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Louise Erdrich: Schattenfangen

Louise Erdrich 2015 (Foto: Slowking) Louise Erdrichs „Schattenfangen“: Das Ende einer Ehe als Psycho-Thriller
gelesen von Dionys Zink

Louise Erdrichs erzählerisches Werk kreist um zwei große, aber eng miteinander verwandte Themenkomplexe: die Suche nach der eigenen, vor allem überlieferten Identität einerseits und die gescheiterten Versuche andererseits, diese Identität in einem Gegenüber alos in einer Beziehung zu spiegeln.
Das Ergebnis der Auseinandersetzung mit diesen Bedingungsgefügen menschlicher Existenz ergibt in ersteren Fall eine Art olympisches Panorama, erzählt aus zeitlich verschobenen Perspektiven eines Erzählers oder von wechselnden Erzählerfiguren, die über einem Indianerreservat der Anishinabe (Ojibwa oder Chippewa) oder der Kleinstadt Argus in North Dakota thronen. Im zweiten Kontext handeln die Romane von den Innenansichten einer zumeist tragisch angelegten Beziehung, deren „Indianness“ eher die Funktion einer Grundierung oder literarischer ausgedrückt, einer Situierung der Handlung, übernimmt, als eigentliches Thema der Erzählung zu sein.

Man kann es auch weniger akademisch ausdrücken: „Schattenfangen“ ist die Erzählung von Scheitern einer Ehe, in der ganz besondere Verletzungen der Privatsphäre konsequent in einer Katastrophe münden müssen.
Der erfolgreiche Künstler Gil lebt mit seiner Frau Irene in Minneapolis. Den Gesetzen des amerikanischen Kunstmarkts unterworfen, der nach immer neuen Provokationen verlangt, erarbeitet er sich den Ruf eines Schöpfers von Porträts und Frauenakten, alle mit dem Titel „America“ und einer römischen Nummerierung bezeichnet, deren ursprünglich auch politisch gedachte Aussage schließlich die Grenzen zur Pornographie überschreitet. Das Problem dabei: sein einziges Modell ist seine Frau. Die Beziehung zerbricht schließlich in dem Moment, in dem es Künstler und Modell nicht mehr gelingt, die jeder erotischen Beziehung notwendige Intimität zu bewahren.
Der Entfremdungsprozess erreicht seinen Wendepunkt, als Gil sich von seiner Vorstellung verabschiedet, die Ausbeutung der indianischen Frau schlechthin symbolisch darstellen zu wollen, und damit beginnt, seine Ehefrau tatsächlich selbst auszubeuten. Deutlich wird dies daran, dass er zum Opfer seiner eigenen Herrschafts- und damit Kontrollinteressen wird, indem er anfängt, heimlich das Tagebuch Irenes zu lesen, weil er den Verdacht hat, diese könnte ihm untreu geworden sein.
Sie bemerkt das entstandene Misstrauen und das Nachspionieren ihres Mannes und beginnt zwei Tagebücher zu führen. Eines liegt wohlverwahrt am üblichen Ort, das andere wird in einem Banksafe deponiert. Das Perfide daran: Das dem Mann präsentierte Tagebuch erfüllt die Erwartungen, Befürchtungen und Ängste des Partners. Es ist lediglich eine Inszenierung von Treulosigkeiten und Affären, mit dem Endzweck, die Beziehung so gründlich zu zerstören, dass es kein Zurück mehr geben kann. Im zweiten Tagebuch kommentiert Irene ihre eigenen Spiegelfechtereien, legt Rechenschaft über ihr Handeln ab und erniedrigt den letztlich hilflos agierenden Gegner Gil mit dem routinierten Zynismus einer Marionettenspielerin.

Letztlich erweist sich die Sprengkraft dieser Inszenierung als so durchschlagend, dass auch Irene selbst die Kontrolle verliert. Tatsächlich erscheint der symbolische Romanschluss dann aber als eine Art negativer Beweisführung: weder die Darstellung der rohen Ausbeutung des Künstlers, noch die berechnende und manipulative Reaktion des nur vermeintlichen Opfers können die Gewissheiten und Konsequenzen eines einmal gelebten Lebens zerstören.

Der Roman „Schattenfangen“ gehört wie „Geschichten von brennender Liebe“ und „Antilopenfrau“ zu den Werken, mit denen Louise Erdrich die Grenzen dessen überschreitet, was man salopp als „Ethnoliteratur“ bezeichnen könnte. Wer daraus den Schluss ziehen wollte, dies sei kein „Indianerroman“, Louise Erdrich eine erfolgreiche Schriftstellerin, aber eben keine dezidiert indianische Autorin mit entsprechenden Themen mehr, hat vermutlich Recht. Wer dagegen der Auffassung ist, dass Louise Erdrich, die Wirklichkeit eines Teils der indianischen Städtebewohner darstellt, der dazu gezwungen ist, die Identität zu verkaufen, die zu bewahren ihr eigentliches Interesse sein müsste, hat auch Recht.

„Schattenfänger“ von Louise Erdrich wurde von Chris Hirte ins Deutsche übersetzt und ist im Februar 2011 im Suhrkamp Verlag erschienen. Der Roman umfasst 198 Seiten und kostet in der gebundenen Ausgabe 17,90 €. Der Suhrkamp Verlag bringt außerdem einige der früheren Erdrich-Romane, die ursprünglich bei Eichborn und vor allem bei Rowohlt erschienen, als Taschenbuchausgaben heraus. Zuletzt erschien u.a. „Liebeszauber“, der Roman, der für Louise Erdrich den literarischen Durchbruch bedeutete.

Erstellt von dionys. Letzte Änderung: Samstag, 29. Januar 2022 20:31:40 CET von oliver. (Version 4)

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