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John Williams: Butcher’s Crossing

Image Schlachthaus in der Prärie
gelesen von Dionys Zink

Indianer kommen in diesem Roman gerade einmal auf einer einzigen Seite vor. Sie sind es nicht einmal wert, dass man sie abknallt, meint einer der beiden zentralen Figuren in diesem Romanvom Ende der großen Büffelheren Nordamerikas. Warum also darüber eine Rezension in einer Zeitschrift verfassen, die sich mit der Situation nordamerikanischer Ureinwohner in der Gegenwart befasst?

„Butcher’s Crossing“ ist zunächst die Geschichte von Will Andrews, eines jungen Mannes von der Ostküste Amerikas, der um 1870 seine Karriere an der Harvard Universität abbricht und in den Westen geht, um - beeinflusst von der Dichtung eines Ralph Waldo Emerson – der Wildnis näher zu kommen. Wohlausgestattet mit Geldmitteln, lässt er sich von einem Büffeljäger zu einer Jagdexpedition ins das noch unbesiedelte Territorium weiter westlich verleiten. Sie führt in ein bis dato kaum bekanntes Gebiet, in dem noch große Bisonherden existieren sollen. Damit entfaltet sich zunächst eines dieser klassischen Westernpanoramen, die man heute fast schon zwanghaft im Breitwandformat des Kinos vor sich sieht: Vier Männer mit Pferd und Planwagen auf den Weg in den Westen, um ihr Glück zu machen. Und selbstverständlich handelt die Geschichte an der Oberfläche mit Klischees. Da sind der verrauchte Saloon, darin das leichte Mädchen mit dem großen Herz, das profitgierige Raubein von der Grenze und auch die Vaterfigur mit den wohlmeinenden Ratschlägen für den Grünschnabel und dass entspinnt sich natürlich in jeder Menge Episoden von der nunmal so amerikanischen Überwindung der Mühsal.

Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht: Der junge Mann ist ein Zuspätgekommener, die Zeit der großen Büffeljagden scheint bereits vorbei, denn die Prärien um Butcher’s Crossing sind leergeschossen. Der Leder-Aufkäufer spekuliert schon mit der Verlängerung der Eisenbahn in Richtung Kalifornien und dem unvermeidlichen Auswanderer-Treck auf dem Trail nach Westen fehlt jede Spur von Optimismus. Als die Büffeljäger schließlich das Zielgebiet ihrer Expedition erreichen, wird allein an der topograpischen Beschreibung schon deutlich, dass es sich um ein letztes Refugium handelt, einen Rückzugsraum, in welchem der junge Held Zeuge eines irrsinnigen, fließbandartigen Gemetzels an genau dem wird, was zu erleben, er eigentlich in den Westen gekommen war. So manches Mal erinnert der Roman somit auch an Jim Jarmuschs Film „Dead Man“, dessen Auftaktszene, eine endlos erscheinende Zugfahrt Williams Roman zu zitieren scheint, als ein Büffeljäger aus dem fahrenden Zug sinnlos-wild auf eine die Gleise querende Büffelherde feuert, wohl wissend, dass er den Ertrag dieser „Jagd“ gar nicht wird mitnehmen können, weil der Zug ja weiterfährt.

Das alles wird in dem lakonischen Stil erzählt, wie er dem Genre zukommt, sogar die Katastrophe am Schluss wirkt wie eine Beiläufigkeit, die der Leser sich bitte selbst ausmalen soll.

Image Die Westernkulisse hat in Williams Roman, der im Original bereits 1960 veröffentlicht wurde, derart viele Risse, dass man eigentlich schon von einem Spätwestern oder sogar von einem Ökowestern reden muss, dies lange vor der Zeit, in der jene Spielarten des Genres von anderen erdacht wurden. Natürlich ist heute der Abgesang auf den „Good Old West“ seinerseits schon wieder zum Klischee erstarrt, vor mehr als einem halben Jahrhundert konnte davon jedoch noch nicht gesprochen werden. Auch die Anfänge der Umweltbewegung in den USA lagen 1960 noch in der Zukunft, Rachel Carsons Sachbuch „Der stumme Frühling“ zum Beispiel, das vor allem auf die katastrophalen Folgen des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft und Malariabekämpfung hinwies, sollte erst 1962 erscheinen. Es besteht zwischen „Butcher’s Crossing“ und Carsons Umweltklassiker eine innere Verwandtschaft, nämlich die Erkenntnis, dass sich rücksichtsloses, profitgieriges Verhalten in der Natur sich letztlich gegen seine Urheber kehren muss.

Man kann also diesen Roman auch so verstehen, dass aus heutiger Sicht die nahezu völlige Abwesenheit der Menschen, deren Lebengrundlage die Bisons darstellten, ein wesentlicher Aspekt ist. Zur Erkenntnis des Lesers, dass mit der hemmungslosen Vernichtung der Büffel ein Völkermord verübt wird, ist es schließlich nur ein winziger, nachdenklicher Schritt. Die Büffeljäger verhalten sich so, als hätten sie keine Verwandten, sogar die Solidarität mit ihresgleichen ist reduziert auf das Nützlichkeitsdenken in Bezug auf den zu erwartenden Gewinn. Mit dem Bewusstsein von heute ergibt sich zwangsläufig die Frage nach der ökologischen Alternative und den Menschen, die sie gelebt haben.

John Williams (1922 – 1994) wurde vor allem durch seine anderen Romane bekannt. Für seinen historischen Roman „Augustus“ (1972) erhielt er im Jahr 1973 den National Book Award. Furore machte vor allem sein autobiografisch gefärbter Roman „Stoner“, der ebenfalls erst 2013, also mit mehreren Jahrzehnten Verspätung, in deutscher Sprache erschien. Jetzt hat der dtv-Verlag dem späten Überraschungserfolg von „Stoner“ das Western-Epos vom Ende der Büffel nachgeschoben.

John William, Butcher’s Crossing, gebunden, 368 Seiten, ist im dtv-Verlag erschienen und kostet 21,90 €.

Erstellt von dionys. Letzte Änderung: Freitag, 17. Januar 2020 18:13:55 CET von oliver. (Version 5)