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Mission und Assimilation

Indianische Reaktionen auf die Christianisierung in der frühen Reservatszeit.
von Robert Stark
(veröffentlicht 2/2007)

Die aktuelle Diskussion in Kanada über die traumatischen Folgen der Erziehung indianischer Kinder in Internaten christlicher Konfessionen wirft ein fragwürdiges Licht auf deren missionarische Tätigkeit bei nordamerikanischen Indianervölkern sowie Missionsbestrebungen im Allgemeinen.

Drei vor kurzem erschienene, anspruchsvolle deutschsprachige Untersuchungen zu den Auswirkungen der Aktivitäten christlicher Missionare verdienen vor diesem Hintergrund Beachtung. Sie leisten wertvolle Beiträge zu einer kritischen und dennoch fairen Auseinandersetzung mit diesem heiklen Thema.

Die Dinge des Glaubens (Cover: LIT Verlag) Silvia S. Kasprycki stellt in ihrer Arbeit „Die Dinge des Glaubens“ Objekte der materiellen Kultur als Symbolträger in den Mittelpunkt der Betrachtung. Sie folgt damit einer aktuellen Mode ethnologischer Forschung, die menschliche Artefakte als bedeutende Informationsquelle erforscht und interpretiert. Am Beispiel der Kultur der Menominees in Wisconsin zwischen 1830 und 1880 zeigt sie auf, wie die materielle Kultur die geistige Auseinandersetzung zwischen Missionaren und Menominees spiegelt.

Während den Missionaren unverfänglich erscheinende Alltagsgegenstände als Ausdruck großer Geschicklichkeit und unermüdlichen Fleißes galten, ließen sie ihnen als Ritualgegenstände der traditionellen Religion identifizierbare Objekte der gleichen Kunstfertigkeit als „Teufelszeug“ verbrennen. Vielfach verstanden die Missionare nicht, warum Konvertiten in ihrem Übereifer „harmlos dekorierte“ Taschen und anderes der Vernichtung Preis gaben. Mangelnde Tiefe ihres Verständnisses der traditionellen Religion hinderten sie erst recht daran, die Bedeutung mancher abstrakten Muster, die Mächte der „Ober- und Unterwelt“ symbolisierten, zu erkennen. Umgekehrt blieb den Missionaren verschlossen, wie Menominees Gegenstände der neuen Religion vor dem Hintergrund ihres alten Werte- und Weltdeutungssystem interpretierten und einsetzten.

Der Einsatz traditioneller Materialien und Muster, wie Birkenrinde und Stickereien aus gefärbten Stachelschweinborsten für liturgisches Gerät war mehr als nur traditionelles Handwerk. Das zeigt besonders das Beispiel der fein verzierten und kompliziert herzustellenden Binsenmatten, die von den Missionaren geschätzt wurden und auch als Schmuck der Gotteshäuser oder Altardecken Verwendung fanden. Die traditionelle Verwendung dieser Binsenmatten als Aufbewahrungsmittel heiliger Bündel, erfuhr nun eine Fortsetzung als Kennzeichnung eines sakralen Raumes im neuen Kult, der wohl ungleich stärker im Sinne der traditionellen Vorstellungen konzeptualisiert wurde, als dies den Missionaren je klar geworden ist.

Darauf lässt unter anderem eine Binsendecke schließen, die um 1850 bei den benachbarten und kulturell eng verwandten Ottawa eingesammelt wurde. Sie diente als Altarschmuck und zeigt - von den Priestern nie bemerkt – Donnervögel, die in der indianischen Mythologie eine zentrale Rolle einnahmen. Umgekehrt interpretierten die Menominees auch eindeutig christliche Objekte wie Rosenkränze und Heiligenbilder mit Bezug auf eigene Kulturmuster. Sie füllten sogar regelrecht ein Vakuum aus, das durch die Vernichtung traditioneller Medizinbündel mit ihren Paraphernalia entstanden war. Vieles deutet eher auf einen additiven Synkretismus hin, als auf eifrige Konvertiten, die sich voll und ganz der neuen Religion hingaben.

Nicht alle Menominees verhielten sich nach diesem Muster. Verschiedene Bevölkerungsgruppen waren in unterschiedlichem Maße den Missionierungsbestrebungen gegenüber resistent oder zugänglich. Vielfach stellte eine von den Missionaren vorangetriebene, partielle Assimiliation an die weiße Kultur – wohlgemerkt keinesfalls eine vollständige Akkulturation – eine wirksame Überlebensstrategie dar. Drastische politische, ökonomische und soziale Umwälzungen im Gefolge der Kolonialisierung (z.B. Verlust eines Großteils der Landbasis und der traditionellen Wirtschaftsweise sowie ein starker Bevölkerungsrückgang durch von den Weißen eingeschleppte Seuchen) riefen Sinnkrisen hervor.

