Laden…
 

Interview mit Russell Means

Russell Means 1987 (Foto: Carolmooredc) von Oliver Kluge

(veröffentlicht 4/1995. Engl. Transskript verfügbar über den Globus-Button)

Coyote: Wie sind Sie zu der Rolle gekommen?
Means: Nun, ich mußte vor­sprechen und ich bekam die Rolle - so einfach war das. Aber wenn man vorspricht, ist man nicht der einzige. Es waren noch andere da, von denen ich nicht weiß, ob sie für Häuptling Powhatan vor­sprachen oder für andere Rollen. Es waren auch einige Weiße im Vorzimmer. Ich weiß also nicht, gegen wen ich mich durchsetzte. Nach ein paar Monaten haben sie mich angerufen. Das eigentli­che Vorsprechen war 1993, ich bekam die Rolle und dann dauerte es eineinhalb Jah­re, bis die Synchronarbeit für meine Rolle beendet war. Dann brauchten sie noch vier bis fünf Monate, den Film fer­tigzustellen.

Coyote: Was ist Ihr Eindruck vom Film, insbesondere von der Darstellung der Indianer im Film?
Means: Er ist zweifellos und unzweideutig der beste Film, den Hollywood je über India­ner gedreht hat, seit es Holly­wood gibt. Er ist einfach der beste.

Coyote: Es gibt da aber wohl einige Kritik…
Means: Kritik von - wie ich meine - gestörten Leuten. So gestört, daß sie nichts anneh­men wollen, was Kinder glück­lich macht. Ich verstehe diese Art von Logik nicht, et­was zu kritisieren, was Kin­der glücklich macht. Dann nehmt Eure Kinder halt nicht mit!

Coyote: Das Studium von Se­kundärliteratur, vor allem Bücher über die echte Po­cahontas, zeigt doch viele Ab­weichungen von der Ge­schichte.
Means: Nun, lassen Sie es mich so sagen: Ich bin kein Narr. Alles, womit ich mich befasse - innerhalb und außerhalb Hollywoods - en­det in Kon­troverse. Okay? Wenn ich ge­sehen werde, wie ich mit ei­ner weißen Frau die Straße entlang gehe, endet das in ei­ner kontroversen Dis­kussion!

Ich habe also selbstverständ­lich über meine Rolle recher­chiert, wie ich das immer ma­che in Hollywood. Meine Stu­dien haben elf Geschich­ten über Pocahontas zu Tage gefördert. Sieben davon wur­den geschrieben, nachdem sie starb - deshalb habe ich diese verworfen. Ich habe statt des­sen die vier gelesen, die in ih­rer Zeit entstanden sind. Zwei davon wurden von zwei verschiedenen Männern in Ja­mestown geschrieben, Sied­lern, und sie schrieben über sie, als sie zehn bis elf Jahre alt war.
Sie schrieben über sie, weil sie a) die Tochter von Häuptling Powhatan war und b) weil sie beim Spielen mit den anderen Kindern in Jamestown nackt war, wie die anderen In­dia­ner­kinder. Die Kinder al­ler indigenen Völker in diesen Breiten laufen nackt herum, bis heute. Das ist also nicht un­gewöhnlich.

Ich habe die zwei Berichte ge­lesen aus der Gründungszeit von Jamestown. Dann habe ich die zwei Berichte von John Smith gelesen, die Be­richte aus seinen Chroniken, die Tagebücher, die er in Ja­mestown führte - und Po­cahontas überhaupt nicht er­wähnten.
Nachdem er zum englischen Hofe zurückgekehrt war be­richtete er, daß Pocahontas ihm das Leben gerettet hätte. Er wußte nicht, daß sie im selben Jahr John Rolfe heira­tete und kurz nach der Veröf­fentlichung seines Berichts in England erschien.

Für ihn in England war der Bericht, daß eine einfache Wilde sein Leben rettete, so etwas ähnliches wie das Be­kenntnis zur Homosexualität um 1950. Nun, es hätte seine Karriere ruinieren können. Und er mußte so etwas nicht erfin­den, er war doch schon ein Held. Er wurde bereits so be­handelt. Das ist ein Faktor, den niemand zur Kenntnis nimmt. Für mich ist das ein Kernpunkt meiner For­schung. Deshalb glaube ich die Geschichte.

Coyote: Nach all den hunder­ten von Jahren ist es schwie­rig, alles auseinander zu hal­ten.
Means: Jeder, der darüber schreibt, nachdem sie tot sind, zählt nicht. Ich verstehe nicht, wie jemand die Ge­schichte wieder auferstehen lassen kann, wenn er doch nicht dabei war!

