Eine filmische Bestandsaufnahme
von Monika Seiller
(veröffentlicht 3/2010)
“Like the miner’s canary, the Indian marks the shift from fesh air to poison gas in our political atmosphere, and our treatment of the Indians, even more than our treatment of other minorities, reflects the rise and fall of our demoratic faith“
Felix S. Cohen
Wer sich für – zugegeben etwas schräge – zeitgenössische indianische Musik interessiert, wird Yellow Thunder Woman als Mitglied der Band „Bastard Fairies“ kennen. Nun hat die Navajo-Musikerin zusammen mit Robin Davey ein weiteres Feld für sich entdeckt: den Film. Mit „The Canary Effect“ hat sie eine erschütternde Bestandsaufnahme des indianischen Amerikas vorgelegt.
Was harmlos mit einigen Comicszenen beginnt, entwickelt sich schnell zu einer bestürzenden Bilanz der Kolonialisierung und des versuchten (kulturellen) Völkermords an den Indianern Amerikas, wie der Untertitel „Kill the Indian, Save the Man“ verdeutlicht.
Die Dokumentation lässt Politiker, Wissenschaftler, Opfer der Missionsschulen oder Aktivisten zu Wort kommen, deren Aussagen mit historischen Fakten verwoben werden. Unter den Interviewten befinden sich der notorische Ward Curchill, aber auch Charles Abourezk (Supreme Court Rosebud Sioux), Prof. Troy Johnson von der Long Beach University, aber auch Stammespolizisten und andere.
Unterlegt werden die Interviews mit historischen Zitaten, Fakten, Dokumenten und Filmaufnahmen, die belegen, wie die Regierung der USA in Fortsetzung der Kolonialpolitik versuchte, die Indianer, wenn nicht mehr physisch, so doch kulturell auszurotten – kultureller Völkermord. Von den Massakern bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ist es kein weiter Sprung zur Assimilierungspolitik der Internatsschulen, den Zwangssterilisierungen der indianischen Frauen im 20. Jahrhundert und der Zerstörung der Lebensgrundlagen durch Regierung und Konzerne.
Bis heute zeigen sich die Muster der Ausgrenzung, Entrechtung und Diskriminierung bis in den Alltag hinein – von klischeehaften Darstellungen in den Medien, der Diskriminierung in der Werbung (z.B. für Schmerzmittel mit dem Slogan „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ im deutschen Fernsehen 2010!) bis zu den umstrittenen Mascots des amerikanischen Sports („Red Skins“).
Die Filmemacher haben dabei einige überraschende Fundstücke ausgegraben, etwa eine Ansprache des früheren Präsidenten Ronal Reagan („Ich verstehe überhaupt nicht, worüber diese Indianer sich beschweren, wir haben ihnen doch alles gegeben.“) oder alte Walt Disney-Streifen, die zeigen, mit welcher Selbstverständlichkeit die „Wertlosigkeit“ indianischen Lebens bis in die jüngste Zeit betrachtet wurde.
Wie fühlen sich die Indianer heute, wie empfinden sie ihre Situation? Ein medienwirksamer Auftritt im Weißen Haus, wie etwa im November 2009 mit Präsident Obama, wird an dieser Situation der Armut und Diskriminierung kaum etwas ändern – die amerikanische Gesellschaft hat noch einen weiten Weg vor sich. Das demokratische Selbstverständnis Amerikas wird sich an der Behandlung der Indigenen im Land messen lassen müssen, wie das Zitat von Felix S. Cohen belegt.
Yellow Thunder Woman/Robin Davey:
The Canary Effect, 65 Min., Bastard Fairies Films, USA 2010.
Die DVD ist über Amazon erhältlich.
Weitere Infos: www.canaryeffect.com
Link: Trailer auf IMDb