Wenn Kinder Indianer nicht nur spielen…
Texte zu den Realitäten indianischer Kindheit
gelesen von Dionys Zink
(veröffentlicht 1/2003)
Kindheit und Jugend sind eine Errungenschaft der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Erst zu Rousseaus Zeiten werden Kinder in Europa als eigenständige Persönlichkeiten wahrgenommen, als Menschen und nicht nur als irgendwie unfertige Erwachsene. Noch Kolumbus stellte in seinen Aufzeichnungen erstaunt fest, dass sich die Eingeborenen des von ihm „entdeckten“ Kontinents weigerten, ihren Nachwuchs körperlich zu bestrafen.
Mit der Parole „Zurück zur Natur“ und der Vorstellung vom „Edlen Wilden“ als Gegenbild zum zivilisierten, aber verdorbenen Europäer in der Aufklärungszeit nahm das Interesse an der indianischer Kindheit seinen Anfang. Seither kennt die Begriffsgeschichte der Pädagogik eine enge Verbindung zwischen Kindern und außereuropäischen Völkern.
„Unsere Kindheit – unsere Zukunft“ ist eine Zusammenstellung (auto-) biographischer Skizzen und Fachbeiträge zum Thema indianische Kindheit, die zwar bereits Ende der achtziger Jahren entstand, doch aufgrund ihrer Vielfalt und inhaltlichen Qualitäten auch heute noch ihre Berechtigung hat. In insgesamt 21 Beiträgen von Indianern über ihre Kindheitserfahrungen und die schwierige Arbeit in der Entwicklung eines eigenständigen indianischen Schulwesens wird die Geschichte eines extremen Spannungsfeldes deutlich. Auch Indianerkinder kennen alle Probleme des Übergangs von der Kindheit in die Welt der Erwachsenen. Zugleich aber müssen sie im Übergang von der eher traditionell empfundenen Herkunftsfamilie der Kindheit in eine wesentlich anders geartete Erwachsenengesellschaft, die von anderen Werten und kulturellen Codes geprägt ist, Entwicklungsaufgaben bewältigen, an denen viele scheitern müssen.
In dieser Anthologie sind Beiträge der Lubicon Cree, anderer Cree Nationen, der Irokesen und der Tlingit versammelt, woraus sich eine regionale Schwerpunktsetzung auf Kanada ergibt.
Ein Aufsatz des Ethnologen Peter Bolz zur veränderten Funktion des Powwows in indianischen Kulturen ergänzt das indianische Panorama der Wenn Kinder Indianer nicht nur spielen …. Texte zu den Realitäten indianischer Kindheit Literatur verschiedenen Kindheiten. Die Sammlung von Beiträgen zeigt auf, welche Strategien indianische Völker, Institutionen und Einzelpersonen entwickelt haben, um ihre Chance auf eine kulturell selbst bestimmte Zukunft zu wahren.
Eine wichtige Rolle nimmt hierbei die Schule ein, sei es nun als selbst organisierte Alternative, wie in den Fällen der Akwesasne Freedom School oder der Kahnawake Survival School oder in bilingual arbeitenden staatlichen Schulen. In der schulischen Ausbildung muss die Sprache als Medium der Tradition eine besondere Bedeutung haben. Die Cree-Linguistin Freda Ahenakew aus Saskatchewan formuliert dieses Anliegen in ihrem Aufsatz direkter und macht damit die existenzielle Bedeutung der eigenen Sprache deutlich: „Wenn wir unsere Sprache sprechen und verstehen können, dann können unsere Ältesten uns sagen, wer wir sind.“
Herauszufinden, wer man ist, bleibt wohl die wichtigste Aufgabe jeder Kindheit.
Die Anthologie wurde von Peter R. Gerber (Völkerkundemuseum der Universität Zürich) und Heinz Lippuner (Incomindios Schweiz) im Jahr 2001 im Verlag Im Waldgut veröffentlicht. Die Übersetzung besorgte Helena Nyberg (Incomindios Schweiz). Die Illustrationen stammen von John Kahionhes Fadden, einem Irokesen. Das Buch umfasst mit Anmerkungen zu den Texten der Ureinwohner 170 Seiten in festem Einband.