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Sonnenuntergang: Japanische Papierfirma Daishowa geschlagen

Lubicon Cree und ihre Freunde
von Dionys Zink
(veröffentlicht 2/1998)

Nach einem aufsehenerregenden Gerichtsurteil, das den Boykott von Daishowa-Papiererzeugnissen als Ausdruck der Meinungsfreiheit bewertete und dem Antrag des Unternehmens, den Boykott zu stoppen, nicht stattgab, erklärte Daishowa am 20. Mai 1998 öffentlich, nicht im traditionellen Lubicon-Gebiet abholzen zu wollen, bis eine vertragliche Lösung zwischen den Indianern und der Regierung erreicht ist. Die Selbstverpflichtung, die Daishowa bereits 1988 eingegangen war und später widerrufen hatte, berücksichtigt die Wald- und Wildschutzinteressen der Indianer und bindet auch Subunternehmer- und Tochterfirmen.

Es ist selten, dass eine Vierteljahresschrift wie der Coyote ihre Artikel noch einmal umschreiben muss. Noch seltener ist, dass Coyote über einen wirklichen Erfolg der Indianer und ihrer Unterstützer berichten kann. Nach einer sieben Jahre dauernden Kampagne, die gerichtlich um drei Jahre unterbrochen wurde und im Gerichtssaal fortgeführt werden musste, gab es der japanische Papierhersteller Daishowa schließlich auf, das unveräußerte Lubicon-Gebiet abholzen zu wollen. Neben der Gerichtsentscheidung spielte vermutlich die Asienkrise die entscheidende Rolle bei der Lösung des langen Konflikts.

Anfang vom Ende: Gerichtliche Niederlage für Daishowa

Am 14. April 1998 verkündete Richter McPherson am Gericht von Ontario seine Entscheidung: Der Boykott gegen die Papierfirma Daishowa ist Ausdruck der Meinungsfreiheit in Kanada und nicht, wie von seiten des Unternehmens dargestellt, eine unzulässige Form politischer Firmenschädigung.

McPherson erklärte den Boykott der Friends of the Lubicon (FoL) zu einem Musterbeispiel dafür, wie derartige politische Kampagnen durchgeführt werden sollten. Allerdings wurde das Urteil von gleich zwei Wermutstropfen getrübt.

Der Richter hielt die Ansicht der Vorinstanz aufrecht, dass der Begriff Völkermord (»genocide«) nicht in der Verbindung mit den geschäftlichen Aktivitäten Daishowas und dem damit verbundenen Boykott verwendet werden dürfe. Der Richter berief sich auf den in Kanada gemeinhin üblichen Gebrauch dieses Begriffs, der seine Verwendung auf Vernichtung von Völkern oder Volksgruppen einschränkt, wie sie während der deutschen Nazidiktatur, in Pol Pots Kambodscha oder zuletzt in Ruanda stattgefunden hat.

Auf internationaler Ebene wird dieser Begriff allerdings auch auf die Politik der »ethnischen Säuberung« oder die »Transmigrasi«-Politik Indonesiens in Ost-Timor angewandt. Genozid wird in diesem Zusammenhang als die planvolle Vernichtung von Völkern und Volksgruppen mit allen möglichen Mitteln und in allen möglichen Spielarten (also nicht nur die physische Vernichtung) verstanden, deren Ziel und Ergebnis das Existenzende der Betroffenen ist.

Während der letzten Runde des jetzt abgeschlossenen Verfahrens traten sowohl der verantwortliche Daishowa-Manager Tom Hamaoka als auch der Häuptling Bernard Ominayak als Zeugen auf.

Bernard Ominayak wies auf die Korrespondenz mit dem Unternehmen hin, die sein Büro über Monate nach der umstrittenen Vereinbarung geführt hatte, aus der das Bestehen eines solchen »Gentlemen Agreements« zwischen Daishowa und den Lubicon Cree hervorgeht. Hamaoka wies diese Darstellung vor Gericht zurück und behauptete, flankiert von einer ganzen Kohorte von Anwälten und Zeugen, darunter seltsamerweise auch der frühere Bundesunterhändler Millican, eine Vereinbarung zur Ausnahem des traditionellen Lubicon-Gebiets hätte nie bestanden.

Streng legalistisch enthielt sich McPherson einer Stellungnahme oder Entscheidung über den Kern der Auseinandersetzung zwischen den Indianern und Daishowa und fügte der langen Liste kanadischer Justizwillfährigkeit eine weitere Fußnote an.

