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Roter Kanal

Indianischer Fernsehsender in Kanada
von Dionys Zink
(veröffentlicht 4/1999)

Seit dem 1.September ist die Fernsehlandschaft Nordamerikas um weitere vier Kanäle reicher. Das wäre nichts Besonderes auf dem Kontinent der unbegrenzten Spezialwiederholungskanäle, wenn nicht einer der Vier Kanäle für Ureinwohner reserviert wäre. Allerdings gibt es diesen Kanal zunächst nur in Kanada. Der neue Sender “aptn“ (Aboriginal Peoples Television Network) entstand aus einem Vorläufer, der unter dem Namen television Northern Canada bekannt wurde.

Bereits Ende der siebziger Jahre entstanden erste TV-Pilotprojekte bei den Inuit. Die sogenannten Anik-B-Experimente sollten die damals neuen Möglichkeiten der Satelliten-Kommunikation testen, um sie für die weitverstreuten Siedlungen der Inuit im heutigen Nunavut und in Nord-Quebec nutzbar zu machen. Recht bald wurde klar, dass die Inuit ein eigenes Fernsehen nicht nur positiv aufnahmen, sondern es dringend ir die Erhaltung ihrer Sprache und Kultur gebrauchen konnten. Zugleich verbreitete sich das “Fernsehen des Südens“ im Norden des Riesenlandes, teilweise mit ungeahnten, auch negativen Folgen: Teenager begannen sich an den kulturellen Vorbildern der weißen Nordamerikaner zu orientieren. So kam es zunehmend zu Erfrierungen, weil die Jugendlichen sich wie ihre Altersgenossen in den USA oder im südlichen Kanada kleiden wollten.

Die Regierung in Ottawa, welche die Northwest Territories (heute teilweise Nunavut) bis zum April dieses Jahres verwaltete musste einsehen, dass es mit dern Export südlicher Programme nicht getan war, und förderte die Entstehung eigener Radio- und TV-Stationen.

Im Jahr 1988 entstand schließlich ein TV-Netzwerk, das als Television Northern Canada (TVNC) bezeichnet wurde. Der Sendebetrieb wurde allerdings erst 1992 aufgenommen und beschränkte sich auf die nördlichen Landesteile.

Mit breiter indianischer Unterstützung wurde bald ein landesweites Ureinwohner-Fernsehen gefon dert. Vor zwei Jahren erklärte der größte indianische Interessenverband AFN seine Unterstützung für die Initiative des bestehenden TVNC. Ein Beratergremium wurde gegründet, welches indianischen Fernsehproduzenten zur Seite stehen sollte: Dem Gremium gehörte unter anderem auch der bekannte indianische Schauspieler Gary Farmer an. Gary Farmer steuerte im Übrigen auch einen Beitrag zum ersten “aptn“-Programm bei: einen Dokumentarlm zur Bedeutung des Mais in den indianischen Kulturen Amerikas.

Eine Umfrage ergab 1998, dass zwei Drittel aller Kanadier einen Ureinwohner-Kanal begrüßen würden, selbst wenn dies bedeuten würde, dass man anderen Sendern den bisherigen Sendeplatz entziehen müsste. Im Februar dieses Jahres genehmigte der Rundunkund Fernsehkontrollausschuss Kanadas den Sender aptn“, der dann schließlich am l. September seinen Betrieb aufnehmen konnte.

Dem Start des neuen Senders war eine intensive Debatte vorausgegangen. “aptn“ gehört nämlich zum Pflichtangebot der Kabelanbieter. Das bedeutet, dass jeder kanadische Haushaltsanschluss mit einer Gebühr von anteilig 17 Cents belastet wird, ohne dass sich der Konsument dem entziehen kann.

Morley Walker, Journalist bei der Winnipeg Free Press, kommentierte die Kritik an diesem Verfahren: Was Zwangsgebühren für Fernsehkanäle anbelangt: es gibt da drei bis vier französischsprachige TV-Stationen im Kabel, bei denen uns auch keine andere Wahl bleibt als zu bezahlen. Was kostet das? (…) Es gibt Dutzende von Spezialkanäle, die ich vor APTN rausschmeißen würde. Wer braucht eigene Kanäle für Pferderennen, einen Sonderkanal für Golf oder zwei mit Country- Musik? Einige Spezialkanäle (…) sind nichts als elektronische Unterhaltungsparks für Wiederholungen. Der neue Sender kann von insgesamt 8 Millionen kanadischer Haushalte über Kabel, Satellit oder terrestrisch empfangen werden.

