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Marin Trenk: Die Milch des weissen Mannes

Die Milch des weissen Mannes (Cover: Dietrich Reimer Verlag) Die Indianer Nordamerikas und der Alkohol
von Robert Stark
(veröffentlicht 3/2001)

Mit der im Reimerverlag (Berlin) erschienenen, gekürzten Habilitationsschrift von Marin Trenk liegt eine kenntnisreiche, wenngleich nicht unproblematische Arbeit über die Geschichte indianischen Trinkverhaltens vor.

Wenngleich bei vereinzelten Stämmen bereits vor Ankunft der Weißen Alkoholika in Gebrauch waren, etwa bei den Papago eine Art „Kaktuswein“, waren es erst die Branntweine des weißen Mannes, die wie viele andere Importe der europäischen Neuankömmlinge zum Wandel indianischer Gesellschaften beigetragen haben. Man denke nur an Pferde, Feuerwaffen, Glasperlen, Metallgeräte um einige wichtige Beispiele zu nennen. Dem Autor gelingt es durchaus überzeugend nachzuweisen, dass auch der Genuss alkoholischer Getränke günstige Voraussetzungen zur Integration in die Wertbegriffe und Weltbilder indianischer Gesellschaften besaß, wenngleich bei weitem nicht aller. Manche Stämme lehnten den Alkoholgenuss sogar entschieden ab.

Dem gängigen Klischee vom trunkenen Indianer, der durch skrupellose Vertreter der weißen Gesellschaft aus verschiedenen Beweggründen heraus zum hemmungslosen Gebrauch dieses Rauschmittels verführt und schließlich eigennützig ruiniert wird, möchte Marin Trenk einen alternativen Entwurf von der Bedeutung alkoholischer Getränke in indianischen Gesellschaften entgegensetzen: Den bewussten Einsatz des Alkohols durch Indianer, wobei die Droge den Einstieg in eine verkehrte Welt ermöglicht, die zumindest zeitweise von den sonst geltenden, strengen alltäglichen Verhaltensnormen befreit. In den Vorstellungswelten der meisten Stämme, die Alkoholgenuss regelrecht als rituelle Institution einführten, ermöglichte das Trinken eine Trennung der Seele vom Körper und schaffte den Zugang zu Traumerlebnissen und Visionen vergleichbaren Erfahrungen.

Am Beispiel der Glasperlen zeigt Trenk zu Beginn seiner Arbeit auf, welch gravierende Missverständnisse den kolportierten Geschichten vom Betrug indianischer Handelspartner durch wertlosen Tand im Tausch gegen kostbare natürliche Ressourcen, zum Beispiel Pelze, zugrunde liegen. Dabei müsste man gar nicht so weit gehen wie Trenk und die Identifikation der Glasperlen durch Indianer als Quarze und Kristalle, die als Geschenke der Geister galten, bemühen. Auch wenn mancher Weißer in einer Art „Goldrausch“ die Aussichten auf schnellen Gewinn bewusst übertrieben haben mag, führen allein kaufmännische Überlegungen zu dem Resultat, dass selbst die günstigeren Perlen, ganz zu schweigen von exklusiveren Modellen, schon durch lange und risikoreiche Transportwege in ein weit entferntes Absatzgebiet keineswegs wertlosen Tand darstellen konnten. Dieser Aufwand musste schließlich bezahlt werden.

Ähnlich lägen dem weißen Mythos vom „Feuerwasser“ als Ruin indianischer Gesellschaften Missverständnisse zugrunde. Bedauerlicherweise hätte selbst die ethnologische Forschung schon in ihren Anfängen den Alkoholkonsum als einen „unindianischen Schandfleck“ empfunden, der des wissenschaftlichen Studiums zu ethnologischen Zwecken nicht würdig sei, sondern eher in das Gebiet der medizinischen bzw. psychologischen Pathologie falle. Zur Aufklärung dieses Missverständnisses beizutragen, ist sicherlich ein großes Verdienst der Arbeit von Trenk, die mit Sicherheit die ausführlichste und eine lesenwerte Behandlung dieses Themas in deutscher Sprache darstellt. Überzeugend kann er an zahlreichen Beispielen nachweisen, dass viele von Weißen als liederliche Verhaltensweisen gegeißelte Handlungen von Indianern vor dem kulturellen Hintergrund der Akteure keineswegs verächtlich gewesen sind.