Coyote: Der Film porträtiert die Gier des Kapitän Ratclif­fe, der das Land ausbeutet. Als er anlandet, sind die In­dianer nicht bereit, mit den Europäern zu teilen. Die Lie­be von John Smith und Po­ca­hontas verhindert einen Krieg und sorgt dafür, daß die In­dianer teilen wollen. Finden Sie das nicht problematisch? Es geht um das 17. Jahr­hun­dert, den Beginn der Be­sie­de­lung, und später um die Frontier.
Means: Der schöne Teil der Geschichte ist, wie ich zu sa­gen pflege, daß sie revolu­tio­när ist, da mein Volk Ge­rech­tig­keit erst erfahren kann, wenn die Amerikaner ihren histori­schen Betrug erkennen, weshalb sie wirklich nach Westen segelten und was sie taten, als sie dort an­kamen.

Von diesem Betrug erfährt man nämlich außer in obsku­ren Hochschulvorlesungen nichts, der Betrug an meinem Volk wird nicht zur Sprache gebracht. Disney ist der erste, der das macht. Er zeigt, wie die Europäer wirklich waren und warum sie kamen. Sie ka­men, Indianer zu töten und das Land auszubeuten. Es ist sehr, sehr klar, daß dies der einzige Grund für ihr Kom­men war.

Coyote: Aber im Film sieht man, daß die Ausbeutung ge­stoppt wird, und das Mor­den!
Means: Das schönste ist - von der Vater/Tochter-Beziehung abgesehen -, daß der Film den Kindern der Welt mein Volk durch die Frau vorstellt. Überall im Westen sind wir matrilinear organisierte Ge­sellschaften. Das weiß nie­mand. Unsere Frauen ent­scheiden, sie sind das Rück­grat unseres Zuhauses und unserer Gemeinden und da­her unserer Nationen. Wir folgen der Frau.
Nun, da die Menschen der Welt einen Eindruck bekom­men, was es ist, Indianer zu sein, zeigen sie, daß sie Po­cahontas Charakterstärke hat, und deshalb an die eige­nen Entscheidungen glaubt. So sehr, daß sie den Rat ihrer besten Freundin und ihres Vaters nicht beachtet - und Recht behält.

Derweil wird ihr Vater als dreidimensionales menschli­ches Wesen dargestellt, der die Empfindungen dieser Zeit zeigt: Wut, Zorn, Weisheit, Stärke, Diplomatie, aber auch Sanftheit, Zärtlichkeit und Liebe, und daß er die mensch­liche Fähigkeit hat, seine Meinung zu ändern, nachdem er seiner Tochter zuhört.

Kinder haben einen wichtigen Platz in unserer Welt. Wir sa­gen ihnen nie »Stör’ jetzt nicht«. Das tun wir nie. Wenn sie reden, hören die Er­wachsenen auf, was immer sie gerade tun. Wir hören ei­nem Kind zu. Sie werden wichtig. Sie verstehen und wachsen auf mit dem Wissen, daß es wichtig ist, was immer sie sagen oder tun, also sollte es überlegt sein. Und so kann er Powhatan seine Meinung ändern, und den Frieden an Stelle des Krieges wählen. Das ist die Wahrheit über die Frontier, die Sie ansprachen. Erst etwas weniger als ein Jahrhundert ist es her, daß die Vereinigten Staaten immer noch keine mili­tä­ri­sche Überlegenheit hatten. Wir Indianer waren mili­tä­risch immer überlegen. So wurde an der Frontier immer die Balance des Lebens der Eu­ropäer gehalten, bis vor hun­dert Jahren.

Coyote: Im wirklichen Leben gab es kein Happy End im Disney-Sinne, nachdem sie ei­nige Jahre später John Rolfe heiratete.
Means: Stimmt. Nun, das hängt davon ab, wie man es betrachtet. Mein zehn Jahre alter Sohn war richtig glück­lich, daß sie ihn [John Smith] nicht geheiratet hat. Er war in der Premiere, und während sie rannte, hat er - in der Pre­miere - laut geschrien »Nein! Geh’ nicht! Geh’ nicht!«. Oh Mann, hunderttausend Leute waren da und er schreit »Geh’ nicht!«. Das war toll. Er identifizierte sich mit Ko­coum, und er war ärgerlich über Pocahontas. Er gab ihr die Schuld, daß er getötet wurde. Er identifizierte sich mit ihm.

Coyote: Lassen Sie uns über etwas anderes reden. Lassen Sie uns über AIM reden.
Means: Gut.

Coyote: Was machen Sie ge­rade für AIM?
Means: Oh, ich bin der leiten­de Direktor des American In­dian Movement von Colora­do. Und das bin ich seit 1990.
Wir befassen uns nur mit lo­kalen Problemen, die mit Co­lorado zu tun haben, und wenn ich zum Beispiel mit Dingen beispielsweise in Ari­zona und South Dakota zu tun habe, hat mir das Ameri­can Indian Movement in Co­lorado den Rücken gestärkt. Aber ich bleibe mehr oder we­niger in der Nähe von Zu­hause.