Für die Inuit und Indianer Kanadas hat der Sender aptn“ bereits jetzt einen besonderen Stellenwert neben den zahlreichen in- digenen Radiostationen. Zum ersten Mal kann sich unsere Gemeinde kreativ (in der Medienlandschaft) betätigen. Vorher mussten wir uns in der Tagesordnung anderer Interessen igen“, meint zum Beispiel Brenda Chambers, eine Tlingit-Indianerin und TV-Produzentin aus Whitehorse im Yukon Territory.

Der Start von “aptn“ wird dennoch alles andere als einfach. So ist vorgesehen täglich von 9 Uhr bis 3 Uhr morgens zu senden. Das Programm beginnt täglich mit einer Kinderserie in englischer Sprache, die speziell für Inuit-Kinder produziert wurde. Deshalb sind einfache Sprach- und Schreibübungen in Inuktituk Bestandteil der Serie Takuginai (Look here dt.: Schau her). Auch die westlichen Inuit haben ihren festen Sendeplatz bei “apnt“. Interessant für alle Ureinwohner dürften die Reihe Storytime“ sein, die täglich zweimal wiederholt wird.

Ein Magazin mit aktuellen Themen zur indigenen Kultur und Politik steuern Ureinwohner aus Saskatchewan bei. Doch aptn“ sieht sich nicht nur der Dokumentation und Berichterstattung verpichtet. So wurde bereits von Anfang an eine Unterhaltungsserie aus Neuseeland ausgestrahlt, welche die Geschichte einer dickköpgen Mami-Prinzessin erzählt. Auch sonst ist das Programm angereichert mit Produktionen, welche sich mit Ureinwohnern anderer Weltregionen befassen. Eine Dokumentarserie befasst sich mit den Ureinwohnern von Hawaii. Eine Serie in französischer Sprache umfasst Legends of the World“, Märchen aus allen Teilen der Erde, z.B. aus Algerien, Venezuela oder der Elfenbeinküste.

Für den Jahreswechsel ist die Aufnahme eigener, regelmäßiger Nachrichtensendungen geplant. Einen festen Sendeplatz haben auch die Produktionen des National Film Board of Canada, einer verdienten Institution, die über viele Jahre Dokumentarlme über Kanadas Ureinwohner nanziert hat.

Trotz der zahlreichen Beiträge mit nicht-kanadischen Themen liegt der Anteil kanadischer Produktionen bei 90%. “aptn“ strahlt 60% der Beiträge in Englisch aus, weil dies in den allermeisten Fällen wenigstens die Zweitsprache der kanadischen Ureinwohner ist. Eine Ausnahme sind die indigenen Völker in Québec. Deshalb werden etwa ein Siebtel der Sendungen auf Französisch sein. Ein Viertel der Beiträge schließlich sind in den Sprachen verschiedener Ureinwohnervölker zu empfangen.

Seinen Sitz hat der neue Sender im Zentrum des Landes in Winnipeg. Weitere Verwaltungs-, Produktions- und Nachrichtenstudios werden in Ottawa (Ontario), Yellowknife (NWT), Whitehorse (Yukon) und Iqualuit (Nunavut) genutzt oder sind im Entstehen begriffen.

Einen weiteren Schwerpunkt wird ein eigenes Studio in Vancouver (British Columbia) setzen.

Der Vorläufer des neuen Kanals TVNC wurde fast vollständig über Regierungsgelder nanziert. Sein Budget belief sich auf zwei Millionen Can$. Der Sender “aptn“, mit einem Etat von 15 Millionen Can$ ausgestattet, wird wohl noch geraume Zeit von Regierungsgeldern abhängig bleiben. Dennoch hofft man bei aptn“ auf Einnahmen aus dem Werbungsgeschäft, weil erwartet wird, dass auch viele weiße Kanadier einschalten, um sich über die Ureinwohner zu informieren.

Der Fernsehsender “aptn“ ist auch im Internet zu erreichen: www.aptn.calink-external. Die Website soll Informationen über das Programm von “aptn“ und eine umfassende Liste von indigenen Kontaktpersonen in der Medienbranche enthalten.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Freitag, 13. März 2020 15:04:30 CET von oliver. (Version 3)

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