Trenks Arbeit ist in erster Linie historischer Natur und behandelt vor allem den Zeitraum von der frühen Kolonialzeit bis um 1900, wenngleich auch vereinzelt Ausblicke in das 20. Jahrhundert gemacht werden. Man gewinnt jedoch auch den Eindruck, dass Trenk insgesamt eine Neigung hat, „die Schattenseiten der Trinkleidenschaft“ vor dem Hintergrund seiner Quellenkritik etwas zu sehr zu bagatellisieren, wenngleich er diesem Aspekt ein immerhin zwölfseitiges Kapitel gewidmet hat. Bemerkenswert ist hier auch seine Sicht der von Paul Radin notierten Autobiographie des Winnebago Crashing Thunder. Nur vor dem Hintergrund einer alles bisher übertreffenden Visionserfahrung durch den Peyote-Kult hätte Crashing Thunder sein liederliches Säuferdasein im Rückblick als Irreführung durch einen bösen Geist empfunden. Zuvor hätten seine Erlebnisse als Alkoholiker durchaus als ein Ausweis eines erfolgreichen indianischen Lebens gelten können, wo die Zuteilwerdung persönlicher Visionen eine so wichtige Rolle spielt.

Ohne jeden Zweifel mag gerade erst die Krise vieler indianischer Gesellschaften bei der Zerstörung der traditionellen Lebensweise den Alkoholmissbrauch entschieden gefördert haben. Das entscheidende, intensive Krisenstadium fand jedoch in den verschiedenen Arealen des Kontinents zu ganz anderen Zeiten statt. An der Ostküste war dies früher als in den Plains. Manche Bands Kanadas erlangte dieses Schicksal erst in den 70er Jahren unseres Jahrhunderts. Man denke nur an unsere Berichterstattung über die Lubicon Cree. Alkoholmissbrauch stellt heute ein gewaltiges Problem in vielen indianischen Gesellschaften dar und war es sicherlich auch in historischer Zeit, mit ganz unterschiedlichen regionalen und zeitlichen Schwerpunkten.

Wie die zweifelsohne vorhandene Nähe von Visionssuche, Traumwelt und bestimmten Erfahrungen im Alkoholrausch nun wirklich zu bewerten ist, bleibt jedoch ein heikles Thema. Aus der zeitlichen und räumlichen Distanz kann selbst bei „objektiver“ Bemühung im Rahmen sogenannter Quellenkritik manches Missverständnis auftreten. Es stellt sich die Frage, ob der Mythos vom Feuerwasser hier nicht durch eine andere, verklärte Sicht vom „rituellen Gesamtkunstwerk indianischer Trinkkulturen“ ersetzt wird. Das wäre dann geradezu eine Form von akademischem Ko-Alkoholismus.

Vielleicht sollte man dem Autor die Lektüre des Buches „Native American Postcolonial Psychology“ von Eduardo und Bonnie Duran empfehlen (siehe Coyote 2/2001), wo unter anderem auch auf das Problem des Alkoholismus eingegangen wird und zahlreiche Literaturhinweise zur Aktualität dieser Problematik zu finden sind.

Trenks Buch hat seine Verdienste. An manchen Stellen sollte es jedoch unbedingt mit kritischer Distanz gelesen werden.

Martin Trenk, Die Milch des weissen Mannes – Die Indianer Nordamerikas und der Alkohol, erschienen 2001, im Dietrich Reimer Verlag GmbH, Berlin, 48,- DM.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Sonntag, 29. März 2020 22:03:58 CEST von oliver. (Version 2)

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