Die Antworten der Menominees darauf waren einerseits durch den spezifischen kolonialen Druck bestimmt, andererseits lassen sich gleichermaßen traditionelle Zielvorstellungen und Motivationen erkennen. Die Krise der traditionellen Religion, in der auch Krankenheilung und Gesundheitsvorsorge ein wichtiger Bereich waren, machte es angesichts der Hilflosigkeit gegenüber den eingeschleppten Seuchen christliche Heilsboten leicht Fuß zu fassen, insbesondere in der Rolle als Heiler. Katholische Temperanzgesellschaften konnten etwa wirkungsvollere Strategien gegen Alkoholmissbrauch anbieten, als die traditionelle Kultur. Außerdem waren die Missionare Vermittler von Kenntnissen zu überlegenen Jagd- und Produktionstechniken und verschafften Zugang zu neuen Märkten. Katholische Menominees verfügten deshalb um 1880 durch diese Anpassung über größeren Wohlstand als unbekehrte Stammesgenossen.

Es ist umgekehrt nachgewiesen, dass ab 1880 viele Menominees ihr Heil in anderen Religionen suchten. Offensichtlich war das Christentum nicht in der Lage, die Erwartungen aller Konvertiten zu erfüllen, die auch zu anderen religiösen Experimenten bereit waren. Überhaupt kam den Konvertiten keineswegs eine rein passive Rolle zu. Innerhalb der von den kolonialen Machtverhältnissen gesetzten Grenzen versuchten sie das Angebot der Missionare durchaus auch für eigene, durch traditionelle Kulturmuster bestimmte Ziele zu nutzen.

Trotz der berechtigten Kritik an den christlichen Missionaren, nicht zuletzt durch indigene Vertreter, lehnt Kasprycki eine pauschale Veurteilung christlicher Missionare als Mittäter am kulturellen Völkermord ab. Die Vernetzung zwischen europäischer bzw. angloamerikanischer Eroberungspolitik und christlicher Missionierung sei natürlich nicht zu bestreiten. Man darf hinzufügen: Das vielfach verübte Unrecht darf weder beschönigt noch unterschlagen werden und verdient eine ungeschminkte Aufbereitung. Die grausamen Seiten der Bekehrungsbemühungen, einschließlich der Misshandlung von Kindern zum Zwecke der Zivilisierung sollen hier nicht im einzelnen wiederholt werden. Sie sind den Lesern des Coyote wohl vertraut. Eine undifferenzierte Betrachtungsweise wird jedoch weder den Motivationen indianischer Konvertiten gerecht, noch dem Umstand, „dass die Bemühungen früherer Epochen, ‚primitive’ Völker der göttlichen Gnade und einer als überlegen eingestuften Zivilisation teilhaftig werden zu lassen, in vieler Hinsicht ebenso einem humanistischen Ideal der Zeit entsprangen, wie der heutige Anspruch auf Religionsfreiheit und kulturelle Gleichberechtigung“.

Rothäute, Schwarzröcke und heilige Frauen (Cover: Projekt Verlag) Zu ähnlichen Resultaten gelangen die Arbeiten von Karl Markus Kreis über die Missionstätigkeit von Jesuiten und Franziskanern bei den Lakota in South Dakota. In seinem ersten Buch stellte er deutschsprachige Quellen aus den Jahren 1886-1900 zusammen, aus Berichten der Franziskaner für den ordensinternen Gebrauch und Artikeln in der von den Jesuiten herausgegebenen Zeitschrift „Die Katholischen Missionen“. Im sieben Jahre später erschienenen Folgeband werden die Zeit bis um 1930 behandelt, sowie einige Nachträge für die Zeit vor 1900 geliefert. Hierfür wurden zahlreiche Archive und Zeitschriften in Nordamerika und Deutschland ausgewertet.

Die frühe Geschichte der Missionen St. Francis auf der Rosebud-Reservation und Holy Rosary auf Pine Ridge werden durch zeitgenössiche Schriften lebendig illustriert. Trotz der vielfach eingeschränkten Perspektive sind so viele Informationen nicht nur zur Missionsgeschichte, sondern zur Geschichte der Lakota und den sozialen und politischen Strukturen der frühen Reservatszeit erhalten. Da es sich ausnahmslos um deutsche Quellen handelt, wurden sie in der bisherigen Forschung, die durch die angloamerikanische Literatur dominiert ist, so gut wie nicht beachtet. Markus Kreis hat damit ein zweibändiges Quellenwerk vorgelegt, dass noch in vielerlei Hinsicht zur Auswertung herausfordert. Bezeichnend sind jedoch die Stellungnahmen von Kreis in einführenden Kapiteln, die jenen von Kasprycki an die Seite gestellt werden dürfen: „Dennoch ist die Rede von einem ‚kulturellen Genozid’ an den traditionellen Religionen nur teilweise zutreffend.“

