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Blitzlicht: Friends of the Lubicon

“Faltenspezialisten” und “Pizzabande”
von Dionys Zink
(veröffentlicht 2/1998)

Nach dem Zusammenbruch der Verhandlungen mit der Bundesregierung 1989 und den ebenfalls wenig erfolgreichen Gesprächen 1992 stürzte die Lubicon Lake Indian Nation in eine verständliche Depression. Fast hatte man den Eindruck als hätten die Indianer endgültig resigniert. Neuer Widerstandsgeist regte sich allerdings, als Daishowas merkwürdiges Gebaren zu einer neuen und gesteigerten Bedrohung für die Cree und ihr Land wurde. In einem Gebiet ohne Wald leben zu müssen, ist für die Lubicon Cree schlichtweg nicht denkbar. Ein totaler Kahlschlag, wie er von der Provinzregierung erlaubt und von Daishowa geplant worden war, hätte vor allem für die Älteren Lubicon Cree nichts anderes als den Weltuntergang bedeutet, und das ist wörtlich zu nehmen. Gespräche mit Lubicon Cree machten in diesen Jahren deutlich, dass es sehr wohl zu Verzweiflungstaten hätte kommen können, wäre Daishowa mit schwerem Gerät angerückt.

Klar war allen Beteiligten auf der Seite der Lubicon Cree bereits im Vorfeld, dass die indianische Gemeinde die Last einer Kampagne gegen Daishowa nicht selbst tragen würde können. Anders als in der Vergangenheit (Olympia-Boykott 1988 und Blockade 1988) waren die Lubicon Cree nicht in der Lage mehr als nur die Richtung vorzugeben in welche die Aktionen zielen sollten. Als Experten ihrer Gesellschaft bildeten die Unterstützer einen regelrechten Schutzschild vor der angeschlagenen Indianergemeinde.

Eine zentrale Rolle spielte dabei die damals neugegründete Organisation Friends of the Lubicon mit Stephen Kenda, Ed Bianchi und Kevin Thomas als wichtigsten Mitgliedern. Diese kleine Gruppe leistete, was viele Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen zwar immer wieder propagieren, doch nur selten auch verwirklichen: Sie ermittelten gegen Daishowa bis sie auch mit kleinsten Details des Unternehmens vertraut waren. Daishowa verkauft in Ostkanada vorwiegend Verpackungsmaterial, z.B. die uns aus Filmen vertrauten amerikanischen Einkaufstüten oder Kartons für Pizzaschnelldienste. Diese Produkte werden natürlich nicht an den einzelnen Verbraucher, sondern andere Unternehmen verkauft. Ziel des Boykotts war es also, diese Daishowa-Großkunden dazu zu bringen, sich anderweitig mit Verpackungsmaterial einzudecken. Die Boykottliste liest sich wie ein Fastfood-Restaurant-Führer und Supermarktverzeichnis: McDonalds, Kentucky Fried Chicken, Holt Renfrew, Mövenpick Restaurants, Woolworth’s und etwa 50 weitere Firmen

Als Daishowa wegen des Boykotts schließlich darauf verzichtete, das Firmenlogo am Boden der Produkte aufdrucken zu lassen, erkannten erfahrene FoL-Mitglieder Daishowas Erzeugnisse an der Art der Faltung. Es war ihr Überzeugungsmarathon vor den Filialen, der schließlich Supermarkt- und Fastfoodketten überall in Kanada dazu bewog ihren Verpackungslieferanten zu wechseln.

Wie einfallsreich die Friends vorgingen, illustriert besonders die Pizza-Pizza-Weihnachtsaktion. Der in ganz Kanada vertretene Pizza-Pizza-Schnelldienst macht vor allem am 24. Dezember ein besonderes Geschäft mit seinen essbaren Tellern, weil vor den traditionellen Festlichkeiten am 25. Dezember kaum jemand die Zeit hat zu kochen. Um Pizza-Pizza zur Aufkündigung des hartnäckig beibehaltenen Liefervertrages mit Daishowa zu bewegen, drohten die Friends of the Lubicon am 24. Dezember stundenlang die Telefonleitungen zu blockieren. Der schnelle Pizzadienst wechselte auf die Schnelle, weil der zu erwartende Verdienstausfall nicht tragbar erschien.

Der Boykott und die Informationskampagne gegen Daishowa hatte jedoch mehrere Funktionen. Zum einen sollte das Gebiet vor der Abholzung geschützt werden. Ohne Wald wären den Lubicon Cree auch für den Fall eines Vertragsabschlusses deutlich geringere wirtschaftliche Entwicklungchancen verblieben als bisher. So denken die Indianer durchaus an einen kleinen holzverarbeitenden Betrieb, der im schonenden Umgang mit dem Wald Arbeitsplätze anbieten soll. Auch bescheidene Jagd zur Ergänzung des Einkommens soll nach Abzug der Ölindustrie auch außerhalb des zukünftigen Reservats wieder möglich sein, aber ohne Wald keine natürliche Wildpopulation, soviel weiß jedes Kind.

Zugleich wurde mit dem Boykott in einer Zeit, in der konservative Provinz- und Bundesregierungen versuchten, die Lubicon Cree durch Hinhaltetaktik, Intrigen und fortlaufende Veräußerung weiterer Ressourcen zu vernichten, Gegendruck ausgeübt, der über Daishowa an die offiziellen Stellen weitergereicht wurde. Das Ende des Boykotts macht deutlich, dass diese Strategie zumindest teilweise aufgegangen ist. Nur unter dem öffentlichen und wirtschaftlichen Druck sah sich Daishowa veranlasst, nach Alternativen zum Gebiet der Lubicon Cree zu suchen und diese bei der Provinzregierung durchzusetzen. Wenn politisches Handeln bedeutet, das Machbare durchzusetzen, dann ist der Daishowa-Boykott wohl ein Lehrbuchbeispiel

Die Protestaktionen machen bis heute überdeutlich, dass sich kein Unternehmen an dem Gebiet der Lubicon Cree oder seinen Rohstoffen vergehen darf, ohne Imageeinbußen und finanzielle Verluste hinnehmen zu müssen. Investoren werden es sich in Zukunft genau überlegen, ob sie sich dort finanziell engagieren wollen. Dieser Vertrauensverlust hat die Provinz Alberta wahrscheinlich bereits viele Millionen Dollar gekostet. Aus der Sicht der Indianer, die bereits Milliarden in Form von Rohstoffen verloren haben, kann es nur darum gehen, den Preis dafür gegenüber der bis heute völlig uneinsichtigen und korrupten Provinzregierung solange in die Höhe zu treiben, bis diese aus wirtschaftlichen Gründen einlenken muss.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Samstag, 18. Januar 2020 23:44:56 CET von oliver. (Version 1)