Die Reaktionen insbesondere in der Provinz Alberta und dort vor allem bei konservativen Medien und Politikern reichten von Entsetzen bis zu höhnischer Polemik, ein sicheres Zeichen dafür, dass die Entscheidung für Daishowa und die Dunkelmänner mit Cowboyhut überraschend gewesen ist, ein Schlag ins Kontor, um einer altmodische Formulierung zu neuen Ehren zu verhelfen.

Wütende Attacken und Schadensbegrenzung

Michael Proctor, Bürgermeister von Peace River, dem Standort der Daishowa-Papiermühle, die das Lubicon-Gebiet bedroht, erklärte in der Lokalzeitung: »Das jüngste Urteil von Richter James MacPherson dehnt die Meinungsfreiheit auf Erpressung, Geiselnahme und Drohungen aus.«

Die von der konservativen Provinzregierung an kurzer Leine gehaltenen Journalisten, wie etwa Neil Waugh, ein Kolumnist der Edmonton Sun, versuchten das Ergebnis mit durchsichtigen Formulierungen umzudrehen: »Es ist klar, dass die Propagandachefs dabei gewesen sind, zu versuchen, soviel positive Medienberichterstattung wie möglich aus diesem Urteil herauszupressen, das doch bestenfalls eine nur begrenzt positive Entscheidung für die Boykottorganisatoren ist.«

Und da die Situation in den letzten Jahren mit viel Geschick von der politischen und medialen Tagesordnung wegmanipuliert worden war, blies die Regierungspresse auch gleich wieder eine vertraute Melodie. Waugh im gleichen Kommentar: »(…) die Vertragsangebote die (den Lubicon Cree) angeboten worden waren, - und die sie unerschütterlich, anscheinend auf Anraten ihrer nicht-indianischen Berater, zurückwiesen - sind mehr als großzügig.«

Ultimatum der kanadischen und europäischen Unterstützer

Daishowa versuchte zunächst ebenfalls die Niederlage in einen Sieg umzumünzen und stützte sich dabei auf die von Richter McPherson aufrechterhaltene Entscheidung zum Begriff Völkermord und die Tatsache, dass das Urteil keine Bestätigung der Lubicon-Position bezüglich der Vereinbarung von 1988 enthielt. Trotz einer entsprechenden Presseerklärung vom 14. April 1998 (»Gericht in Ontario unterstützt Daishowas Position«) kündigte das Unternehmen an Revision gegen das Urteil einzulegen.

Die Friends of the Lubicon hatten nach dem Gerichtsurteil verkündet, dass sie das Urteil anerkennen würden, da es das Recht auf freie Meinungsäußerung berücksichtige. Aus diesem Grund würden sie den Boykott wieder aufnehmen. Kevin Thomas (FoL): »Wir beabsichtigen unser Recht auf freie Meinungsäußerung in vollstem Umfang wahrzunehmen.«

Zugleich versuchten Daishowa-Manager in mehreren Treffen mit den Lubicon Cree und ihren Unterstützern Zeit zu gewinnen, um die Provinzregierung zu mehr Flexibilität bei der Vergabe von Einschlaggenehmigungen und Subventionen zu drängen. Doch die Unterstützer blieben hart. FoL-Sprecher Kevin Thomas »Was Daishowa nicht braucht, ist mehr Zeit. Was Daishowa braucht, ist mehr Ehrgefühl, mehr Ehrlichkeit und mehr Mitgefühl, aber nicht mehr Zeit.« Nach zehn Tagen Bedenkzeit sollte der Boykott am 24.5.1998 wieder beginnen.

Die Vorbereitungen zum Neustart und der Ausdehnung der Boykottaktivitäten liefen bereits in Japan, Kanada, in den Vereinigten Staaten und in Europa, während die Firma hinter verschlossenen Türen mit der Provinzregierung weiterverhandelte.

»Kreative« Lösung: Verzicht auf Papiermühle

Daishowa erklärte zunächst eine Verschiebung der Erweiterung seiner Produktionsanlagen, um eine Papiermühle in Peace River. Grund: Für diese zusammen 900 Millionen can$ schwere Investition waren dem Papierkonzern noch weitere Holzeinschlaggenehmingungen zugesagt worden. Offensichtlich gelang es den Daishowa-Managern die Provinzregierung zu einem Tausch der Flächen zu überreden. Daishowa wird seine Zellstoffmühle weiter mit Holzchips aus Nordalberta füttern, sie werden aber nicht von Bäumen des Lubicon-Landes stammen.

