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Vereinte Nationen 2004

Der große Sitzungssaal (Foto Oliver Kluge 2004) von Oliver Kluge (veröffentlicht 3/2004)

Genf bewegt sich. Und das bezieht sich nicht nur auf die nagelneue Trambahn, mit der man nun bequem direkt zur 1 avenue de la Paix fahren kann – zu den Vereinten Nationen. Die diesjährige Sitzung der Working Group on Indigenous Peoples, die zweiundzwanzigste ihrer Art, bewegt sich aus dem Schatten des Irak- Kriegs heraus, unter dessen Einfluss noch das letztjährige Treffen stand.

Seit langem ist die Zukunft dieses Meetings nicht gewiss – und das obwohl es immer beliebter wird. Die große Anzahl der Delegierten veranlasste die Verwaltung dieses Jahr den großen Sitzungssaal im alten Völkerbundspalast anstatt der gemütlicheren Säle XX oder XVIII einzusetzen. Der große Saal ist eindeutig nicht für Arbeitssitzungen gedacht sondern zur Repräsentation von Diplomaten und Staatsoberhäuptern. Die kühle Saalatmosphäre und die große Entfernung zu dem eigentlichen Treffpunkt – der Lobby – hatten ihren Einfluss.

Aber auch die Hintergrundmusik ändert sich. Letztes Jahr waren die immer wieder zu beobachtenden Anstrengungen der US-amerikanischen Regierung, die WGIP abzusägen, kaum noch wahr zu nehmen - so sehr waren die Vertreter der letzten Supermacht bemüht ihr Image aufzupolieren. Doch dieses Jahr drehten sie langsam auf und versuchten hier und da die Working Group gegen das Permanent Forum on Indigenous Issues auszuspielen.

Dabei ergänzen die sich prima, es wäre eine gute Sache beide zu behalten. Zwar ist die erste Aufgabe der WGIP, die Ausarbeitung eines Entwurfs für ein internationales Abkommen zum Schutz der Ureinwohner, vor Jahren einer Ad-Hoc-Working- Group übertragen worden, da den Staatschefs die WGIP zu weit ging. Doch die Human Rights Commission behielt sie bei, als jährliches Treffen von Ureinwohnern, Unterstützern und den fünf Mitgliedern der Working Group quasi als Repräsentanten der Human Rights Commission.

Im Gegensatz zum Permanent Forum, das eine Art Plattform darstellt, auf welchem die Ureinwohner ihre Probleme diskutieren können, hat die Working Group ein Mandat, bestimmte Themen tiefgreifend zu analysieren und Maßnahmen zu empfehlen. In diesem Jahr war dies „Indigene Völker und Konfliktlösung“. Dazu war, wie bereits seit einigen Jahren, das Thema Globalisierung mit auf der Agenda. Aber die WGIP ist neben der thematischen Arbeit auch wichtig als Orts- und Zeitkonstante, an der sich die europäischen Unterstützer treffen können.

Míguel Alfonso Martínez, Vorsitzender der WGIP (Foto Oliver Kluge 2004 Der Vorsitzende Drei Jahre hat der Kubaner Míguel Alfonso Martínez die Working Group geleitet und sich als würdiger Nachfolger von Erica-Irene Daez erwiesen. Er ist vor allem durch sein bahnbrechendes Werk, die Treaty Study, bekannt geworden. Darin hat der Juraprofessor nachgewiesen, dass nach internationalem Recht die Verträge der Ureinwohner mit den früheren Kolonialmächten einzig und allein als Verträge unter souveränen Staaten und souveränen Regierungen anzusehen sind, was natürlich die Möglichkeit eröffnet, internationale Gerichte anzurufen, um die Nachfolger der Kolonialstaaten an ihre Versprechen zu erinnern. Dass man sich damit nicht nur Freunde macht ist klar – Martínez wurde und wird von einigen Staaten am Reisen und am Kontakt mit Indigenen gehindert.

Martínez betonte auffallend oft, dass der WGIP keine Probleme drohen würden bei den bevorstehenden Reformen der Vereinten Nationen. Er benutze oft das Wort von einem Prüfstand. Da jedoch die Amerikaner bei der UNO-Reform ein gewichtiges Wörtchen mitreden werden (und Deutschland auf einen Sitz im Sicherheitsrat hofft), könnte es trotzdem eng werden.

