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Art Napoleon: Creeland Covers

Tawaw, Art Napoleon! Roots in Rosenheim
gehört von Dionys Zink

Ein sichtlich desorientierter Art Napoleon, Cree-Musiker und Songwriter aus British Columbia, steht bei strahlendem Sonnenschein vor dem Ausstellungsgelände des Lokschuppens in Rosenheim und bereitet sich auf seinen Auftritt vor. Wie alle erfahrenen Musiker versucht er sein Publikum zu erspüren, seine Stimmung aufzunehmen und die für jeden Auftritt notwendige Nervosität soweit zu kontrollieren, dass sie nicht zum Problem wird. Kurz zuvor ist eine Tanzgruppe in traditioneller Kleidung der Plainsindianer aufgetreten, auch sie wartet gespannt auf den nächsten Auftritt. Als ich Art dann nur kurz meine Anwesenheit signalisiere, die Moderatorin hat bereits das Mikrophon für seine Ankündigung in der Hand, raunt er mir zu, dass er sehr froh über meine Anwesenheit sei, die Szene sei doch sehr verwirrend für ihn. Mit einem Blick in die Runde kann ich mir schon ungefähr vorstellen, was den Gast so irritiert.

Art Napoleon wäre kein „Professional“, wenn er nicht imstande wäre, seine Befangenheit zu meistern. Und nach nur wenigen Minuten, in denen sich zuerst die Kinder zu seinen Füßen versammeln, springt der Funke wie gewohnt auf das Publikum über.
Art Napoleon bietet einen Querschnitt aus seinen bisher fünf CDs, Lieder in englischer Sprache, vor allem aber auch in seiner Muttersprache Cree. Viele seiner Songs handeln von der Alltagskultur der Cree-Indianer Kanadas, ihrem Bemühen um kulturelles Überleben in der aggressiv dominierenden Kultur des weißen Nordamerika.

Seine Lieder begleitet Art Napoleon mit Gitarre und Mundharmonika, gelegentlich auch mit der traditionellen Handtrommel. In Nordamerika hat sich für diese Mischung von Folk, Country, Blues und traditioneller Musik der Begriff „Roots Music“ eingebürgert. Das Besondere an Arts Darbietung ist jedoch sein Geschick das Publikum nicht nur anzusprechen, sondern auch zum Mittun zu bewegen. Einer der Tänzer und eines der Kinder werden für ein zwei Lieder zu Trommlern, das Publikum singt die Refrains mit und zum Abschluss findet sich sogar eine spontane Gruppe von mehr als 40 Zuschauern, die einen gemeinsamen Tanz aufführt.
Zu Arts Repertoire gehören auch Songs anderer Musiker etwa von Tracy Chapman, die er in seine Muttersprache übersetzt und für seine bislang letzte CD („Creeland Covers“) aufgenommen hat.

Eine ironische Volte stellt dabei seine Cover-Version von Neil Youngs „Pocahontas“ dar. Young, der in einer frühen Phase seiner langen Karriere mit dem Image eines nordamerikanischen Hippie-Indianers spielte ( „I woke up in the morning with an arrow through my nose, In the Corner there was an Indian, trying on my clothes”) besingt im seiner Elegie “Pocahontas” den Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern, seine Sehnsucht nach der „Indianerprinzessin“ Pocahontas und seine Solidarität mit dem Schauspieler Marlon Brando. Brando hatte aus Protest gegen die diskriminierende Indianerpolitik der USA die Annahme eines Oscars für „The Godfather“ verweigert und statt dessen eine indianische Frau als Sprecherin auf die Bühne geschickt. Ironisch ist daran, dass sich Art die Protestgeste gleich zweier weltweit bekannter Unterhaltungskünstler zu eigen macht und diese in einer Sprache präsentiert, die eigentlich ja nur die verstehen können, in deren Namen protestiert wird.

Nach dem Konzert und einem Interview für eine Kindersendung des Bayerischen Rundfunks berichtet Art von seinen Beobachtungen im Ausstellungsbetrieb. Das Kinderprogramm überrascht ihn weniger, auch wenn er erzählt, dass in seiner indianischen Kindheit keiner Indianer, sondern alle lieber Cowboy spielen wollten, die hätten wenigstens gewonnen. Was ihn irritiert sind vielmehr die Erwachsenen. Er ist zwar vorgewarnt gewesen und weiß schon, dass in Deutschland sich auch Erwachsene als Indianer verkleiden und in ihrer Freizeit mit der Herstellung indianischen Kunsthandwerks, Live Action Role Plays (LARP) oder esoterischen Plastikritualen befassen. Letztlich gibt es diese von wirklichen Indianern oft als „Wannabes“ (Indianer vom Stamm der Möchtegerns) bezeichneten Hobbyisten auch in Nordamerika. Auch das Phänomen, dass ein Indianer einer bestimmten Nation oder Kulturregion zum Beispiel der kanadischen Westküste geschäftlich verkleidet als Lakota oder Cheyenne auftritt, ist kein unbekanntes Phänomen.

Völlig unerwartet sind für ihn jedoch Begegnungen mit, nun ja, genetischen Indianern, Nachkommen nordamerikanischer Soldaten indianischer Herkunft, die in Deutschland aufgewachsen und kaum einen natürlichen, sondern meist nur einen medial vermittelten Bezug zur Kultur ihrer eigenen Vorfahren haben. Vollends verrückt wird die Sache aber dann, wenn diese Indianer auf ihrer Identitätssuche ihrerseits beim Stamm der „Wannabes“ landen, Europäern also, deren Hirschleder-Tanz-Outfits echter wirken als so manches, was bei Powwows in Nordamerika zu Markte getragen wird. Einer der Zuschauer bei Arts Konzert ist seinen genetischen Wurzeln nach sogar Cree-Indianer, kann sich mit Art jedoch nur in deutschem Schulenglisch verständigen.

Für Art Napoleon war diese erste Europa-Reise eine Exkursion in unbekanntes Gebiet. Seine europäischen Zuhörer hoffen, dass es nicht bei diesem ersten Versuch bleibt. Play that again, Art!

Art Napoleons CDs können über seine Website bestellt werden: www.artnapoleon.comlink-external

Erstellt von dionys. Letzte Änderung: Samstag, 11. Juli 2020 16:35:26 CEST von oliver. (Version 5)