von Oliver Kluge (veröffentlicht 3/1999)
Manchmal fällt es mir schwer, die amerikanische Mentalität zu verstehen. Die Präsidentschaft Bill Clintons war geprägt von einem Begriff: “political correctness”. Rücksicht auf Minderheiten, das ist der zugrundeliegende Gedanke. Ein hehres Ziel. Aber es wurde weit darüber hinausgeschossen.
Während es noch nochvollziehbar war, dass Amerikaner afrikanischer Abstammung eben nicht mehr negroe oder black genannt werden wollten, sondern african american, und Behinderte nicht mehr disabled, sondern challenged, so wurde nach diesen Anfängen bald gespottet, irgendwann würde es soweit gehen, daß man auch die Minderheit der Einbrecher in der Gesellschaft nicht mehr diskriminieren dürfe. Schließlich betrieben sie ja nur alternative shopping methods.
Doch es kam schlimmer, als es sich die Spötter vorstellen konnten. Inzwischen konsultieren Amerikaner Berater, die Texte vor Veröffentlichung prüfen, ob es irgendwo eine Minderheit gibt, die eine Beleidigung herbeikonstruieren und was wichtiger ist eine Klage einreichen könnte.
Es ist soweit gekommen, dass Hollywood eine Vorzensur betreibt, in der vieles gleich aus dem Drehbuch gestrichen wird, wenn es auch nur den Hauch der incorrectness trägt. Und wehe, etwas wird übersehen. Nichts ist vor den erbitterten Zensoren sicher.
Jüngstes Opfer: Jar Jar Binks. Die tolpatschige Figur ist der heimliche Held des Films “Star Wars Episode I”, und erfreut sich bei den Kindern größter Beliebtheit. Alle lieben Jar Jar. Fast alle: Unter normalen Umständen würde niemand auf die Idee kommen, daß es sich bei George Lucas’ Weltraummärchen um eine Geschichte aus der Gegenwart handelt, in der Menschen wie Du und Ich spielen — doch da gibt es Kritiker, die sehen das anders. Selbst das renommierte Wall Street Journal beteiligt sich an einer modernen mittelalterlichen Hexenjagd: Jar Jar Binks (Foto) ist laut Joe Morgenstern in Wirklichkeit ein Jamaikaner, es sei kein Zufall, daß er wie ein Rastafari aussehe. Sein Urteil: “Rassistisch“.
Es ist interessant, wie wenig Phantasie manche Menschen haben. Dann ist die Welt wirklich recht simpel. Und dann fällt es auch recht leicht, Leuten wie George Lucas einfach zu unterstellen, sie seien nicht fähig, sich Phantasiegestalten auszudenken, in Wahrheit würden sie nur Vorlagen abkupfern. Man schließt halt immer von sich auf andere.
Die Folge: Eine beispiellose Hetzjagd in amerikanischen Medien, die in Boykottaufrufen (!) gipfelte. Selbst von der offiziellen Star-Wars-Webseite wurde Jar Jar verbannt. Detail am Rande: Jar Jar hat in Wahrheit noch nicht mal einen Schauspieler als Vorlage. Die Figur wurde vollständig von einem Computer erschaffen…
Und weil die Gefahr mittlerweile immens ist, daß man für alles grundlos angegiftet werden kann, schalten manche Produzenten von vornherein auf ultra-harmlos. Bestes Beispiel: Disney. Nachdem sich der Konzern mit seiner Darstellung der Indianerin Pocahontas eine intensive Diskussion über die Minderheitendarstellung einhandelte, wurde beim neuen Tarzanfilm dies bereits im Ansatz unterbunden: Obwohl Tarzan getreu dem Buch in Afrika spielt, kommt im ganzen Film kein einziger Schwarzer vor.
Minderheitenschutz ist notwendig, mehr denn je. Die Berichterstattung im Coyote zur Situation der Indianer zeigt deutlich, dass die USA abseits der Lippenbekenntnisse massive Probleme haben. Aber mit Schutz à la “political correctness“ tut man den Minderheiten den denkbar schlimmsten Bärendienst, denn bald kann das Wort keiner mehr hören. Schon sprießen in den USA die ersten Anti-Bewegungen, auf die natürlich auch Hollywood reflektiert. Das Ergebnis ist etwa die Erfolgsserie South Park.
Der radikalisierte Minderheitenschutz könnte durch das Auslösen von Gegenreaktionen zum exakten Gegenteil des an sich hehren Zieles führen — schützt die Minderheiten vor den Minderheitenschützem!