Staatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags
Vom 21.-23.06.2022 fand die erste Konferenz der Vertragsstaaten des Atomwaffenverbotsvertrags in Wien statt. Deutschland hat den wichtigen Vertrag, der 2021 in Kraft trat, nicht unterzeichnet, sondern beschränkt sich nur auf einen Beobachterstatus, ohne jedoch namhafte Vertreter zur Konferenz in Wien entsandt zu haben. Bis heute befinden sich US-Atomwaffen auf deutschem Boden – jeder deutschen Kontrolle entzogen. Deutschland muss dem Beispiel der bisherigen 62 Vertragsstaaten folgen und dem Vertrag gegen Atomwaffen beitreten. Dies war auch die Forderung, welche die Zivilgesellschaft in einer von der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) organisierten Konferenz und Aktionswoche im Vorfeld der Vertragsstaatenkonferenz erhob. Zur Erinnerung: getestet wurden die US-Atombomben auf dem Gebiet der Indigenen!
G7-Demo
Die vorgenannten Themen und Probleme sind für uns Anlass genug, um uns am 25.06. bei der Kundgebung und Demo auf der Münchner Theresienwiese (12:00 Uhr) zu beteiligen, denn wir müssen die Regierungschefs der G7-Staaten, die sich am Wochenende im bayerischen Elmau treffen, an ihre Verantwortung gemahnen, d.h. auch gegen die Ausbeutung und Zerstörung indigenen Landes und Ressourcen protestieren. Ziviler Widerstand muss an diejenigen erinnern, die oft vergessen werden.
Aktionsmonat Peltier
Am 26. Juni jährt sich der sogenannte “shoot out”, bei dem zwei FBI-Beamte und ein AIM-Aktivist 1975 ums Leben kamen. Für den Tod der FBI-Beamten wurde AIM-Aktivist Leonard Peltier in einem zweifelhaften Verfahren verurteilt. Der 77-Jährige sitzt mittlerweile seit über 46 Jahren im Gefängnis.
Menschen in aller Welt haben sich für seine Freilassung ausgesprochen. Mit dem Aktionsmonat soll erneut an US-Präsident Biden appelliert werden, Peltier aus der Haft zu entlassen.
Mahnwachen finden u.a. in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und Leipzig statt, aber auch in zahlreichen europäischen Stätten. Infos: https://www.leonardpeltier.de/10452-german-english-rundbrief-zum-aktionsmonat-fuer-leonard-peltier-leonard-peltier-action-month-newsletter
In Solidarität mit den indigenen Völkern
Monika Seiller
Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V.
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D-80807 München
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Indianer-Netzwerk
Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V. (AGIM) ist ein gemeinnütziger Verein (gegr. 1986) zur Unterstützung der Rechte der indigenen Völker Nordamerikas und Herausgeberin des Magazins COYOTE.
AGIM e.V. (Action Group for Indigenous and Human Rights, est. 1986) is a non-profit human rights organization dedicated to supporting the right to self-determination of Indigenous peoples in North America. We publish a quarterly magazine COYOTE.
Bankverbindung: IBAN DE28 7015 0000 0017 2234 70 / BIC: SSKMDEMM / Stadtsparkasse München
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