So sehr sich die Missionare – ganz im Geiste der Prägung durch ihre eigene Erziehung – eine vollständige Ersetzung der heidnischen Religion durch die christliche ersehnt haben, sie waren hierbei nicht erfolgreich. Im Gegenteil zeigt sich eine bizarre Ambivalenz. In paternalistischer Schutzhaltung solidarisierten sich die katholischen Geistlichen mit ihren Schützlingen und setzten sich für deren physisches Überleben ein. Dabei erkannten sie durchaus die Notwendigkeit, Teile der Lakota-Kultur zu retten und leisteten damit unbeabsichtigt auch einen Beitrag zum Weiterleben lakotaspezifischer Spiritualität. Die Solidarität war nicht zuletzt durch den schwierigen Stand der katholischen Missionen gegenüber den protestantisch dominierten, politischen Verantwortlichen geprägt. Bezeichnend ist der Jesuit P. Eugen Buechel, der sich zeitlebens intensiv mit der Lakota-Kultur beschäftigt hat, die Sprache erforschte und umfangreiche Photodokumentationen anfertigte.

Schulen und Kirchen für die Sioux-Indianer (Cover: Projekt Verlag) Dass es auch bei den Lakota zu einer Art additiven Synkretismus kam, zeigt die Geschichte von Black Elk, der John Neihardt seine Bücher diktierte. Sie gehören zu den Klassikern der Indianerliteratur. Black Elk lebte in beiden religiösen Welten und war traditioneller Heilkundiger und eifriger Katechist zugleich. Den Missionaren wurde seine Verwurzelung im „Heidentum“ erst nach der Veröffentlichung seiner Bücher offenbar. Dies war ein Schock, zumal Black Elk einer der Katechisten von Holy Rosary war, die eingesetzt worden sind um in anderen Reservationen zu predigen.

Eine andere Parallele zu den Menominee ist die Förderung einer Tendenz zur Pluralisierung der vorher geschlosseneren indianischen Gesellschaft. Die unterschiedlichen Antworten auf die kolonialen Herausforderungen schufen verschiedene Interessensgruppen, bzw. politische Lager. Red Cloud selber war einer der bedeutendsten Fürsprecher der Jesuitenmission und wurde 1909 auf dem Friedhof von Holy Rosary beigesetzt. Umgekehrt war in Pine Ridge der traditionelle Widerstand immer am stärksten. Neben der heftigen Kritik, die sich Priester heute von selbstbewussten, ehemaligen indianischen Schülern anhören müssen, stehen viele andere Zöglinge der Red Cloud School (so heißt die Missionsschule von Holy Rosary heute), die für ihre Ausbildung und die daraus erwachsenen Chancen dankbar sind. Man erinnere sich an die katholischen Menominee, die es aufgrund ihrer partiellen Anpassung zu größerem Wohlstand brachten.

Nicht zuletzt kann Kreis darauf hinweisen, dass heute eine Annäherung zwischen katholischen Geistlichen und Vertretern der Lakota-Religion stattfindet. Zeremonielle Formen, die in der Frühzeit der Missionierung unterdrückt worden sind, werden als praktizierte Spiritualität anerkannt und von Vertretern beider Religionen gemeinsam abgehalten. Lakota-Symbole können in katholische Gottesdienste einbezogen werden. Kreis schließt seine Überlegungen mit folgenden Worten: „Für die beteiligten Menschen bestehen die beiden Wege, der indianische und der christliche, mit jeweils eigenem Recht, und sie können … parallel verlaufen, sich voneinander entfernen, aber auch sich begegnen. Den ersten Missionaren wäre dies als Erfolg zu gering erschienen. Aber nach hundert Jahren Missionsarbeit und Missionserfahrung ist dieses Lernen voneinander und miteinander wohl der größere Gewinn für alle Beteiligten.“

Indianer und Priester der Pala Mission in Kalifornien, 1904 Silvia Kasprycki: Die Dinge des Glaubens. Menominees und Missionare im kulturellen Dialog, 1830 – 1880. Ethnologie Bd. 23. LIT Verlag Wien/Berlin 2006. 344 S. 46 Abb. im Text.
Karl Markus Kreis: Rothäute, Schwarzröcke und heilige Frauen. Deutsche Berichte aus den Indianer-Missionen in South Dakota, 1886-1900. Projekt Verlag. Bochum 2000. 272 Seiten.
Karl Markus Kreis (Hrsg.): Schulen und Kirchen für die Sioux-Indianer. Deutsche Dokumente aus den katholischen Missionen in South Dakota, 1884-1932. Projekt Verlag. Bochum/Freiburg 2007. 588 Seiten.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Sonntag, 22. März 2020 13:05:48 CET von oliver. (Version 6)

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