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McClain, Meredith u. Wolff, Reinhold (Hrsg.): Karl May im Llano Estacado

Karl May im Llano Estacado (Cover: Hansa Verlag) Zu einer denkwürdigen wissenschaftlichen Veranstaltung
Wirklichkeit und literarisches Konstrukt: Llano Estacado Revisited
von Dionys Zink
(veröffentlicht 3/2004)

Es ist schwierig einem Phänomen wie Karl May gerecht zu werden, wenn man für eine Zeitschrift schreibt, die mehr als ein Jahrhundert nach der Erfindung des „Howgh“ eine realistische Perspektive auf nordamerikanische Indianer zu eröffnen versucht.

Schwierig ist es dabei gar nicht einmal so sehr, was die von Karl May verfassten „Reiseerzählungen“ anbelangt, denn dabei handelt es sich vereinfacht gesagt um phantastische Literatur, die in vieler Hinsicht den uferlosen Erfindungen eines J.R.R. Tolkien kaum nachsteht. Nein, die eigentliche Schwierigkeit besteht in der Wirkung seiner Texte, die vornehmlich in von Köpfen des Millionenpublikums erzeugt wird.

Die deutschsprachigen Europäer mögen Indianer. Das Image „Indianer“ ist positiv besetzt, weil es die meisten Erwachsenen an intensiv erfahrene Episoden ihre Kindheit erinnert, das Cowboy- und Indianerspiel. Die massenhafte Lektüre der Bücher Karl Mays und vor allem die Verfilmung seiner „Greatest Hits“ in den sechziger Jahren machten viele Deutsche insbesondere männlichen Geschlechts zu „Indianerexperten“, die sich nicht entblöden bei jeder sich bietenden indianischen Angelegenheit in idiotisches Geheul auszubrechen.

Es ist kaum zu bedauern, dass sich Bully Herbigs Zeitgenossen damit um eine echte Begegnung mit Indianern bringen, die sich für die Auseinandersetzung mit regressiv verhaltenden Weißen begreiflicherweise zu schade sind.

Die Karl-May-Gesellschaft, wen wundert’s, eine der größten literarischen Vereinigungen in Deutschland, beschreitet andere Wege. Mit Vortragsreihen und wissenschaftliche Symposien, mit Exkursionen gar, wird versucht Leben und Werk des sächsischen Vielschreibers differenzierter zu betrachten, als es May-Gegnern und naiven Rezipienten gelingen kann. Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist nunmehr im Hansa-Verlag erschienen. „Karl May im Llano Estacado“ ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Unternehmung, welche dank der Zusammenarbeit der Texas Tech University in Lubbock (TX) und der Karl-May-Gesellschaft zustandekam. Experten reisten in den Llano Estacado, nach Mays Vorstellung eine Wüste im westlichen Texas und ein südlicher Teil des Gebiets, das in den Karten des 19. Jahrhunderts noch als „The Great American Desert“ bezeichnet wurde.

Heute ist das westliche Texas eines der bevorzugten Baumwollanbaugebiete der USA, eine Sandwüste vom Typ Sahara gab und gibt es dort nicht. Mit der einfachen Idee zu untersuchen, was wirklich ist und was Charly May da mal wieder zusammenphantasiert hat, halten sich die Experten aus „good old Germany“ nicht auf. Statt dessen spürten sie der Rolle und Bedeutung der deutschen Einwanderung in Texas nach, dessen Einwohner zu mehr als einem Fünftel aus Deutschland stammten und über Jahrzehnte kulturelle Bindungen an ihr Herkunftsland am Leben hielten, bis die Weltkriegskatastrophen des 20. Jahrhunderts dem (fast) ein Ende machten. Forschungsreisende wie Alexander v. Humboldt oder Balduin Möllnhausen aber auch deutsche Auswanderer lieferten im 19. Jahrhundert die Informationen, auf die sich Karl May stützte und mit seinen „Reiseerzählungen“ einen Reim darauf machte. Und dann ist es doch zumindest vergnüglich, wenn ausgewiesene Literaturwissenschaftler sich die Mühe machen, zu recherchieren, wie Karl May zu seinen phantastischen Konstrukten etwa der Wüste Llano Estacado kommen konnte, ohne sich über das Ausmaß der Selbsttäuschung überhaupt bewusst sein zu können.
Die Begegnung mit dem Fremden, schärft das eigene Selbst-Bewusstsein.

Die „Winnetour“ der Karl-May Gesellschaft, das macht dieser Band mit Vorträgen und Exkursionsberichten aus Lubbock deutlich, hat sich auf diese Begegnung eingelassen und hinter den Klischees vom Indianer,von den Texanern und vom Phantasten Karl May, der den Llano Estacado nie gesehen hat, andere Wahrheiten aufgedeckt: Die indianische Welt des Südwestens existiert bis in die Gegenwart fort, Karl Mays phantastische Welten sind vergleichsweise streng abgeleitete Konstruktionen und viele Texaner gehören vermutlich zu den herzlichsten Gastgebern der westlichen Welt.

McClain, Meredith u. Wolff, Reinhold (Hrsg.), Karl May im Llano Estacado, Husum 2004, erschienen im Hansa-Verlag, 339 S. Der lesenswerte Band enthält unter anderem Beiträge von Hans Grunert (Karl-May-Gesellschaft), Frederik Hetmann ( Märchen-Herausgeber und Autor einer Karl May Biographie) und Axel Eggebrecht (Süddeutsche Zeitung).

Erstellt von dionys. Letzte Änderung: Mittwoch, 12. Februar 2020 15:55:49 CET von oliver. (Version 4)

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