Zwischen den Stühlen: Von den Überzeugungen der Karl-May-Leser und Indianerunterstützer
von Dionys Zink
Zugänge zum Thema Indianer gibt es viele, ob politisch, wissenschaftlich, esoterisch oder freizeitorientiert: eines ist allen vermutlich gemeinsam, nämlich der biographische Bezug und eine mehr oder minder sichtbare emotionale bzw. affektive Komponente. Man kann es auch anders ausdrücken: Indianerunterstützer, akademische Ethnologen, Hobbyisten und Esoteriker sind so etwas wie Überzeugungstäter im eigentlichen Sinn. Sie sind von etwas überzeugt, was ihr Handeln lenkt.
Es ist natürlich keine neue Überlegung, wenn man feststellt, dass sich Überzeugungen schon im Lauf der eigenen Jugend herausbilden. Sie sind zwar noch nicht verfestigt, aber enthalten eben schon die Möglichkeiten eines Zugangs zum Thema, z.B. auch eines zukünftigen Engagements für die Interessen und Rechte der Ureinwohner Nordamerikas. Und deshalb ist „Karl May“ eben doch ein relevantes Thema, wenn man erst einmal den ganzen imperialismuskritischen, psychoanalytischen oder rezeptionsgeschichtlichen Kram, der über Karl Mays Werk aufgetürmt wurde, auf die Seite geräumt hat.
Karl Mays Indianerromane produzieren heute vor allem eins: Widerspruch. Das bleibt selbst einem 11-jährigen Großstadtindianer 1976 am Niederrhein nicht verborgen, wenn er sich einerseits den bekannten Vergleich, der „Winnetou I“ einleitet, zu Gemüte führt, „…man spricht vom von dem Türken kaum anders als vom ‚kranken Mann’, während jeder, der die Verhältnisse kennt, den Indianer als ‚sterbenden Mann’ bezeichnen muß.“ - und andererseits die falsch belichteten Dias des eigenen Vaters betrachtet, die das muntere Touristengewerbe in einem Cherokee-Museumsdorf in North Carolina am Ende der Fünfziger Jahre abbilden.
Mit der zunehmenden Vernetzung der Welt im digitalen Zeitalter ist schon ein gehöriges Maß an kognitiver Dissonanz zu überbrücken, um sich noch naiv auf die phantastische Welt des sächsischen Indianerhäuptlings einlassen zu können. Vermutlich können das überhaupt nur Kinder und Jugendliche bis zu einem gewissen Grad, weil sie auf der Suche nach Orientierung in der ihnen zuwachsenden Erwachsenenwelt unterschiedlichste Identitäten erproben (müssen). Auch das macht im Übrigen den Bully-Herbig-Klamauk zum Thema so ärgerlich. Da denunziert einer die Kindheit gleich mehrerer Generationen und verweigert zugleich das (selbst-)kritische Nachdenken darüber.
Aus dieser Karl-May-Rezeption im Kinder – und Jugendalter können aber über mehrere Generationen bei mitteleuropäischen Lesern doch einige einfache, -Indianerunterstützer werden sicher sagen: banale-, Überzeugungen hängenbleiben, zu denen man natürlich auch auf andere Weise gelangen kann.
- Das zentrale Unrecht, das an den Ureinwohnervölkern beider Amerikas begangen wurde, ist der Landraub (siehe Winnetou I). Indigene Landrechte aber sind zentraler Gegenstand europäischer Unterstützungsarbeit für nordamerikanische Indianer.
- Der Landraub ist nicht nur eng verbunden mit der Siedlungstätigkeit einer expandierenden euroamerikanischen Bevölkerung, sondern vor allem mit der Gier nach Reichtum in Form von wertvollen Rohstoffen (siehe u.a. „Der Schatz im Silbersee“, „Der Ölprinz“ und die gesamte „Winnetou“-Trilogie bzw. –Tetralogie). Ein Blick in eine beliebige „Coyote“- Ausgabe dürfte genügen, um zu erkennen, dass Gold vielleicht nicht mehr ganz so häufig der Gegenstand der Begierde ist, dafür aber eben vor allem Energierohstoffe wie Kohle, Uran, Erdgas und Erdöl.
- Die kulturelle Entwurzelung indianischer Völker ist eine Konsequenz aus 1. und 2., wobei May den Zusammenbruch indianischer Kulturen und ihrer Wertsysteme vor allem dem „Feuerwasser“ zuschreibt, dessen Verfügbarkeit ja erst mit dem Vordringen der Weißen in die Territorien der Indianer gegeben ist (siehe u.a. Winnetou I).
Bei extensiven Lesern des „Reiseschriftstellers Karl May“, wie es sie heute vielleicht kaum mehr gibt, ließe sich diese kurze Liste wahrscheinlich noch wesentlich verlängern und differenzieren.
Natürlich vermittelt Karl May einen heute unbrauchbaren Kulturbegriff, statisch und hierarchisch wie er ist, und mit Blick auf die Geschichte vor allem des 20. Jahrhunderts einer Traditionslinie zugeordnet, die in die Katastrophe führte. Diesen überholten Begriff May zum Vorwurf zu machen, entspricht jedoch ungefähr einer Kritik an Mays Zeitgenossen Theodor Fontane, dass er doch Effi Briest nicht hätte sterben lassen dürfen, wenn er doch in seinem Roman die Normen und Werte der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert kritisiert. Karl May war vielleicht auch ein Trivialautor, ganz sicher aber war ein Schriftsteller der Strömung, die man heute realistische Literatur zu nennen gewohnt ist. Dass May mit seiner erfundenen Indianerwelt den Realismus seiner Epoche auf heute fast subversiv anmutende Weise unterlaufen hat, steht auf einem anderen Blatt.
Wer also den Versuch unternehmen will, Karl Mays Indianerwelt noch irgendwie ernst zu nehmen, muss die Frage stellen, welche Überzeugungen die May-Leser aus der Lektüre mitgenommen haben. Denn es könnten ja wenigstens im Einzelfall auch ganz andere sein, als die Klischees, mit denen wir uns angewöhnt haben, das Nachdenken über Karl May und seine Leser zu ersetzen.