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Werbewirksame Notdurft

Luxus ist ein Menschenrecht (Poster Who's Perfect) Position: Betrifft Luxus und Menschenrechte
von Dionys Zink
(veröffentlicht 3/2004)

Es war einmal eine Zeit, da schwappte eine politische Modewelle über den Atlantik, die man als „Politische Korrektheit“ bezeichnete. Begriffe für ethnische, religiöse oder gesellschaftliche Gruppen waren plötzlich inakzeptabel, weil sie z.B. historische oder politische Tatsachen verschleierten. Eher witzig waren dann die Wortschöpfungen und Sprachverrenkungen im englischen Sprachraum, die entstanden, weil man zum Beispiel einen Körperbehinderten nurmehr positiv als „physisch herausgeforderte“ Person („physically challenged“) oder gar als „speziell befähigte Person“ („specially abled“) bezeichnen durfte. Zugunsten einer positiv klingenden Bezeichnung wurde eine klare Benennung eines Problems aufgegeben.

Mancher, der sich mit der Unterstützung nordamerikanischer Indianer befasst, kann sich an Workshops, Konferenzen und Tagungen der vergangenen Jahre erinnern, die damit begannen, dass irgendein Teilnehmer, und allzu häufig war es keiner der anwesenden Indianer, erst einmal eine neue Sprachregelung treffen wollte, wie man denn die nordamerikanischen Ureinwohner bezeichnen sollte, weil doch der Ausdruck „Indianer“ eine kolonialistische Bezeichnung sei. Derartiges führte bei ungeschickter Moderation regelmäßig zur Entgleisung der Veranstaltung, weil dann immer erst der Kolonialismus „bearbeitet“ werden musste, statt das eigentliche Thema der Veranstaltung. „Political Correctness“ (kurz: „PC“) wurde dann auch zurecht abgetan als unproduktive Besserwisserei oder im schlimmsten Fall als Killerstrategie zum Abwürgen produktiver Auseinandersetzung mit einem anderen, wichtigeren Sachverhalt.

Und trotzdem sollte man sich zwischenzeitlich mal wieder aufregen, beispielsweise über die aktuelle Werbung eines Yuppieramsch-Designmöbel-Ladens, der in mehreren Großstädten Deutschlands Filialen unterhält. Entdeckte man gelegentlich auf den Plakatwänden dezent platzierte Ratten noch als witzige Werbemasche, sieht man heute eine Ché Guevara nachempfundene Figur unter der Überschrift „Luxus ist ein Menschenrecht“. All den trendigen Pseudolinks- Schickies sei zunächst mal die Lektüre einer Biographie des Argentiniers Ernesto Guevara empfohlen, bevor sie sich mit der Pop-Ikone behängen. Dass sich die Warenwelt politischer Zeichen, Symbole oder Figuren bedient, ist ja seit den Zeiten des „Radical Chic“ nichts Neues, man denke nur einmal an den „Karstadt-Punk“ der achtziger Jahre. Doch hier hilft auch die versteckte Kritik an der revolutionären Pose nicht weiter, denn geradezu pervers ist die Überschrift dieser Werbung, also gerade das, was neben der zentralen Figur am meisten ins Auge fällt. In unserer immer einfacher denkenden Zeit ist die formallogische Umkehrung des Gleichungssatzes auf dem Plakat nämlich ebenfalls präsent: „(Ein) Menschenrecht ist Luxus“.

Natürlich muss man über Menschenrechte immer wieder streiten. Selbstverständlich kann man die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass die Forderung nach Menschenrechten wie sie die Europäer verstehen z.B. in der VR China als eurozentrischer Luxus betrachtet wird. Freilich erinnern wir uns an die Schock-Reklame eines italienischen Lumpenkonzerns, der mit blutbefleckten Uniformen, AIDS-Kranken und Flüchtlingsschiffen seine Kunden für blöd und seine Klamotten für zuviel Bares verkaufen wollte; dies noch mit dem Hinweis, es handle sich um so etwas wie Kunst in der Werbung. Dem Vorwurf der Miesepetrigkeit und der Humorlosigkeit setzen wir uns gerne aus: Luxus ist kein Menschenrecht! Es gibt zahlreiche gute Argumente dafür, dass ein nicht unerheblicher Teil etwa der Luxusmöbelfabrikation nur hergestellt werden kann, weil Menschenrechte in Ländern mit tropischen Regenwäldern systematisch verletzt werden.

Menschenrechte sind kein Luxus! Wer sich auf Menschenrechte beruft, diese einfordert und zu ihrer Verbreitung beitragen will, fordert keine selbstgefällige Wohlstandsexistenz, sondern etwas, das in unserer Gesellschaft von jeder Generation immer wieder mühselig neu zu erringen und immer gefährdet ist.

Menschenrechte eignen sich nicht zur Verrichtung werbewirksamer, intellektueller Notdurft.

„Nobody’s perfect“ bedeutet noch lange nicht, dass „anything goes“.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Montag, 27. September 2021 15:28:43 CEST von oliver. (Version 4)

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