Martínez hat von Anfang an klar gemacht, dass er nur drei Jahre Vorsitzender sein wolle, doch hatten viele gehofft, er würde sich umstimmen lassen. Sollte die Zusammensetzung der Working Group (Martínez, Guisse – Senegal, Hampson – Großbritannien, Motoc – Rumänien und Yokota – Japan) gleich bleiben, tippen viele entweder auf Hampson oder Motoc als Vorsitzende. Françoise Jane Hampson fiel dieses Jahr durch Statements auf, die an Deutlichkeit kaum Wünsche offen ließen. Auf der einen Seite wäre eine deutliche Stimme wünschenswert, auf der anderen Seite könnte das Regierungen verprellen. Antoanella-Iulia Motoc zeigte durch eine große Zahl von Redebeiträgen Kenntnis vieler Themenbereiche. Es bleibt also spannend.

Louise Arbour, Hochkommissarin für Menschenrechte (Foto Oliver Kluge 2004) Die Hochkommissarin Die zweite große Personalie von Genf ist die neue Hochkommissarin für Menschenrechte (UNHCHR), Louise Arbour. Sie stammt aus Kanada und war lange Jahre Richterin am Supreme Court und hat sich dort den Ruf erworben, kein Blatt vor den Mund zu nehmen wenn es um Menschenrechte geht. Sie tritt die Nachfolge von Sergio Viera de Mello an, der vor einem Jahr bei einem Bombenanschlag in Bagdad ermordet wurde.

Louise Arbour hat auch internationale Erfahrung, und zwar im internationalen Strafrecht und war mit Menschenrechtsverletzungen in Ruanda und im ehemaligen Jugoslawien befasst. In Kanada machte sie sich vor ihrer Rolle als Richterin einen Namen mit einer Untersuchung über das kanadische Justizvollzugssystem für Frauen.

In Genf gab sie eine sehr gut besuchte Pressekonferenz. Während die Präsentation der Ergebnisse der Working Group durch Martínez ganze drei Journalisten interessierte, kamen zu Louise Arbour Vertreter aller großen Medien der Welt. Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen erst die neue Kommissarin vorzustellen und danach die Working Group, so wäre vielleicht mehr Journalisten die Existenz einer nur wenige Säle weiter zeitgleich ablaufenden Menschenrechtskonferenz vor Augen geführt worden, und damit die Möglichkeit sich auch gleich direkt mit den Betroffenen zu unterhalten.

Louise Arbour wurde natürlich vordringlich zu den großen, bekannten Menschenrechtsproblemen befragt, also dem Krieg im Irak, der Mauer die der israelische Staat errichtet, Guantanamo Bay und Darfour. Im Gegensatz zu vielen anderen fand sie kräftige Worte, die vor allem in Amerika nicht sehr gerne gehört worden sein dürften. Hoffentlich muss sie für ihre deutlichen Worte nicht eines Tages ein ähnliches Schicksal erleiden wie vor einigen Jahren Mary Robinson. Die Folter in amerikanischen Gefängnissen im Irak geißelte sie beispielsweise als „acute social pathologies“. Überhaupt liebt sie eine klare Sprache, die sie selbst als „descriptive“ bezeichnet. „worst atrocities“, „crimes against humanity“, „name and shame” sind die Vokabeln mit denen sie redet.

Auf ihre Vergangenheit als Justice angesprochen beschrieb sie ihre zukünftige Rolle so: „Ich werde keine Richterin sein. Als Richterin muss man einen großen Teil seiner Ausdrucksmöglichkeiten aufgeben. Diese zurückgewonnen zu haben ist zu begrüßen. Manchmal kann man nicht vor deutlichen Worten zurückschrecken. Ich werde Anwältin sein. Ich will nicht reduziert sein auf eine Position bei welcher der HCHR nur als technischer Berater dient.“ Damit macht sie schon klar dass sie auch in Zukunft vor hat klar zu sagen was sie denkt.

Feiern zum Indigenous Day (Foto Oliver Kluge 2004) Noch eine Dekade Ein weiteres viel diskutiertes Thema in Genf war die Möglichkeit einer neuerlichen Dekade für die indigenen Völker. Nachdem die UNO nicht 1992, sondern 1993 zum „Jahr der indigenen Völker“ machte, passierte nicht wirklich viel. Zwar gab es hier und da lobenswerte Programme, bei denen sich einzelne Regierung mal etwas um ihre Ureinwohner kümmerten, aber wirkliche Veränderung gab es nicht. Deshalb schob man schnell ein ganzes Jahrzehnt hinterher, und das läuft nun aus – wiederum ohne dass nennenswerte Dinge geschehen wären. Und so kam die Idee auf, man könnte eine zweite Dekade hinten anhängen. Was in Genf nur als Möglichkeit im Raum stand, ist mittlerweile ziemlich sicher geworden. Das übergeordnete Gremium des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) hat eine Empfehlung ausgesprochen, so dass es als sicher gelten kann dass es so kommt. Aber ob es etwas helfen wird?

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Freitag, 28. Januar 2022 21:09:20 CET von oliver. (Version 4)

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