Mit dieser Regelung zufrieden verkündete Tokiro Kawamura, Präsident von Daishowa-Marubeni International Ltd. in einem doppeldeutigen Schreiben an Bernard Ominayak den Verzicht auf Abholzung des »betreffenden Gebiets«, ohne näher zu spezifizieren, welches Gebiet, denn damit gemeint sei.

Schon einmal waren die Indianer mit dieser Formulierung getäuscht worden. Daishowa hatte in früheren Jahren damit stets, das bereits feststehende Territorium von 140 km² bezeichnet. Erst auf Nachfrage der Indianer räumte Daishowa ein, der Verzicht erstrecke sich auf die gesamten 10 000 km² des Lubicon-Gebiets (Siehe hierzu auch nebenstehende Karte).

Landrechtskampf geht weiter

Bei aller Freude über den Sieg einer kleinen Unterstützerorganisation gegen einen multinationalen Konzern (Daishowas Tochterfirmen operieren unter anderem auch in den USA, Australien und in Südostasien) gilt es doch im Auge zu behalten, dass die Lubicon Cree noch immer unter erbärmlichsten Bedingungen auf dem rohstoffreichsten Stück Nordamerika leben, ohne an den Gewinnen beteiligt zu sein, ohne Kontrolle über ihr Territorium zu besitzen, ohne zu wissen, wovon sie den Sprit zur nächsten Versorgungsfahrt in die nächste Stadt bezahlen sollen.

Die Unterstützer in Europa und Nordamerika werden sich nun dem größten Problem zuwenden, dessen sekundäre, aber bedrohliche Auswirkung, die drohende Abholzung durch Daishowa bisher war: Die eindeutige Strategie beider kanadischer Regierungsebenen ist nach wie vor, die Lubicon politisch handlungsunfähig zu machen und mit einem möglichst billigen Abtretungsvertrag der Ausbeutung von weiteren Rohstoffen, etwa Erdgas, Teersanden und Diamanten den Weg zubereiten, auch wenn die Indianer buchstäblich vor die Hunde gehen.

Der Kampf gegen die Abholzung: Eine jahrzehntelange Zitterpartie

Im Jahr 1988 floss aus mehr als 80 Ölquellen täglich Rohöl im Wert von etwa einer halben Million kanadischer Dollar aus dem Gebiet der Lubicon Cree. Die Lubicon Cree versuchten im selben Jahr, ihr Land erst mit einem Boykott des Rahmenprogramms der Winterolympiade in Calgary und einer angedrohten Blockade der Erdölförderung zu schützen.

Als die Provinzregierung schon Anfang 1988 absehen konnte, dass es diese Indianer wirklich ernst meinten, eskalierte sie den Konflikt, indem sie die Holzeinschlagrechte für weite Teile des nördlichen Alberta (mehr als 30 000 km²), darunter auch das komplette traditionelle Gebiet der Lubicon Cree an den japanischen Papierkonzern Daishowa verkaufte.

Die Cree erhoben sofort Einspruch gegen diese Verfahrensweise. Allerdings befindet sich das Land der Lubicon Cree offiziell unter der Verwaltung der Provinzregierung (als sog. »crown land«). Ein Gerichtsverfahren zur Klärung der Besitzverhältnisse, das bereits im Zusammenhang der Erdölförderung angestrengt worden war, erklärten die Lubicon im Sommer 1988 für sinnlos, da es keinerlei aufschiebende Wirkung hatte, im Gegenteil als Endlosprozess lediglich den Firmen und der Regierung nützlich war, um selbst im Fall einer gerichtlichen Niederlage noch soviel Rohstoffe wie möglich zu stehlen.

Im offenen politischen Schlagabtausch zwischen Indianern und beiden kanadischen Regierungsebenen schien damals eine politische Lösung innerhalb von Monaten oder wenigstens weniger Jahre möglich. Daishowa plante damals erst die heute in Betrieb befindliche Zellstofffabrik in der Nähe von Peace River. So kostete es die japanisch-kanadischen Papiermanager nicht viel, den Indianern zuzusichern, dass das Unternehmen mit dem Holzeinschlag warten würde, bis eine vertragliche Regelung zwischen Indianern und Regierung erreicht sei.