Ich habe aber auch in den Auseinandersetzungen nicht nur in Kanada, sondern auch im Staate Washington gehol­fen. Vor einem Jahr wurde ich im September sogar ver­haftet. Vor vierzehn Monaten wurde ich beim Kampf um die Fischereirechte der Lum­mi verhaftet.
Ich habe zuhause auch gegen eine Firma demonstriert, die unser Elend ausgenutzt hat, und daraus Kapital geschla­gen hat. Wir haben diese Fir­ma aus South Dakota heraus­gejagt.

Coyote: Wie hat diese Firma daraus Kapital geschlagen?
Means: Sie machten Marke­ting und riefen jeden in den Vereinigten Staaten an, den sie kriegen konnten, und bet­telten um Geld. Dieses Geld sollte angeblich die Armut der Indianer lindern helfen. Aber wir fanden heraus, daß sie 93% davon für sich be­hielten. Es ging ihnen also sehr gut. Nun, mit sowas ha­be ich mich in letzter Zeit be­schäftigt. Nun, es macht kei­ne nationalen oder internatio­nalen Schlagzeilen, aber der Kampf geht weiter.

Coyote: AIM hat lange Zeit die Idee des Panindianismus propagiert.
Means: Nein, wir waren nie für Panindianismus. Panin­dianismus würde bedeuten, daß wir keinen Respekt hät­ten. Wir sind für die Rechte der Indianer, und das sehr selek­tiv. Wir sind dort aktiv ge­worden, wo die Rechte der Leute verletzt wurden. Ob das ein Einzelner, eine Fami­lie, ein Dorf oder eine Nation war, wir kümmerten uns dar­um.

Ich kann nicht ändern, was andere Indianer darüber er­zählen, sind können doppel­züngig reden. Wir waren für eine Stimme in der internatio­nalen Gemeinschaft, aber das heißt noch nicht, daß wir für Panindianismus wären, es geht uns nur um eine Stimme.

Generell, was in der interna­tionalen Gemeinschaft ab­geht, sind juristische Graben­kämpfe, aber das war nach der Öffnung von AIM. Nach­dem wir uns der internationa­len Gemeinschaft geöffnet hat­ten, gingen wir zurück zu unseren Gemeinden. Und dann übernahmen die Anzüge (Suits) die Sache, die Rechts­anwälte. Als wir 1977 nach Genf gingen und mit den Ver­einten Nationen arbeiteten, taten wir von AIM dies mit den Traditionellen, den Al­ten, die nicht einmal Englisch sprachen.

Als wir das aufgetan haben, kamen die Anzüge und fan­den heraus, daß dies prima für Sandkastenspiele wäre, und daß sie hier vorgeben könnten wichtig zu sein. Und so zogen wir uns zurück und die Anzüge versauten die gan­ze Sache. Ich denke also, daß wir die Sache wieder an uns reißen müssen und den Saustall aufräumen müssen.

Coyote: Was wäre das Instru­ment, das helfen könnte, da ja weder eine Weltregierung noch eine nationale Regie­rung besondere Hilfen dar­stellen.
Means: In der internationalen Gemeinschaft habe ich nie ge­sehen, daß die Vereinten Na­tionen irgend jemandem ge­holfen hätten. Wir haben in der internationalen Gemein­schaft immer versucht Allian­zen zu schmieden, mit Grup­pen wie der Ihren, und mit Ländern wie Nereres Tansa­nia. Aber immer auf persönli­cher Basis, wir mußten nie zu den Vereinten Nationen we­gen der Konferenzen. Aber NGOs [nicht-Regierungs-Or­ganisationen], wie jeder in der internationalen Gemein­schaft, wird - solange sie wol­len - die Vereinten Nationen dazu benutzen, indigene Völ­ker der ganzen Welt zusam­men zu bringen, was ein Plus ist.

Als AIM begann, waren wir die einzige indigene NGO der Welt. Jetzt gibt es Dutzende, und das hat gute und schlech­te Seiten. Die internationale Ge­meinschaft muß adressiert werden, und wir sind Teil da­von - mal abgesehen davon, daß einige Leute uns ausver­kaufen wollen. Kolonialismus kann eine mächtige Waffe ge­gen das eigene Volk sein.

Wir bedanken uns bei Buena Vista für die freundliche Un­terstützung.

Querverweis: Filmkritik von Pocahontas.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Donnerstag, 27. Januar 2022 22:49:00 CET von oliver. (Version 11)