Assimilierung mit Folgen
von Dionys Zink
(veröffentlicht 2/2007)
Die Internatsschulen galten als das Schlüsselinstrument der Assimilierungspolitik, wie sie in den USA und in Kanada nach dem Ende des militärischen Widerstands der Indianer ins Werk gesetzt wurde. Man war der Auffassung, dass nur die rigorose Anpassung an die Kultur des weißen Mannes als Entwicklungsperspektive für die Ureinwohner in Frage kam.
Zu diesem Zweck wurden ab 1874 in Kanada Schulen unterstützt, die unter der Regie von Missionsstationen der christlichen Kirchen organisiert wurden.
Man versuchte möglichst alle indianischen Kinder ab einem bestimmten Alter in den Missionsschulen zu angepassten Kanadiern dunkler Hautfarbe zu erziehen. Man steckte die Kinder in Schuluniformen oder abgelegte Kleidung der Weißen, verbot ihnen unter Androhung von schweren Strafen den Gebrauch der Muttersprache und indoktrinierte sie mit christlichen Vorstellungen nach Machart der jeweils verantwortlichen Kirche. Die Kinder waren in der Regel 10 Monate im Jahr von ihren Familien getrennt. Nur im Sommer durften sie in ihre Heimatgebiete und zu ihren Verwandten zurückkehren.
Mehr als 100.000 Kinder durchliefen diese Schulen, von denen mutmaßlich die Hälfte noch während ihrer Schulzeit oder wenig später starben.
Eine der strukturellen Ursachen für diese Katastrophe liegt im Verwaltungssystem begründet. Die Kirchen erhielten pro Kind für die Dauer des Schulbesuchs einen bestimmten Geldbetrag der Regierung. Je mehr Kinder eine Schule besuchten, desto höher waren die Einnahmen der Missionsstationen. Deswegen nahm man bereits kranke Kinder auf und schickte sie nicht nach Hause oder in Krankenhäuser.
Indianische Kinder wurden möglichst kostengünstig und platzsparend untergebracht, in Schlafsälen, häufig zu mehreren in einem Bett, die ideale Situation für die Ausbreitung von Lungentuberkulose, der Krankheit, die wohl die meisten Opfer forderte.
In den 80er Jahren mehrten sich die Berichte über den sexuellen Missbrauch von Schulangestellten an indianischen Kindern. Auch Phil Fontaine, der jetzige National Chief der Assembly of First Nations (AFN), ehemals der größte und auch einflussreiche indianische Interessenverband, gehört zu den Missbrauchopfern.
Mehr als 70 Prozent der sogenannten Residential Schools (in den USA auch als Boarding Schools bezeichnet) wurden von Gliederungen der katholischen Kirche betrieben.
In den späten vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts existierten 72 dieser Schulen, in denen mehr als 9000 indianische Kinder leben mussten. Erst 1969 übernahm der Bundesstaat Kanada die Verwaltung der Schulen. Die letzte dieser Einrichtungen wurde 1996 geschlossen. Wegen der großen Entfernungen und der Abgelegenheit der indianischen Wohngebiete müssen viele ältere indianische Schüler auch heute ihr Zuhause wenigstens wochenweise verlassen, wenn sie mehr als nur eine rudimentäre Bildung erlangen wollen.
Kanada hat zwar anders als Deutschland die UN Konvention über die Rechte der Kinder unterzeichnet und vor 15 Jahren ratifiziert, doch sind die statistischen Angaben zu indianischen Kindern alarmierend. Obwohl Indianer in Kanada offiziell nur etwa 3% der Bevölkerung stellen, ist über die Hälfte der 22 000 zur Adoption freigegebenen Kinder indianischer Abkunft.
In Kanada sind Körperstrafen für Kinder von 2 bis 12 Jahren nach wie vor erlaubt, das oberste Gericht Kanadas bestätigte die Gesetzlichkeit derartiger Strafen vor drei Jahren. Während das Problem zumindest statistisch gesehen in weißen Mittelschichtsfamilien von untergeordneter Bedeutung sein dürfte, sieht es in Kinderheimen sicher anders aus.
Das Hauptproblem der indianischen Kinder dürfte jedoch die Armut sein. Während Kanada sich seit Jahrzehnten unter den 5 bestplatzierten Ländern des UN-Entwicklungsindex sonnt, rangiert die indianische Bevölkerung auf Rang 78 irgendwo bei den Entwicklungsländern. Kanada weist in seinen Angaben zur internationalen Statistik die Ureinwohner als sperate Gruppe aus. So gerät kein schmutziger Fleck auf die weiße Weste.