Im Jahr nach der erfolgreichen Blockade von 1988 brachen die Verhandlungen zwischen Indianern und Regierung zusammen, weil die Bundesregierung ein Vertragsangebot präsentierte, dass den Indianern lediglich eine Zukunft auf der Basis von Wohlfahrtsunterstützung gesichert hätte. Von Wiederaufbau oder Ersatz für die durch Erdölförderung zerstörten Lebens- und Wirtschaftgrundlagen oder Ausgleichzahlungen für widerrechtlich entnommene Bodenschätze war in dem Angebot nicht die Rede.

Nachdem sich auch 1990 keine Lösung abzeichnete, die Dai-showa-Zellstoffmühle jedoch in Betrieb gehen sollte, erklärten die Daishowa-Manager Hamaoka und Kitigawa erst, dass die mit den Lubicon Cree geschlossene Vereinbarung nur Daishowa selbst, nicht aber Kontraktoren und Tochterfirmen einschließe. Mehrere kleine in der Region ansässige Unternehmen, die Daishowa aufgekauft oder exklusiv verpflichtet hatten; begannen im Lubicon-Gebiet zunächst im Wegebau tätig zu werden. Als die Indianer und ihre Unterstützer erklärten, dass die bestehende Vereinbarung ja wohl nur dann Sinn machen würde, wenn es um den Schutz des unveräußerten Lubicon-Territoriums gehe und daher selbstverständlich alle Abholzungsunternehmen unter der Kontrolle Daishowas einschließe, bestritt die Firma, dass es überhaupt ein solches Abkommen gegeben habe. Der Papierproduzent erklärte zwar, dass er bei der Provinz- wie bei der kanadischen Bundesregierung vorstellig geworden sei, diese aber weder zur Überlassung von Ersatzflächen noch zur zügigen Verhandlung mit den Cree habe bewegen können, doch sei Daishowa rechtlich verpflichtet, das Lubicon-Gebiet abzuholzen. Auch Ty Lund, der zuständige konservative Minister, erklärte auf Anfrage nach Ersatzflächen, er habe Mitsubishi, Daishowa und anderen »alles verkauft was dagewesen sei«. Außerdem wären mehrere hundert Arbeitsplätze in der Region in Gefahr, da die Zellstoffmühle ohne ausreichenden Nachschub nicht arbeiten könne. Seither begann jedes Jahr im Oktober bis Januar eine Zitterpa

rtie: Würde Daishowa nach Eintreten des Dauerfrostes seine Abforstungsmaschinerie in Bewegung setzen? Daishowas täglicher Holzbedarf entspricht ca. 11 000 Bäumen täglich. Bei der Weitständigkeit der Bäume im nördlichen Alberta und der auch bei Daishowa geübten Praxis weiträumiger Kahlschläge, wäre es nur eine Frage von Monaten gewesen, bis die Verwüstung durch Bulldozer und Motorsägen überall sichtbar und spürbar geworden wäre. Unterdessen bereiteten sich Lubicon Cree und Unterstützer in Nordamerika und Europa auf einen Boykott des japanischen Unternehmens vor. Am erfolgreichsten, aber auch am stärksten gefährdet, waren bei dieser Kampagne neben den Lubicon Cree selbst die Friends of the Lubicon in Toronto, die sich aufgrund ihrer erfolgreichen Aktionen bald mit einer Klage Daishowas konfrontiert sahen. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung 1991 als Angehörige der Lubicon Lake Indian Nation beschuldigt wurden, ein Holzfällercamp des Subunternehmers Brewster in Brand gesetzt und die Holzfäller bedroht zu haben. Das Verfahren gegen acht Indianer wurde jedoch eingestellt, als sich abzeichnete, dass eine Klärung der Situation auch die Landrechtssituation berührte.

Bis 1996 konnte der Boykott durchgeführt werden, weil Dai-showa in einer erstinstanzlichen Entscheidung zu einer einstweiligen Verfügung gegen den Boykott verloren hatte. Die Richterin beanstandete lediglich den Gebrauch des Begriffes »Völkermord« zur Beschreibung der Daishowa-Aktivitäten. Daishowa ging in die Berufung und enthielt im zweiten Verfahren um die einstweilige Verfügung recht. Der »Richter« entschied, der Boykott sei unzulässig, da sein Hauptziel darin bestünde, dem Gegner wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, nicht aber die Lubicon Cree zu unterstützen. Im Hauptsacheverfahren (dauernde Untersagung des Boykotts) das jetzt entschieden wurde erlitt Daishowa die entscheidende Niederlage.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Samstag, 18. Januar 2020 23:53:05 CET von oliver. (Version 1)